John le Carré: "Federball"

Ein Spionageroman, der ins Herz der Gegenwart zielt

06:37 Minuten
Von Ulrich Noller · 25.10.2019
Audio herunterladen
John le Carré wollte eigentlich keine Spionage-Romane mehr schreiben. Warum er rückfällig geworden ist? Brexit und Putin. Ihm gelang ein Werk mit brillantem Plot, kein bisschen nostalgisch, sondern hochaktuell und ausgesprochen bissig.
Was machen eigentlich die Agenten? Mit dem Ende des Kalten Krieges schien auch das Genre der Spionageliteratur an einem Schlusspunkt angelangt. Die klare Frontstellung Ost versus West verschwand – Konflikte innerhalb der Dienste wurden stattdessen mehr und mehr zum Thema, ebenso die weiter wachsende Machtfülle ohne Kontrolle und Transparenz, die möglicherweise das demokratische System viel stärker gefährden könnte als irgendwelche Kräfte von außen.

Der Altmeister gibt ein Comeback

John le Carré, der Altmeister des Spionageromans, Schöpfer von "Der Spion, der aus der Kälte kam", arbeitete all die Jahr mehr oder minder unverdrossen weiter: Seine Romane thematisierten aktuelle (welt-)politische Themen, zugleich haftete ihnen in Bezug auf die gute alte Zeit des Kalten Krieges mitunter auch etwas Nostalgisches an.
Mit "Das Vermächtnis der Spione", erschienen 2017, sollte eigentlich Schluss sein mit dem Romanschreiben für den Chronisten der Nachkriegszeit: Darin griff er nochmals dezidiert in diese Zeit zurück und betrieb eine Art Vergangenheitsbewältigung.
Jetzt erschien trotzdem noch einmal ein neuer le Carré-Roman – und zwar einer, der mitten ins Herz der Gegenwart zielt, ohne jede Nostalgie, topaktuell und ausgesprochen bissig.
Zwei Gründe sind es, die den mittlerweile 88-jährigen Autor nochmals ans Werk gehen ließen: Die britische Politik rund um den Brexit-Prozess – le Carré ist ein vehementer Kritiker. Aber auch die Tatsache, dass sich durch die expansive Außenpolitik Russlands der alte Ost-West-Konflikt unter anderen Umständen neu zu formieren scheint – inklusive aller nur denkbaren Geheimdienstaktivitäten, mit einer Mischung aus ganz alten und ganz neuen Methoden.

Herausgefordert beim Badminton

Im Zentrum der Geschichte steht Nat, ein verdienter Agent im Auftrag ihrer Majestät. Nach Jahren im Auslandseinsatz möchte er mit Ende 40 dieses Kapitel abschließen, zu Hause ankommen, sich endlich um Frau und Tochter kümmern, sesshaft werden.
Nat übernimmt eine kleine, fast vergessene Abteilung, die sich um russische Aktivitäten im Raum London kümmert, zum Ausgleich treibt er viel Sport, vor allem: Badminton. Dort lernt er auch Ed kennen, der ihn, den Vereinsmeister, zum Duell fordert. Ein sympathischer, aber auch sehr wütender junge Mann, zutiefst überzeugter Europäer, der auf den Brexit und auf Donald Trump schimpft, den er für einen Faschisten hält.
Was Nat nicht wissen kann: Ed wird ihm auch in beruflichen Kontexten begegnen – und herausfordern: Als Leser ahnt man so einiges mit Wissensvorsprung, es kommt dann allerdings ganz anders als erwartet.
Zwei Operationen sind es, mit denen Nat dann vorwiegend beschäftigt ist: Die erste ist die Überwachung eines zwielichtigen Oligarchen, die allerdings "von oben" torpediert wird. In Operation zwei geht es um einen Hinweis, dass der russische Geheimdienst eine hochrangige Person mit Zugang zu geheimsten Geheimnissen verpflichtet haben könnte: Eine aufwändige Aktion der Gegenspionage wird erforderlich, mit Nat zunächst im Zentrum – dann aber plötzlich im Auge eines Sturmes, der sein ganzes Dasein verwüsten könnte ...

Auf der Höhe der Kunst

John le Carré erzählt von alldem wie gewohnt mit souverän-ironischer Eleganz als trickreiches Vexierspiel und doppelten und dreifachen Böden. "Federball" (Originaltitel: "Agent in the field") ist ein hochaktueller Spionageroman auf der Höhe der Kunst, brillant geplottet, voller Energie – und kein bisschen "altersweise" oder nostalgisch.
Es ist sogar ganz das Gegenteil: Nicht bloß die Charaktere äußern sich dezidiert (tages-)politisch im Sinne ihres Schöpfers, auch strukturell, auf Ebene der "Operationen", darf man diese Geschichte als Statement verstehen: Klare Kante, ein grimmig-engagierter Spionageroman von einem überzeugten Demokraten – und Europäer.

John le Carré: "Federball". Roman
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Ullstein Verlag, Berlin 2019
349 Seiten, 24 Euro

Mehr zum Thema