Jens Soentgen: „Staub. Alles über fast nichts“

Das flüchtige Fundament der Welt

Das Cover des Buches von Jens Soentgen "Staub. Alles über fast nichts". Es zeigt die mikroskopisch vergrößerte Aufnahme von Staub vor einem schwarzen Hintergrund, unten ist der Autor eingeblendet.
© dtv

Jens Soentgen

Staub. Alles über fast nichtsdtv, München 2022

192 Seiten

15,00 Euro

Von Thomas Gross · 08.11.2022
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Staub ist überall: in Blüten, in der Wohnung, sogar im Weltall. Leider auch in Luft und Lunge. Der Umweltwissenschaftler Jens Soentgen geht der Frage nach, was mikroskopisch kleine Materie über das Große und Ganze verrät.
Ausgerechnet Staub. Haben wir derzeit nicht Wichtigeres zu tun als über winzige Schwebeteilchen in der Luft nachzudenken? Ist der Staub jenseits seiner Existenz als Ärgernis überhaupt ein ernst zu nehmender Reflexionsgegenstand? - Das sind Fragen, die einem kommen können, wenn man ein Buch zur Hand nimmt, das maßgeblich von Wollmäusen, Kleinstflusen und anderen Petitessen handelt. Schon auf den ersten Seiten allerdings wird klar, dass wir es mit einem Überzeugungstäter zu tun haben. Für Jens Soentgen, Leiter des Wissenschaftszentrums Umwelt an der Uni Augsburg, ist die Welt „wesentlich auf Staub gebaut“.

Grenzgänger zwischen Nichts und Etwas

Man muss ja nicht gleich theologisch werden – obwohl in dem Bibelspruch „Asche zu Asche, Staub zu Staub“ noch immer mehr als nur ein Körnchen Wahrheit steckt. Auch philosophisch gibt der Staub einiges her. Soentgen versteht ihn als Grenzgänger zwischen Nichts und Etwas, ein Minimalobjekt, das freilich gerade aufgrund dieser Eigenschaften eine ungeheure Mobilität aufweist. Der Staub ist der Nomade der Dingwelt, er reist mit dem Wind, dem Regen, den Flügeln und Mägen der Tiere. Nimmt man noch hinzu, dass auch Aerosole Stäube sind – Wasserperlen, die Viren transportieren können –, sind wir tatsächlich ziemlich schnell bei ziemlich aktuellen Problemlagen gelandet. Der Staub: ein Riesending.
Nicht, dass alles schlecht an ihm wäre, im Gegenteil. Als Blütenstaub sorgt er für Ernten, als Dunst für ein stimmungsvolles Abendrot, als Sternenstaub stürzt er inspirativ vom Himmel. Lehm-, also Staubböden zählen zu den fruchtbarsten überhaupt. Den gemeinen Hausstaub nicht zu vergessen, der trotz seiner Tendenz zur Zusammenrottung in der Regel eher eklig als gefährlich ist. Erst die Industrialisierung verdirbt dem Staub seine Positivbilanz: Als Ruß verpestet er die Atemluft, als Feinstaub schließlich kann ihn kein Filterhärchen mehr aufhalten auf seinem Weg in die Tiefen der Lunge.

Die Sendung mit der Wollmaus

All diesen scheinbaren Epiphänomenen lässt Soentgen Gerechtigkeit widerfahren, indem er sie mit Akribie, Sinn fürs Poetische und durchaus einer gewissen Zuneigung unters Mikroskop legt. Immer jedoch geht es darum, gerade im Allerkleinsten das große Ganze sichtbar zu machen.

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Das dabei entstehende Bild ist mal zart, mal drastisch, stets aber höchst anschaulich. Man könnte sich den Autor auch gut als Moderator eines Wissenschaftsmagazins vorstellen: die Sendung mit der Wollmaus, geeignet für Kinder zwischen 9 und 99, wäre... , ja wäre da nicht der Mahner, der dem Unterhalter immer mal wieder ins Wort fällt. Es ist letztlich eine Kritik der instrumentellen Vernunft, die hier so originell wie sachkundig vorgetragen wird: Je mehr Staub der Mensch mit seinen Produktionen aufwirbelt, desto heftiger sägt er am Ast seiner angemaßten Herrlichkeit.
Die gute Nachricht dabei: Manches scheint reversibel. Dicke Luft kann auch wieder dünner werden, erste Schritte sind mit Feinstaubfiltern, Dachbegrünungen und anderen regenerativen Maßnahmen bereits in die Wege geleitet.

Ich staube, also bin ich

Jetzt die schlechte Nachricht: Besiegen lässt sich der Staub nicht. Umweltfreundliche Städte bleiben böhmische Dörfer, solange in anderen Weltgegenden munter weiter die Öfen glühen. Da helfen auch keine Hi-Tech-Sauger, als global player holt der Staub uns überall ein. Doch auch wenn es gelänge, absolut staubfreie Zonen zu schaffen, bliebe ein Problem bestehen: wir selbst. Neuesten Forschungen zufolge emittiert ein durchschnittlicher Mensch um die 10.000 Staubpartikel pro Minute. Man muss den Staub also wohl oder übel zu den Grundbedingungen menschlicher Existenz zählen: Ich staube, also bin ich.
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