Jana Hensel: "Keinland"

"Ich wollte gern über die Liebe schreiben"

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"Es ist auch ein Roman über Länder, über Herkunft, über Identitäten." © Deutschlandradio / Matthias Dreier
Jana Hensel im Gespräch mit Joachim Scholl · 24.08.2017
Der erste Roman "Keinland" von Jana Hensel erzählt von einer Liebe zwischen Berlin und Tel Aviv. Israel habe sie an die DDR erinnert, sagt die Autorin. Bekannt wurde sie 2002 mit ihren DDR-Erinnerungen "Zonenkinder".
Joachim Scholl: Jana Hensel ist in der DDR geboren, dort aufgewachsen. Wie sie und ihre Generation die Wende 1989 und die Zeit danach erlebten, hat sie in dem Band "Zonenkinder" beschrieben. Das Buch verkaufte sich zu Hunderttausenden und hat Jana Hensel den Weg in ein erfolgreiches journalistisches Leben geebnet. Sie schrieb und schreibt für große Zeitungen, Magazine, hat weitere Bücher veröffentlicht. Und jetzt legt sie ihr erstes belletristisches Werk vor, einen Roman. Willkommen, guten Tag, Jana Henzel!
Jana Hensel: Hallo!
Scholl: "Keinland" heißt das Buch. Wo liegt das denn, dieses Keinland?
Hensel: Das ist eine interessante Frage. "Keinland" wird zusammengeschrieben, der Romantitel. "Keinland", heißt es im Roman, "ein bisschen mehr als nur nichts". Es ist nicht kein Land, sondern es ist ein Keinland, also ein kleines Verbindungsstück zwischen diesen beiden Figuren. Nadja, eine Berliner Journalistin, Mitte 30, Martin, ein deutscher Jude, der inzwischen in Israel lebt, dessen Eltern den Holocaust überlebt haben. Und diese beiden, ich glaube, unbehausten Menschen versuchen, einander zu lieben. Mehr ist nicht drin als ein Keinland, ein bisschen mehr als nur nichts.

Mein Land, dein Land, kein Land

Scholl: Es wird immer variiert, dieses Keinland, mein Land, dein Land, und es wird auch immer ein "falsches Land" erwähnt. Da kommen wir gleich drauf. Ich möchte Sie was anderes fragen: Ganz offensiv steht "Ein Liebesroman" auf dem Umschlag. Da denkt man, hoi, das ist aber oberdeutlich. Wozu? War Ihnen das wichtig?
Hensel: Erstens bin ich ein großer Fan von Liebesromanen, und es gibt gar nicht so viele Liebesromane in der zeitgenössischen Literatur. Ich finde, Liebe ist ein großartiges Thema. Ich glaube, ich habe diesen Roman – und Sie haben es ja gesagt, das ist mein erster Roman – ich habe diesen Roman geschrieben, weil ich glaube, dass man in einem Roman besser über die Liebe erzählen kann, und weil ich gern über die Liebe schreiben wollte.
Scholl: Es wirkt wie ein Augenzwinkern. Es ist ein sehr ernstes und tiefgehendes Buch, und wenn da "Ein Liebesroman" drauf steht, habe ich gedacht, als ich es las, dachte ich, konterkariert es fast eigentlich so ein bisschen die ja doch sehr literarische und ernsthafte Herangehensweise, und als ob es so ein kleines Augenzwinkern von Ihnen wäre – guckt mal, ich schreibe einen Roman. Wie kam es denn überhaupt dazu?
Hensel: Ich sagte ja schon, ich hatte diesen Stoff, ich hatte diese Liebesgeschichte zwischen dieser jungen Deutschen und diesem etwas älteren Juden, die ich gern erzählen wollte. Aber es ist interessant, was Sie sagen. Es gibt großartige Liebesromane auch der anspruchsvollen Literatur. Ich habe zum Beispiel während des Schreibens sehr viel "Montauk" gelesen.
Scholl: Von Max Frisch.
Hensel: Ein Buch, das mich als Heranwachsende, Jugendliche sehr begeistert hat, war "Malina" von Ingeborg Bachmann. Das sind große Liebesromane. Meine Kollegen heute schreiben eher Gesellschaftsromane oder Familienromane. Wie gesagt – warum habe ich es auf den Titel genommen? "Keinland" ist vielleicht ein bisschen ein sperriger Titel. Ich mag den Titel sehr, aber es ist auch ein Roman über Länder, über Herkunft, über Identitäten, es ist auch ein Roman über die Schatten des Holocaust. Und da "Ein Liebesroman" drunterzuschreiben, ist mehr als nur ein Augenzwinkern.

"Israel hat mich an die DDR erinnert"

Scholl: Sie haben diese beiden Helden, die Protagonisten, schon genannt. Nadja und Martin, sie in den Dreißigern, auch eine Journalistin, aufgewachsen in der DDR, und er Anfang 50, Kind von Holocaust-Überlebenden, aufgewachsen in Westdeutschland, lebt jetzt in Tel Aviv. Die beiden begegnen sich und verlieben sich ineinander, und es beginnt eine traurige und doch leidenschaftliche Geschichte. Wo sind Ihnen diese beiden begegnet?
Hensel: Sie meinen, wo man solche Leute trifft? Ich bin in den letzten Jahren sehr viel nach Israel gereist, ein Land, das mich wahnsinnig fasziniert hat. Schillernder Ort von Geschichte und Geschichten. Und was mich am meisten fasziniert hat an diesem Israel, es hat mich irgendwie an die DDR erinnert. Ich weiß, dass manche das komisch finden, aber Israel ist auch ein Überbaustaat, und der Zionismus als eigentlich sozialistische Bewegung. Ich habe da mich eigenartigerweise fremd und gleichzeitig ein bisschen zu Hause gefühlt. Und ich wollte das alles erzählen, weil das Interessante an dieser Liebesgeschichte zwischen diesen beiden Figuren ist, dass sie sich ja extrem nahekommen, dass sie sich von Anfang an sehr nahe fühlen und doch immer wieder auch extreme Fremdheit zwischen ihnen beiden auftaucht. Und diese permanente Bewegung von Nähe und Distanz, von Anziehen und Abstoßen, das wollte ich erzählen. Und gleichzeitig lässt sich in dieser Liebesgeschichte über diese beiden Figuren auch deutsche Geschichte erzählen. Ich glaube aber, doch auf eine sehr lesbare Art, also auch auf eine sehr sinnliche Art.

"Lass uns ein Land gründen"

Scholl: Was man unglaublich gut versteht, ist so diese Parallelität zwischen Israel und dem Empfinden der alten DDR der Nadja. Es liegen ja nicht nur die Schatten der Vergangenheit über dieser Liebesgeschichte, sondern es liegen ja auch die Schatten der Gegenwart drauf. Man hat wirklich das Gefühl, man reist mit Nadja jetzt auch durch Israel und sieht es mit ihren Augen. Hier kommt immer wieder der Begriff vom "falschen Land". Das falsche Land, das war die DDR für Nadja. Da denkt man natürlich sofort an die Autorin. Ist das auch so eine Wiedervergewisserung von Ihnen selbst, dass Sie sagen, ich versuche das mal in dieser literarischen Form jetzt noch mal aufzunehmen? Ich habe mich ja da erinnert gefühlt an viele Texte, die Sie ja auch journalistisch geschrieben haben, wo Sie auch immer dieses Bewusstsein so anders entwickelt haben, eigentlich in einem falschen Zusammenhang zu leben auch.
Hensel: Ja, natürlich ist das mein Roman, und natürlich lebt es quasi auch aus mir, obwohl ich sagen würde, diese Nadja, gleichwohl sie eine Journalistin ist, das bin nicht ich. Ich habe da schon Figuren gestaltet. Aber wie geht man in Literatur mit solchen Sachen um wie zum Beispiel DDR-Herkunft? Nadja sagt auch an einer Stelle zu Martin, lass uns ein Land gründen. Und sie selbst sagt von sich, ich komme aus einem falschen Land. Martin hingegen kommt aus dem richtigen Land und flieht in das heilige Land, in das ihn heilende Land. Das falsche Land – das sind Dinge, die man – in einem journalistischen Text könnte ich das nie schreiben, aber in einem literarischen ist das etwas, ist es poetisch und assoziationsreich gleichermaßen. Es ist auch so unbestimmt, und der Leser hat darin so viel Raum. Für jeden hat es eine andere Assoziation. Damit zu arbeiten, fand ich unglaublich spannend.
Scholl: Die einzelnen Kapitel sind überschrieben mit "Höhlen", "Wälder", "Schluchten", "Wiesen", "Meere". Welche Bedeutung haben denn diese topografischen Bezeichnungen, habe ich mich gefragt?
Hensel: Ganz am Anfang sagt eben Nadja, lass uns ein Land gründen, endlich ein Land für dich, endlich ein Land für mich. Das ist ja eine unglückliche Liebesgeschichte. Daraus macht der Roman auch zu keinem Zeitpunkt ein Hehl. Er sagt von Anfang an, dass die beiden nicht zusammenkommen werden. Es ist eine Rückerinnerung über ein ganzes Jahr. Und am Ende – und ich greife da gar nicht voraus –, am Ende kann Nadja ganz trotzig behaupten, aber unser Land hat es gegeben. Und diese topografischen Kapitelbezeichnungen, "Höhlen", "Felder", "Wälder", das ist das Land, was sie gleichsam durch die Literatur, gleichsam durch ihren Text kreiert. Auch das ist etwas – also Literatur kann dieses Land dann bauen, das es in Wirklichkeit nie gegeben hat.
Scholl: Gut. Sie haben jetzt als Autorin es verraten dürfen, dass es eben nicht gut ausgeht. Ich hätte mir das jetzt versagt.
Hensel: Es gibt aber trotzdem einen Plot. Wir müssen sagen, es gibt trotzdem einen Plot.
Scholl: Nein. Es ist auch toll zu lesen. Ich muss Ihnen nur sagen, dass ich mich ehrlich gesagt am Ende über diesen Martin aufgeregt habe, weil er die Geschichte vergeigt.
Hensel: Das ist nett von Ihnen.
Scholl: Und ich war richtig sauer.
Hensel: Sie hätten sich in diese Nadja verliebt.

Hinter dem leichten Text steckt schwere Arbeit

Scholl: Ja, ich möchte immer, dass Menschen dann glücklich sind am Ende. Und sie ist wirklich eine tolle Figur. Und er – na ja, also. Man muss das Buch selber lesen. Wie ging es denn Ihnen jetzt mit diesem Roman? Man hat das Gefühl, Sie schwimmen da im Wasser, das ist Ihnen so natürlich wie eine junge Ente da schwimmen können – machen Sie jetzt plötzlich einen Roman.
Hensel: Ist das ein Kompliment gewesen?
Scholl: Ja, natürlich.
Hensel: Vielen Dank, nein, also das – nein. Dieser Roman hat 200 Seiten. Es ist ein kurzer Roman, es ist ein dichter Roman, es ist ein leicht erzählter Roman, aber darin steckt wahnsinnig viel Arbeit. Ich habe tatsächlich zwei Jahre an diesem Text gearbeitet, und ich habe nichts anderes gemacht, keine Zeitungstexte geschrieben in dieser Zeit. Allein das erste Kapitel hat, glaube ich, 50 Versionen. Also die Leichtigkeit, mit der der Text erzählt wird, dahinter steckt harte Arbeit, und immer wieder Umschreiben, Neuschreiben und so weiter.
Scholl: Also es wirkt so, als wenn es Ihnen ganz natürlich sei, dieses Genre, dieses Medium jetzt sozusagen zu wechseln. Werden wir denn jetzt hier die Romanautorin Jana Hensel oder die Erzählerin weiter erleben, oder war das jetzt ein Ausflug, wo Sie sagten, für diesen Stoff musste es Literatur sein, und jetzt schreibe ich wieder Reportagen.
Hensel: Die Deutschen wollen das so gern, dass man sich immer so durchschneidet in der Mitte, und dann ist man die Reporterin und die Schriftstellerin. Nein, ich würde gern weiter schreiben. Ich möchte gern bei dieser Nadja-Figur bleiben und vielleicht sogar eine Nadja-Trilogie schreiben.
Scholl: Ach, das wäre gut. Verwöhnen Sie mich mit dem nächsten, dass Nadja ein bisschen glücklich wird. Jana Hensel, vielen Dank für Ihren Besuch. Alles Gute Ihnen und diesem ersten Roman "Keinland", jetzt im Wallstein-Verlag erschienen, 196 Seiten der Umfang, 20 Euro der Preis.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Jana Hensel: "Keinland"
Wallstein-Verlag
196 Seiten, 20,- Euro

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