Jaroslav Rudiš über "Winterbergs letzte Reise"

Mit dem Baedeker unterwegs zu den Schlachtfeldern

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Jaroslav Rudiš im "Lesart"-Interview zu seinem Roman "Winterbergs letzte Reise" auf der Leipziger Buchmesse 2019
Jaroslav Rudiš im "Lesart"-Interview zu seinem Roman "Winterbergs letzte Reise" auf der Leipziger Buchmesse 2019 © Deutschlandradio / Andreas Wünschirs
Jaroslav Rudiš im Gespräch mit Joachim Scholl · 21.03.2019
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Durch wunderschöne Landschaften geht "Winterbergs letzte Reise". Die sind aber ohne die Erinnerung an die Kriege in Mitteleuropa nicht zu denken. Der Baedeker von 1913 spielt dabei eine große Rolle - ebenso das tschechische Bier, verrät der Autor Jaroslav Rudiš.
Joachim Scholl: Diese Buchmesse, die steht ja im Zeichen von Tschechien, dem Gastland in diesem Jahr, und von dort kommt ein Schriftsteller, der mittlerweile auch bei uns zu den bekanntesten und beliebtesten tschechischen Autoren gehört. Mit seinem neuen Roman ist er für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Heute Nachmittag, Herr Rudiš, ist die Entscheidung. Wie gespannt ist man denn da? Wäre ja schon eine Sache.
Rudiš: Mit sowas kann man gar nicht rechnen, sonst kann man nur enttäuscht werden. Also ich habe mich riesig über die Nominierung gefreut, weil das ist mein erster Roman, erstes Buch, was ich auf Deutsch geschrieben habe, und es ist ein dickes Buch. Es ist auch eine lange Reise, die die beiden Herren machen. Und gleich nominiert zu werden, ich habe das nicht geglaubt tatsächlich.

Kafka und Hašek als Lieblingsautoren

Scholl: Da kommen wir gleich drauf auf das Deutsche in diesem Roman. Sie vertreten in diesen Tagen ja gewissermaßen auch Ihre Heimat. Wie bewusst ist Ihnen eigentlich dieses Gefühl, wie stark, ein tschechischer Schriftsteller zu sein, der ja auch in dieser großen literarischen Tradition steht, in der gerade das Deutsche wieder so eine Rolle spielt – Stichwort Kafka natürlich?
Rudiš: Na klar.
Scholl: Wie ist das für Sie hier so in Leipzig? Sehen Sie sich so ein bisschen?
Rudiš: Ich habe jetzt gerade so ein Blitzinterview für Twitter, für Deutschlandfunk Kultur gemacht, und dann die Frage war auch meine Lieblingsautoren, und da muss ich immer zwei nennen, die 1883 in Prag geboren sind: Franz Kafka und Jaroslav Hašek. Der eine hat auf Deutsch geschrieben, der andere hat auf Tschechisch geschrieben.
Scholl: Der "Schwejk"-Autor.
Rudiš: Genau, und ich meine, wenn ich an mein Schreiben denke, dann sind das diese beiden Autoren, und diese auch gewisse Zweisprachigkeit von Böhmen, von Prag ist mir und war mir immer wichtig, deshalb spreche ich auch Deutsch. Nur wenn man die beiden Sprachen spricht, kann man das Land und die Geschichte von Mitteleuropa, von unserem Teil von Europa auch irgendwie verstehen. Davon handelt auch diese Geschichte.
Scholl: Kann man heute denn überhaupt noch von einer tschechischen Literatur allgemein sprechen? Gibt es so typische verbindende Gemeinsamkeiten, so eine Art literarisches Nationalgefühl?
Rudiš: Das ist eine interessante Frage. Also dafür ist die tschechische Literatur schon so ziemlich breit aufgestellt, so wie die Literatur. Es passiert wahnsinnig viel. Sie haben auch hier zur Buchmesse wirklich die Gelegenheit, wirklich ganz tolle Autoren auch hier kennenzulernen. Tereza Semotamová, war ein wunderbaches Buch von ihr, "Im Schrank", unglaublich witzig, absurd, grotesk, so kafkaesk, aber dann auch tolle Dichter wie Petr Hruška kommen nach Leipzig. Das ist sehr, sehr vielfältig die tschechische Literaturszene, und das ist auch gut so.

"Die deutsche Sprache gehört zu Liberec und zu Böhmen"

Scholl: Kommen wir mal zu dem Deutschen in Ihnen, Jaroslav Rudiš. Also "Winterbergs letzte Reise", der neue Roman, den Sie erstmals auf Deutsch geschrieben haben, wie war das denn?
Rudiš: Eigentlich ziemlich leicht. Also Deutsch ist nicht meine Muttersprache, ich bin Tscheche, aber trotzdem, ich komme aus dem Grenzgebiet, aus der Nähe von Liberec, und ich habe Geschichte studiert und Germanistik, wollte eigentlich zur Eisenbahn, das hat nicht geklappt, aber so bin ich Schriftsteller geworden. Ich komme aus einer Eisenbahnerfamilie, aber die Eisenbahn spielt in diesem Roman eine ganz, ganz große Rolle. Die deutsche Sprache gehört einfach auch zu Liberec und zu Böhmen, finde ich, und für mich ist das ganz, ganz wichtig, in beiden Sprachen unterwegs zu sein. Das bereichert einen auch schon.
Autor Jaroslav Rudiš im Gespräch mit Moderator Joachim Scholl, der in einem alten Baedeker-Reiseführer blättert auf der Buchmesse in Leipzig 2019
Autor Jaroslav Rudiš mit Moderator Joachim Scholl, der in dem alten Baedeker-Reiseführer blättert, mit dem Winterberg reist.© Deutschlandradio / Andreas Wünschirs
Scholl: Ein junger Mann reist mit einem richtig alten Mann durch das südöstliche Europa. Es ist eine Art Sterbebegleitung, also von Wenzel Winterberg. So heißt der Held und der Patient, wenn man so will, 99 Jahre alt, aber ein voll rüstiger Greis und eine herrliche Figur, die mit einem Baedeker des Jahres 1913 ausgestattet ist. Herr Rudiš hat es mitgebracht. Es gibt es tatsächlich. So nimmt dieses Paar europäische Geschichte in den Blick. Ich bin jetzt hier schon ganz fasziniert, wenn ich das hier durchblättere. Um Gottes Willen, wie klein geschrieben ist das denn!
Rudiš: Es ist klein geschrieben.

Sehr komplexe Geschichte von Mitteleuropa

Scholl: Das ist ja der Wahnsinn. Was war zuerst da, Herr Rudiš, dieses Buch oder Wenzel Winterberg?
Rudiš: Dieses Buch war auf jeden Fall da, und ein Freund von mir, der an der Geschichte leidet und der mit diesem Buch … ihm ist das Buch auch gewidmet. Egbert heißt er, er kommt aus Leipzig übrigens, und Egbert reist mit diesem Baedeker durch die ehemalige Doppelmonarchie und holt diese Geschichte zurück, so wie das Winterberg tut, also diese sehr komplexe Geschichte von Mitteleuropa.
Übrigens auch Sachsen spielt da eine ganz, ganz große Rolle, die Eisenbahn, das Eisenbahnnetz von Mitteleuropa. Ich habe in meinem Arbeitszimmer eine riesige Karte vom Eisenbahnnetz von der Doppelmonarchie von 1911, und man ist erstaunt, wenn man diese Reise macht, also mit den beiden Herren und mit diesem Baedeker, wie viel davon immer noch da ist, zu sehen ist, die ganzen Motels und Eisenbahnen.
Scholl: Sind Sie selber gefahren, Herr Rudiš?
Rudiš: Ja, klar, freilich.
Scholl: Also mit dem Baedeker haben Sie diese Route abgefahren?
Rudiš: Mit dem Baedeker in der Hand bin ich auch … nur die Hotels ausgesucht, die in dem Baedeker erwähnt werden. Ich bin auch in die Gasthäuser gegangen, die da erwähnt werden, und ich muss Ihnen eins sagen: die hier erwähnt werden und bis heute existieren, ab und zu heißen die auch anders, die sind wirklich immer noch sehr gut. Das weiß auch Winterberg. Das ist eine lange, lange Reise, melancholisch, aber auch hoffentlich sehr, sehr witzig.

Leichen, Ruinen und Friedhöfe

Scholl: Aber beide reisen auch sozusagen zu speziellen Orten, nämlich von Schlachtfeld zu Schlachtfeld kann man sagen, also von Königgrätz bis Austerlitz, und ein Satz kehrt immer wieder: "The beautiful landscapes of battlefields, cemeteries and ruins" – die wunderschönen Landschaften von Schlachtfeldern, Friedhöfen und Ruinen. Wenzel Winterberg sagt, das hat mir ein alter Engländer erzählt. Ob es den wirklich gab, ist egal, aber das ist so ein Leitmotiv geworden. Wo haben Sie diesen Satz her, und dann auf Englisch?
Rudiš: Aus einem englischen Baedeker für Böhmen um die Jahrhundertwende, ein bisschen anders formuliert, aber ich fand, das ist unfassbar, diese drei Wörter, das ist eigentlich die Geschichte von diesem Roman, diese wunderschöne mitteleuropäische Landschaft, aber man muss auch an die Leichen, an die Ruinen, an die Gräber und Friedhöfe immer denken, wenn man durch Mitteleuropa mit der Eisenbahn unterwegs ist. So ist dieses Buch dann entstanden.
Cover: "Jaroslav Rudis: Winterbergs letzte Reise" und Bahnfahrt
Cover: "Jaroslav Rudis: Winterbergs letzte Reise"© Luchterhand Literaturverlag / imago / Robert Fishman
Scholl: Sie haben gesagt, Herr Rudiš, dass es gerade bei diesem Roman ganz wesentlich war, dass Sie ihn auf Deutsch geschrieben haben, jenseits des großen Experiments, vermute ich mal. Warum war das so wesentlich?
Rudiš: Weil ich einfach mit dem Baedeker auch zusammengearbeitet habe. Ich habe lustigerweise nicht auf Tschechisch über dieses Buch nachgedacht, obwohl das so ein tschechisches Buch mit diesem Humor und Melancholie doch geworden ist. Übrigens, die Österreicher lieben das Buch sehr! Das ist schon erstaunlich, weil diese ganze K.u.K-Geschichte dann zurückgeholt wird. Die Lesungen in Österreich sind unglaublich wild, und da lachen sich die Leute tot. Das freut mich.

Tschechiens Kampf um das beste Bier

Scholl: Wird auch dabei getrunken? Weil eine Sache, die ab Seite eins wirklich förmlich ins Auge springt, muss ich noch ansprechen, das ist Bier.
Rudiš: Ja, "pivo".
Scholl: Die zwei, also vor allem der Junge haut was weg in diesem Roman ohne Unterlass, und es ist natürlich dann auch die Gretchenfrage, die muss ich jetzt Ihnen stellen: Was ist besser, Pilsener Urquell oder Budweiser? Beides wahnsinnig tolle tschechische Biere.
Rudiš: Beides ganz toll. Ich liebe beide, aber das ist wirklich so ein Krieg, der in Tschechien in jedem Gasthaus oft geführt wird, welches von diesen Weltbieren einfach das beste Bier auf der ganzen Welt ist, aber die beiden sind sehr gut, ja, und das weiß auch Winterberg, und das weiß auch Herr Kraus.
Scholl: Auf jeden Fall hat man bei diesem Roman zwei Sachen sofort: Erstens möchte man in den Zug steigen und sich gleich ein Budweiser-Bier aufmachen, auf jeden Fall.
Rudiš: Genau, am besten mit dem tschechischen Speisewagen!
Scholl: Genau, und wir sind gespannt, wenn der Roman dann ins Tschechische übersetzt wird von jemand anders wahrscheinlich.
Rudiš: Ja, das wird spannend.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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