Joan Didion: „Was ich meine“

Das Manipulative der Sprache offenlegen

12:16 Minuten
Porträt der US-amerikanischen Journalistin, Schriftstellerin und  Drehbuchautorin Joan Didion in ihrem New Yorker Apartment. Im Hintergrund sind verschwommen Bilder ihrer Tochter zu erkennen.
Einzigartiger Schreibstil: Aus etwas Persönlichem oder einer sprachlichen Beobachtung entsteht in Joan Didions Texten eine Gesellschaftsanalyse. © picture alliance / AP Photo / Kathy Willens
Antje Rávik Strubel im Gespräch mit Joachim Scholl · 24.02.2022
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Posthum ist mit „Was ich meine“ ein Essayband der Schriftstellerin Joan Didion erschienen. Der Band zeige, wie die US-Amerikanerin von der Sprache ausgehend gesellschaftliche Phänomene seziere, sagt Übersetzerin Antje Rávik Strubel.
Als die US-amerikanische Journalistin, Schriftstellerin, Essayistin und Drehbuchautorin Joan Didion kurz vor Weihnachten im Alter von 87 Jahren starb, war die Trauer groß. Viele Nachrufe betonten die außergewöhnlich hohe Prägekraft, die enorme intellektuelle und literarische Wirkung der Romane und publizistischen Arbeiten der Autorin.
Einen Querschnitt ihrer Essays über vier Jahrzehnte gibt es jetzt auf Deutsch: „Let me tell you what I mean“ heißt nun „Was ich meine“. Übersetzt hat sie die aktuelle Trägerin des Deutschen Buchpreises, Antje Rávik Strubel.

Von der Migräne zur Gesellschaftsanalyse

Es sei immer eine Freude, an den Werken Joan Didions zu arbeiten, sagt Strubel, die auch das Vorwort zu dem Band schrieb. Joan Didion habe einen einzigartigen Schreibstil. Dadurch sei sie überhaupt auf die Autorin aufmerksam geworden, so Strubel.
„Ich hatte das Buch 'Demokratie' in einem Antiquariat gefunden, schlug es auf, las die ersten zwei Seiten und war völlig gebannt, weil ich den Eindruck hatte, diese Art von Stil hatte ich noch nirgendwo gelesen. Das ist einfach eine absolut präzise Autorin mit einem unbestechlichen Blick.“
Joan Didion sei immer ganz nah bei sich selbst, also sehr persönlich und nah am Gegenstand – gleichzeitig nehme sie aber eine große Distanz dazu ein. Beispielsweise werde eine Migräne, die sie hat, zum Anlass, über diese Migräne nachzudenken. „Und am Ende konstatiert sie der Gesellschaft eine Migräne.“
Dass so aus etwas ganz Persönlichem eine gesellschaftliche Analyse werde, mache Didion so spannend, erklärt Antje Rávik Strubel.

Nancy Reagan beim Blumenpflücken

Auch die in dem Band versammelten zwölf Essays aus den Jahren 1968 bis 2000 seien in dieser Art für Didion sehr typische Texte, erklärt Antje Rávik Strubel. „Sie gehen immer von der Sprache aus und nehmen trotzdem gesellschaftliche oder kulturelle Phänomene unter die Lupe.“
Beispielsweise gehe es um ein Treffen von Kriegsveteranen, das sie besucht. Oder darum, dass sie in einem Essay aus dem Jahr 1968 sagt, die behauptete Objektivität der Presse sei eben nur eine behauptete, weil letztendlich jeder Zugang zu einem Text immer ein subjektiver ist. Damals sei das ein Thema gewesen angesichts des aufkommenden New Journalism, der von einem subjektiven Ansatz ausgeht.
In einem anderen Essay schreibt sie über ihren Besuch bei Nancy Reagan, bei dem sie „Nancy Reagan eigentlich als Privatperson begegnet und dabei zuschaut, wie sie Blumen pflückt, das strotzt quasi vor Banalität“.
Dazu müsse man aber wissen, betont Strubel, dass Didion schon mit dem Einzug Ronald Reagans ins Weiße Haus das Aufkommen einer Neuen Rechten beobachtet habe, die zum Aufstieg des Populismus und letztendlich zu Donald Trump geführt habe.

Bewusstsein der Vergänglichkeit führt zu Genauigkeit

Im Grunde beruht ihr Schreiben auf drei Komponenten: der kalifornischen Herkunft, einer großen Sprachskepsis und dem Wissen um das Vergängliche, um die Allgegenwärtigkeit des Todes. Diese drei Dinge sind das Brennglas ihrer Überlegungen.

Aus Antje Rávik Strubels Vorwort zu Joan Didions Essayband „Was ich meine“

Joan Didion denke oft vom Ende her, so Strubel. „In der Vorstellung, dass alles vergänglich ist, sieht sie es als eine moralische Pflicht an, unsauberes Denken offenzulegen, auch das Manipulative der Sprache offenzulegen.“
Sie schaue sich genau an: Wie sprechen wir? Und das beziehe sich sowohl auf den Alltag als auch die Politik. Sie schaue sich die Struktur der Sätze an, denn: Je nachdem, wie ein Satz gebaut werde, verschiebe sich die Bedeutung. „Schon in dieser sprachlichen Form steckt etwas Manipulatives. Diese Todesallgegenwart führt zu einer absoluten Genauigkeit.“

Die Gier hinter der bewunderten Härte

Joan Didions kalifornische Herkunft komme ins Spiel, wenn es um Themen wie den amerikanischen Traum geht. In „Woher ich kam“, einem früheren Buch, beschreibe sie die ersten Siedler dieser Gegend, ihre Fähigkeit und ihre Härte, was immer als positiv betrachtet wurde.
„Sie entlarvt aber eine Gier und eine Rücksichtslosigkeit, die dahinter steht. Aber sie macht das immer, indem sie sich die Sprache anguckt. Das finde ich interessant“, sagt Strubel.
(abr)

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