John le Carrés: "Das Vermächtnis der Spione"

Ränkespiele der Geheimdienste

John Le Carre: "Das Vermächtnis der Spione"
John Le Carre: "Das Vermächtnis der Spione" © Imago / blickwinkel / Ullstein
Von Thomas Wörtche · 13.10.2017
In John le Carrés neuem Roman "Das Vermächtnis der Spione" lebt der Kalte Krieg wieder auf, als hätte er nie ein Ende gefunden. Doch das Buch ist kein nostalgisches Werk, sondern fest verwurzelt im Hier und Jetzt, lobt unser Kritiker.
John le Carrés neuer Roman, "Das Vermächtnis der Spione" ist nach immerhin 54 Jahren das Prequel zu dem Buch, das ihn weltberühmt gemacht hat: "Der Spion, der aus der Kälte kam". Das spricht zunächst einmal für ein robustes Selbstbewusstsein und ein fast rührendes Vertrauen in das Lesepublikum, denn der neue Roman setzt die Kenntnis des alten wie selbstverständlich voraus. Und nicht nur das: "Der Spion, der aus der Kälte kam" war ja nur ein Stückchen der Saga um George Smiley, das wunderliche Genie des "Circus" genannten britischen Auslandsgeheimdienstes auf der Jagd nach dem Maulwurf Bill Haydon und dem Gegenspieler des MI 6 im Kalten Krieg, "Karla", die sich durch mehrere Romane zieht.

Sohn und Tochter verbünden sich

Le Carré setzt den neuen Roman damit in Gang, dass Alec Leamas, der an der Berliner Mauer 1963 erschossene Spion, einen Sohn hatte. Der tut sich mit der Tochter der damals ebenfalls umgekommen Liz Gold zusammen – eine unschuldige, idealistische Bibliothekarin, die unfreiwillig in das Ränkespiel der Geheimdienste hingezogen wurde. Die beide wollen den heutigen Geheimdienst öffentlichkeitswirksam verklagen, weil der den Tod der beiden wissentlich, wenn nicht sogar billigend in Kauf genommen hat – aus eher unappetitlichen Gründen einer machiavellistischen Staatsräson. Der neue Geheimdienst, der jetzt nach seinem neuen Prachtbau an der Themse "The Box" heißte, möchte allerdings keine Schmutzflecken auf seiner Weste haben, gerade heutzutage nicht. Weil George Smiley verschwunden scheint, greift sich die Rechtsabteilung des MI 6 dessen treuen Paladin, Peter Guillam, aus dessen Perspektive wir die ganze Vorgeschichte um Alex Leamas erfahren. Der Kalte Krieg lebt wieder auf, in seiner ganzen Tristesse, in seiner Paranoia, in seinem effektiven, aber völlig skrupellosen Denken und seiner Brutalität.

Von der Sprache der Desinformation

Unschlagbar ist le Carré immer noch in der Eleganz seiner Dialoge, dem artifiziellen Geheimdienst-Jargon, der ein eigenes sprachliches Universum aufmacht (glänzend getroffen von Peter Torberg) und in der Virtuosität, mit dem jeder Satz drei- und vierfach kodiert ist. Sprache als Desinformation, aber ungemein kommunikativ: Das ist ein Punkt, der brandaktuell ist. Und le Carré wäre nicht le Carré, wenn "Das Vermächtnis der Spione" nur eine nostalgische oder selbstreferentielle Veranstaltung wäre. Im Gegenteil. Der Roman sitzt ganz fest im Hier und Jetzt. Nicht nur Smileys flamboyantes Plädoyer für Europa am Ende des Buchs spricht dafür, sondern vor allem das Hauptthema: Was bleibt von den berühmten westliche Werten übrig, wenn man sie auf Kosten von Ethik und Moral verteidigen zu müssen glaubt? Insofern ist "Vermächtnis der Spione" auch ein Roman über die Ursünden, die einen gewissen moralischen Relativismus möglich gemacht hat, der uns heute erst recht wieder auf die Füße fällt. Wir hoffen nicht, dass dieses Buch schon das Vermächtnis von John le Carré ist, aber wenn, dann ist es ein wunderbares, humanistisches Vermächtnis.
(gem)

John le Carré, Das Vermächtnis der Spione
Aus dem Englischen von Peter Torberg, Ullstein, Berlin 2017, 320 Seiten, 24 Euro

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