Staub

Ein lästiger, nützlicher Stoff

08:03 Minuten
Ein Mann reibt Mehl zwischen seinen Händen, dabei entsteht eine weiße Staubwolke.
Was immer wir tun - es entsteht Staub. © imago / Panthermedia / foodandmore
Von Susanne Billig · 02.01.2020
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Staub nervt, macht krank, treibt manche in den Putzwahn: Hoffnungslos, denn er ist überall. Allein aus dem Weltall schießen täglich 40 Tonnen Partikel auf die Erde. Mit ihrer Hilfe wollen Forscher mehr über den Ursprung unseres Sonnensystems erfahren.
Sie schweben in der Luft – feine, feinste, ultrafeine Partikel, vom menschlichen Auge kaum zu sehen. Ein menschliches Haar ist 0,8 Millimeter dick und damit fünfzigmal dicker als ein Staubkorn der allergröbsten Kategorie. Feinstaub lässt sich sogar nur in Nanometern messen, also millionstel Millimetern.
Was immer der Mensch tut, pustet Stäube in den Himmel. Feuer machen, sägen, hämmern, bauen, graben, mahlen, pflügen, Auto fahren – es staubt. Selbst wer einfach nur umherläuft, zieht eine unsichtbare Staubwolke mit sich.
Mit dem Industriezeitalter hat das Aufwirbeln bedrohliche Ausmaße angenommen, wie jüngste Daten des deutschen Forschungsschiffes "Polarstern" zeigen: Tausend Kilometer nördlich von Sibirien ist die Atmosphäre bis in eine Höhe von zwölf Kilometern stark mit Schwebeteilchen aus Waldbränden, Industrieverschmutzung und Wüstenstaub belastet – die klimaerwärmte Arktis wirft offenbar wie ein großer Strudel, der die Luftverschmutzung der gesamten Nordhalbkugel ansaugt.

An den Objekten klebt noch Staub und Asche aus dem Krieg

Steffen Bock kämpft täglich mit Staub: "Staub ist überall, da kann man nichts gegen tun, wir können nur versuchen, den schädlichen Staub fernzuhalten von unseren Objekten."
Er arbeitet als Konservierer in der Säugetiersammlung des Museums für Naturkunde Berlin, wo er nicht weniger als 150.000 Präparate zu versorgen hat – vom einzelnen Mäusezähnchen bis zum großen Eisbärfell.
"Staub bedeckt Informationen, die Farbe wird vermindert, die Strukturen werden verdeckt", sagt Bock. "Wir können einzelne Merkmale nicht sehen. Zum Beispiel in der Säugetiersammlung haben wir Schädel, die sind handbeschriftet, da sind die Informationen auf dem Schädel drauf. Und wenn Staub auf diesem Schild drauf ist, dann können wir die Information nicht mehr lesen. Also, wir können dann das Objekt nicht mehr zu Katalogeinträgen zuordnen, wir müssen es also erst reinigen."
Seit dem Zweiten Weltkrieg, dessen Staub- und Aschespuren hier noch überall an den Objekten kleben, sind Steffen Bock und sein Team tatsächlich die ersten, die die Säugetiersammlung wieder putzen. Vorsichtig, denn auch im Museum steckt der Staub voll von Giften – Motten- und Milbenkot, Schwermetallen, Pestiziden, Ruß und Feinstaub. Winzige Staubpartikel können bis in das letzte Lungenbläschen vordringen, einige Krebs, andere Allergien auslösen oder die Gerinnungsfähigkeit des Blutes verändern.

Die Forscher sammeln auch den Museumsstaub

Gut geschützt rücken die Forscher den Hörnern, Skeletten und Fellen je nach ihrer Empfindlichkeit mit Pinselchen, feuchten Tüchern oder speziellen Reinigungsmaschinen zu Leibe – Filter verhindern, dass der Schmutz erneut durchs ganze Haus weht. Für diese Arbeit brauchen sie Jahre und Jahrzehnte – sie endet nie.
"Wir haben vor drei Jahren angefangen, die Geweih- und die Gehörnsammlung zu reinigen, das sind ungefähr 4600 Objekte, und dafür haben wir tatsächlich über drei Jahre gebraucht, um die alle aufzunehmen und zu reinigen", erklärt Bock.
Weil Forscher in so einem Naturkundemuseums akribische Sammler sind, wirft er den Staub nicht einfach weg. Wer weiß, manch ein Staubkorn stammt vielleicht noch von den Schuhsohlen Alexander von Humboldts:
"Dafür brauchen wir jetzt nicht jeden Staub, also es muss nicht jeder Staub gerettet werden, aber es ist für eine grundsätzliche Untersuchung schon mal interessant, was in dem Staub drin ist. Wir haben jetzt kein ganzes Staublager und wir haben jetzt auch keine große Sammlung nur mit Staub. Aber zu jedem Objekt, wo wir sehen, da ist Staub, gibt es wahrscheinlich noch kleine Gläschen, die neben dem Objekt liegen, mit dem Staub."

40 Tonnen Partikel kommen täglich aus dem All

An die 90 Prozent des weltweiten Staubes entsteht auf natürliche Weise – wenn Vulkane explodieren, Buschbrände die Vegetation verjüngen oder tote Tiere und Pflanzen zerbröseln. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Pflanzen nutzen Blütenstaub, um sich fortzupflanzen. Aufgewirbelter Bodenstaub trägt Nährstoffe weiter. Die Staubverwehungen der Sahara versorgen die Ozeane der Erde mit lebensnotwendigem Eisen und den Amazonasregenwald mit Phosphat. Jeder Regentropfen, jede Schneeflocke, die vom Himmel fallen, brauchen ein festes Partikelchen, an das sie sich heften können. Und wenn abends die rote Sonne so romantisch am Himmel versinkt – es liegt am Staub in der Atmosphäre.
Lutz Hecht posiert für ein Foto.
Geowissenschaftler Lutz Hecht sammelt Mikrometeorite. © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Natürlicher Staub kommt auch von ganz weit her, aus dem Kosmos. Tag für Tag schießen 40 Tonnen Mondstückchen, Kometen- und Asteroidenpartikel auf die Erde, schneller als Gewehrkugeln. Die größeren verwandeln sich in Sternschnuppen. Die kleineren schweben, von der Atmosphäre gebremst, zu Boden und vermischen sich mit dem Erdenstaub.
"Man kann durchaus von so einem großen Flachdach etwa hundert Kilo Material zusammenfegen. Also es ist tatsächlich so: Man fängt an, mit dem Besen das, was sich auf dem Dach angesammelt hat, zusammenzufegen, dann aber schon möglichst auf dem Dach zu reduzieren in der Menge, man möchte ja nicht hundert Kilo vom Dach runter tragen", sagt Lutz Hecht, ebenfalls Wissenschaftler am Museum für Naturkunde. Er möchte wissen, wie alles entstand, die Erde, die Sonne, das Sonnensystem, der ganze Kosmos.
Im Rahmen seines aktuellen Forschungsprojektes sammelt er Mikrometeorite – staubkornkleine Asteroidenstücke, die Auskunft geben sollen über den Ursprung des Sonnensystems. Bis vor kurzem mussten Astronomen dafür noch aufwendig in die Arktis reisen. Heute reicht es hierzulande, auf ein Flachdach zu klettern.
"Der große Vorteil, den wir interessanterweise haben im urbanen Bereich, ist, dass wir die Ablagerungen besser datieren können", erklärt Hecht. "In der Arktis haben Sie eine Ansammlung über viele tausende oder Millionen Jahre, je nachdem wie alt das Gebirge ist, auf dem sich die Mikrometeorite abgelagert haben. Hier in den städtischen Bereichen können wir ganz genau sagen: Das maximale Alter eines Daches ist, wenn das Gebäude gebaut wurde. Das heißt, wir werden auch versuchen, gezielt die Dächer unterschiedlichen Alters zu untersuchen, um zu sehen, ob sich der Eintrag kosmischer Materie verändert, auch stofflich verändert über die Zeit."

Bürgerwissenschaftler sammeln Berliner Staub

Inzwischen trainieren Lutz Hecht und sein Team etliche interessierte Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler darin, den Berliner Staub korrekt einzusammeln und mit technischen Raffinessen aus den vielen Kilo Staub die wenigen, winzigen Asteroidenbruchstücke auszusieben:
"Man kann viel falsch machen. Man kann zum Beispiel sagen, ich hab hier einen Staub, aber ich weiß nicht, ich hab einfach mehrere Dächer zusammengefegt und meinen Garten auch noch dazu genommen, nur mal, um ein Beispiel zu nennen, dass ich einfach Proben vermische, viele Orte miteinander zusammenmische – die Dokumentation, die saubere Dokumentation, ist eine ganz wichtige Voraussetzung dafür, dass wir arbeiten können damit."
Die Forscher hoffen, dass ihr Projekt ausstrahlt und Menschen in ganz Europa und sogar weltweit damit beginnen, Sternenstaub auf Mauern und Dächern aufzuspüren. Vielleicht ist so viel wissenschaftliche Liebe zum Staub ja ein Trost für alle, die zu Hause am Staub verzweifeln. Denn so sehr man auch lüftet und putzt und wischt – los wird man ihn nie. Aus kosmischer Perspektive ist die gesamte Erde letztlich nichts anders als – zusammengebackener Staub.
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