Jochen Hörisch: „Poesie und Politik. Szenen einer riskanten Beziehung“

Und sie wissen es auch nicht besser

Cover von Jochen Hörischs „Poesie und Politik. Szenen einer riskanten Beziehung“
© Carl Hanser

Jochen Hörisch

Poesie und Politik. Szenen einer riskanten BeziehungCarl Hanser Verlag, München 2022

158 Seiten

24,00 Euro

28.07.2022
Schriftsteller und Dichterinnen werden oft nach ihrem politischen Urteil gefragt. Dass sie damit häufig daneben liegen, zeigt der Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch an historischen Beispielen. Eine unpolitische Literatur fordert er dennoch nicht.
Lässt sich die Poesie mit der Politik ein und legt sich zu ihr ins frisch gemachte Bett, dann endet eine solche Liaison für die Literatur häufig enttäuschend. Daran erinnert Jochen Hörisch in seinem Essay „Poesie und Politik“, in dem er unter anderem auf Luise Rinsers Hitler-Eloge von 1935 und auf Johannes R. Bechers Stalin-Hymne verweist. Die Werke beider Autoren nahmen durch diese Ergebenheitsbekenntnisse erheblichen Schaden.

Politische Inkompetenz 

Anhand zahlreicher Beispiele belegt Hörisch politische Fehleinschätzungen von Schriftstellern, wobei er zugleich nach den dafür maßgebenden Gründen fragt. Warum lagen sie so häufig falsch? Gerhart Hauptmann und Thomas Mann waren Befürworter des Ersten Weltkriegs. Ferdinand Céline, ein großartiger Romancier, verfasste antisemitische Pamphlete, Ezra Pound lobte Hitler für die Judenverfolgung.

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Die Liste der Autoren, die sich auf das Feld des Politischen begaben und dort die Orientierung verloren, ist lang. Schriftsteller, so konstatiert Hörisch, verfügen über kein besseres Urteilsvermögen als andere Menschen. Auch sie sind verführbar, vor allem dann, wenn sie als Dank für politisches Engagement mit Ruhm und Anerkennung rechnen dürfen.

Goethe konnte auch Politik

Dass berühmte Autoren allerdings auch kluge Politiker sein können, für die Bestätigung dieser These wendet Hörisch seinen Blick nach Weimar. Goethes Wirken als Minister für Berg- und Wegebau und als Verantwortlicher für das Militär zeige, dass Schriftsteller keine schlechten Politiker sein müssen, meint er.
Goethe bekam für seine Arbeit viel Lob. Erwähnenswert aber wäre durchaus gewesen, dass er auch deshalb nach Italien geflohen war, weil ihm die Ämter kaum noch Zeit zum Dichten ließen. Und auch auf Emile Zola geht Hörisch ein, den aufrechten Intellektuellen, der sich in der Dreyfus-Affäre für den des Verrats angeklagten französischen Offizier einsetzte und Position gegen das politische Herrschaftssystem bezog.
Im Hinblick auf ihre politische Weitsicht erweisen sich Schriftsteller, so Hörisch, oft als unsichere Kandidaten. Man sollte sich besser nicht an ihnen orientieren. Es sei denn, man hält sich an die Widersprecher, also an jene, die sich mit der Politik überwarfen – wie Zola.
Für eine Literatur jenseits des Politischen spricht sich Hörisch dennoch nicht aus. Doch sollten Werke von politischer Urteilskraft auch über ästhetische Qualitäten verfügen. „Andienen“ an die Politik müsse sich die Literatur nicht.

Kurzweilig und anregend

Jochen Hörisch hat ein kurzweiliges Buch geschrieben, mit dem er in Zeiten des Krieges zum Nachdenken anregt. Gerade gegenwärtig positionieren sich Schriftsteller im Ukraine-Krieg auf unterschiedlichen Seiten – die Befürworter von Waffenlieferungen kritisieren diejenigen, die für die Aufnahme von Verhandlungen plädieren.
Politiker und Poeten, so merkt Hörisch an, sind „Dilettanten“. Wenn dies stimmt, wofür einiges spricht, bleibt es eine Herausforderung, im Dschungel der täglich geäußerten Meinungen nicht den Überblick zu verlieren. Keine noch so vertrauensvolle Gefolgschaft schützt vor Irrtümern. Hörischs Essay erweist sich bei dieser Orientierungssuche als eine brauchbare und hilfreiche Handreichung.
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