John Cale wird 80

Wirkmächtiger Soundrevolutionär

08:28 Minuten
Das Foto zeigt John Cale im Profil auf der Bühne. Er trägt ein kariertes Hemd unter einem dunklen Pullover, die Haare sind struppelig, vor dem Kopf ein Mikroständer und ein Mikrofon. Cale hat die Augen geschlossen. Der Hintergrund ist dunkel.
John Cale kam von der europäischen E-Musik-Avantgarde und wurde eine große Inspiration, zum Beispiel mit seinem eckigen, kraftvollen Klavierspiel in Popsongs. © picture alliance / zumapress.com / Alessandro Bosio
Klaus Walter im Gespräch mit Mascha Drost · 09.03.2022
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John Cale ist 80 Jahre alt geworden. Der Musiker schuf mit "The Velvet Underground & Nico" eines der folgenreichsten Pop-Alben und hatte darüber hinaus großen Einfluss auf die Musikgeschichte. Noch immer ist er aktiv.
Die Legende zu dem ersten Album von „The Velvet Underground & Nico“, in der Besetzung Lou Reed, John Cale, Mo Tucker und Sterling Morris sowie der deutschen Sängerin Nico, bürgerlich Christa Päffgen, geht so: Gekauft haben das Album damals in den 60-ern nur ein paar Tausend Leute, aber alle haben daraufhin Bands gegründet und selber Musik gemacht.
Das Album, von dem Popkünstler Andy Warhol produziert und 1967 von Verve Records veröffentlicht, war ein riesiger Schritt weg vom klassischen Popsong im Boy-Meets-Girl-Schema, sagt der Kritiker Klaus Walter. Das berühmte Album mit dem Bananen-Cover brachte ganz neue Themen in die Musik.
Walter zitiert den Rockkritiker Lester Bangs mit den Worten: „Lou Reed ist der Typ, der Heroin, Speed, Homosexualität, Sadomasochismus, Mord, Frauenhass und Selbstmord mit Würde und Poesie und Rock’n’Roll versehen hat.“

Doo Wop mit Drones

John Cale und Lou Reed, der 2013 starb und die Texte für "The Velvet Underground & Nico" schrieb, seien ein ungleiches, gegensätzliches und dabei sehr produktives Paar gewesen, sagt Klaus Walter. Der Waliser Cale kam von der europäischen E-Musik-Avantgarde, war Schüler von John Cage. Lou Reed liebte den Doo Wop und das klassische Songwriting.
Moe Tucker, John Cale, Sterling Morrison und Lou Reed sitzen beziehungsweise stehen in einem weißen Raum. Sie tragen schwarze Kleidung, Lou Reed rechts eine Sonnenbrille. Sie haben ihre Instrumente und Verstärker bei sich.
Moe Tucker, John Cale, Sterling Morrison und Lou Reed (v.l.n.r.) bildeten "The Velvet Underground".© Apple+
Der Kritiker Didi Neidhart hat einmal gesagt, Velvet Underground sei im Grunde Doo Wop mit Drones. In der Minimal Music versteht man unter Drones lang gehaltene Töne; ein Pionier der Drones war La Monte Young, der mit seinem Theatre Of Eternal Music fast wie eine Rockband auftrat.
Tilman Baumgärtel, der das Buch „Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loop“ schrieb, sagt, John Cale habe die Technik der Drones in den Rocksound von Velvet Underground eingeführt: den etwas schwer zu ertragenden, nervenden Bratschenklang mit lang gehaltenen Tönen. Das war eine Soundrevolution.

Toll nervende Bratschenklänge

Die Idee, eine Bratsche elektronisch zu verstärken, stammt laut Baumgärtel von Tony Conrad. Der sei einer der Theatre Of Eternal Music-Mitgliedern gewesen, die stundenlang, nächtelang nur wenige Töne gespielt haben, elektronisch verzerrt, sehr laut. „Da ist in gewisser Weise der Sound von Velvet Underground ein Stück weit vorweggenommen worden“, sagt Baumgärtel.
Tony Conrad und John Cale waren befreundet, womöglich hat John Cale auch kurzzeitig selbst bei diesen Allnightern, den langen nächtlichen Konzerten, mitgespielt oder er hat sie zumindest gehört, so Baumgärtel.

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Das nervendste – auf tolle Art nervendste, betont Klaus Walter – Stück mit diesem Bratschenklang bei Velvet Underground sei „Venus in Furs“: Die Bratschen-Drones sind sehr dominant und korrespondieren mit dem Thema das Songs: „Venus in Furs“ ist inspiriert von dem berühmten gleichnamigen Roman von Leopold Sacher-Masoch, „Venus im Pelz“, quasi ein Gründungsdokument des literarischen Sado-Masochismus.
Tilman Baumgärtel sagt, dass die Bratsche von John Cale sich ins Trommelfell einschneidet wie die Sex-Werkzeuge beim SM-Sex sich ins Fleisch des Opfers bohren.

Produktionen von Stooges bis Patti Smith

Nach zwei Alben hat John Cale The Velvet Underground verlassen. „Die Band war zu klein für zwei so große Egos – und so gegensätzliche Egos“, sagt Klaus Walter. Lou Reed habe den Führungsanspruch bei Velvet Underground gehabt und ihm seien die musikalischen Ideen von Cale zu exzentrisch und zu abwegig gewesen.

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Seit Ende der 60er-Jahre ist Cale also solo unterwegs, zudem ist er aber auch Produzent und entwickelte als solcher großen Einfluss auf die Popgeschichte.
Er hat bahnbrechenden Alben produziert, 1969 das Debüt der „Stooges“ mit Iggy Pop, mehrere Platten von Nico, auch das Debüt der Modern Lovers mit Jonathan Richman und 1975 „Horses“, das erste Album von Patti Smith. Mit diesen Alben war Cale ein Wegbereiter von Punk und New Wave.

Wechselhafte Solokarriere

Die Solokarriere war sehr wechselhaft: Er hat viel ausprobiert, es gab nie Stillstand, er hat immer wieder versucht zu verbinden, zu verknüpfen, was laut Regelbuch nicht zusammengehört, wie Klaus Walter erläutert, etwa das europäische Kunstlied mit einer Proto-Punk-Haltung. Und er war natürlich auch ein begnadeter Songwriter.
Einer dieser Songs, in denen er sein Klavier quasi punkmäßig traktiert und der auch vom Text her wie eine Blaupause von Punk und New Wave klingt ist „Fear is a man´s best friend“ von 1974.

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Sophia Kennedy, ursprünglich aus den USA, jetzt Hamburgerin, sagt, John Cale sei für sie eine wichtige Inspiration gewesen für die Frage, wie man das Klavier in der Popmusik benutzt, weil er eine spröde Art habe, Klavier zu spielen. „Eine eckige, simple Art, die aber sehr kraftvoll ist und energetisch", sagt die 32-jährige Musikerin und Produzentin. Sie habe etwa intensiv Cales Platte „Paris 1919“ gehört, aber auch das gemeinsame Album von Cale und Lou Reed "Songs for Drella“.
John Cale hat also Einfluss auf Nachgeborene, die seine Enkel sein könnten, und wirkt auch so weiter. Er ist aber mit 80 auch immer noch aktiv, als Produzent wie als Solo-Künstler. Gerade hat er angekündigt, im Sommer wieder auf Tournee zu gehen.
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