Jan Scheffler: "89 Licht"
Texte von Jacqueline Majumder, Christiane Stahl
Hatje Cantz Verlag, 2019
192 Seiten, 48 Euro
"Ich suche die Bilder nicht, sie kommen zu mir"
10:41 Minuten
Das Licht und die Weite des Nordens fängt Jan Scheffler in seinen Fotos ein. Dafür fährt er seit 20 Jahren mit seiner Kamera nach Skandinavien. Jetzt hat er seine Bilder erstmals veröffentlicht – in einem beeindruckenden Fotoband.
Frank Meyer: Jetzt haben wir hier ein schlimmes Buch auf dem Tisch. Schlimm, weil man möchte bei den Fotografien in diesem Buch sofort in die Wanderstiefel springen und losziehen in den Norden, nach Island oder Norwegen oder Finnland. Dort sind nämlich die Fotos von Jan Scheffler entstanden.
Es ist aber andererseits, muss man auch sagen, ein ungemein schönes Buch, weil einem die Bilder darin etwas schenken von dem Licht und der Weite und der Schönheit des Nordens. "89 Licht" heißt das Buch. Herr Scheffler, Sie fahren für diese Bilder seit 20 Jahren da hoch in den Norden. Sagen Sie uns doch erst mal, was zieht Sie denn da immer wieder hin?
Jan Scheffler: 1998 habe ich meine erste Reise nach Island unternommen. Ich bin ein Mensch, der sich in der Landschaft, in der Natur, immer draußen irgendwie aufhält, wenn es irgendwie geht, und ich fotografiere dann. Das war so eine Idee, zu sagen: Okay, dieser Norden, wie fühlt sich das da an? Meine erste Reise führte nach Island, und es war sofort dieses Gefühl da, angekommen zu sein. Das, was man sich so vielleicht erträumt hat oder sich so vorgestellt hat, also diese Sehnsucht, die in einem steckte, bekam dort das erste Mal für mich ein Gesicht in mir.
Meyer: Und wenn Sie sagen, draußen sein, das heißt für Sie dann auch wirklich draußen sein. Also, Sie übernachten dann im Zelt oder im Auto?
Scheffler: Richtig. Ich kann diese Bilder auch nur machen, wenn ich 24 Stunden draußen bin. Das heißt, ich lebe komplett die Zeit unter freiem Himmel oder auch im Auto, um zu schlafen; aber das ist dann auch kein Wohnmobil oder so, sondern einfach nur ein Pkw.
Meyer: Und 24 Stunden müssen Sie da sein, weil Sie immer quasi auf der Lauer liegen, warten auf das richtige Licht?
Durchleben von Zeit und Landschaft
Scheffler: Das ist weniger ein Warten, sondern das ist eher dieses Gefühl, ich durchlebe eigentlich diese Zeit dort, durchlebe diese Landschaft, erlebe dann dieses Licht, und das weckt dann Gefühle in mir und Emotionen – und dann ist es so, dass ich gar nicht das Gefühl habe, ich warte, sondern ich bin einfach da. Das kommt dann alles zu mir – die Bilder, die entstehen nicht, weil ich sie suche, sondern sie kommen.
Meyer: Schauen wir uns mal ein Bild an aus Ihrem Buch. Ich habe mir gleich mal das vom Einband gegriffen, weil ich dachte, das muss ja dann was Besonderes auch bedeuten. Es begegnet einem im Inneren des Buches aber noch mal. Da sieht man so ein sehr dunkelgraues Meer im Vordergrund, dahinter eine verschneite Bergkette, links ein bisschen hellerer Himmel, auch mit einem Stück Blau drin, links auch ein heller Sonnenfleck hinter den Wolken, die man öfter sieht auf Ihren Fotos, rechts aber so eine dunkle Wolkenfront, die schon die ersten Berge dieser Bergkette verschluckt. Was sehen Sie denn in diesem Bild?
Scheffler: Wenn man in dieser Landschaft steht, dann spürt man absolut diese ganzen Elemente, die einem umgeben. Dieses Coverbild ist im Winter entstanden, und wenn man in diesem Geschehen mit drin steht, und dann kommt da eine Wahnsinnsschneewolke, also diese Schneewolke ist auch so schwer, dass sie das Meer berührt: Man weiß gar nicht mehr, kommen die Schneeflocken jetzt vom Himmel oder kommen die irgendwie aus der Wasserfläche empor.
Eine richtige Walze kommt da an, und vorher – und das ist ja das, was für mich dann immer wieder beeindruckend ist – war wirklich ein Sonnenschein, ein sonnenklarer Himmel – und dann wechselt das innerhalb von wenigen Minuten in diese Situation, und dann kommt da … Ja, da kriege ich schon wieder Gänsehaut, wenn ich das so schildere.
Meyer: Man hört das! Da wird das Licht gleich verschluckt auf diesem Bild.
Scheffler: Richtig, ja.
Sucht nach diesem Licht
Meyer: Das Licht steckt ja schon im Titel Ihres Buches, "89 Licht". 89, weil es 89 Fotografien sind. Es gibt ein Nachwort dazu, das hat Christiane Stahl geschrieben. Und sie schreibt da, das strahlende Licht des Nordens hinterlässt einen unauslöschlichen Eindruck, es macht süchtig. Können Sie beschreiben, was Sie da süchtig macht bei diesem Licht oder warum das ein besonderes Licht ist?
Scheffler: Dass es ein besonderes Licht ist, lässt sich physikalisch relativ leicht erklären: Also einmal, weil die Sonne einfach wirklich so tiefsteht – durch die Erdkrümmung haben wir dort einfach einen anderen Winkel, sodass die Sonnenstrahlen einfach viel länger durch die Atmosphäre brauchen; und dadurch ganz andere Reflexionen, Lichtbrechungen stattfinden; und dadurch auch diese Vielfalt dieser wunderschönen Farben, teilweise dieses ganz weiche Licht entstehen lässt oder auch diese härteren Lichter. Das ist rein diese physikalische Erklärung.
Aber mich zieht das natürlich in erster Linie aus rein emotionalen Gründen auch an: Also es ist ein Gefühl, es fühlt sich irgendwie sehr vertraut an. Ich lebe ja nicht das ganze Jahr über in dieser Landschaft, sondern nur in dieser Zeit, aber irgendwie ist es so, als ob ich da immer auch gewesen wäre, also wirklich was Vertrautes, ein Ankommen fühlen, wenn ich das Licht dann sehe.
Meyer: Vielleicht wenn wir uns noch ein Beispiel anschauen, das ist jetzt von der Stimmung her ein ganz anderes Foto als dieses Einbandbild, das ja auch – Sie haben es beschrieben – eine dramatische Geschichte, eine Naturgeschichte erzählt. Ein anderes Bild, da sieht man im Vordergrund so einen schrundigen Steinhügel, der ist ganz überzogen von einem grün und gelb leuchtenden niedrigen Bewuchs, sodass das eigentlich aussieht, als hätte dieser Berg oder Hügel so einen leuchtenden Pelz aus Grün- und Gelbtönen übergeworfen.
Dahinter dann ein steilerer Berg, auch der hat so einen leuchtend grünen Mantel, wieder ein anderes Grün, an. Wo und zu welcher Tageszeit ist denn dieses Bild entstanden?
Scheffler: Dieses Bild ist wirklich zu einer klassischen Mittagszeit entstanden: und das ist das, was mich so fasziniert: das Licht nicht nur durch die Sonne in dem Sinne als sichtbare Lichtquelle, sondern man hat ja das Gefühl, gerade auch in dieser Landschaft auf Island, wo diese ganzen Moosflechten sind, dass es da ein Leuchten des Grünen in allen Nuancen, in allen Schattierungen gibt; und wenn dann noch verschiedene Lichtspiele dazukommen, dann fangen diese Flechten wirklich an zu leuchten.
Ich sitze dann da, speziell jetzt auch bei diesem Bild – ich saß da bestimmt eine Stunde an einem Fleck und habe das alles nur auf mich wirken lassen, ohne gleich hektisch die Kamera zu zücken, denn ich arbeite sowieso mit einem Stativ und mit einer etwas schwereren Kamera, sodass man das sowieso nicht alles aus der Hand macht. Ja, so entstehen dann diese Bilder. Dann kam dieser Moment, und dann drückte ich eigentlich nur noch drauf.
Schönheit der Welt in Gefahr
Meyer: Und da ist dieses sehr, sehr schöne Bild entstanden, wobei schön klingt leicht auch so nach Kitsch und Landschaftsverschönerung. Bei Ihnen ist auch mal etwas Schrundiges drin oder bei diesem Umschlagbild auch was Bedrohliches, Rauhes.
Aber Schönheit ist offenbar wichtig für dieses Buch, denn Sie haben sich ein Motto geborgt von einem amerikanischen Fotografen, von Ansel Adams, der hat den Satz geschrieben: "So wie der Fischer von den Flüssen abhängig ist, um leben zu können, so hängt die geistige und emotionale Existenz der Menschheit von der Schönheit der sie umgebenden Welt ab." Ein toller Satz. Sind Sie mit Ihren Fotografien auf der Suche nach der Schönheit der Welt?
Scheffler: Ja. Also ich fotografiere ja eigentlich wirklich schon sehr lang, auch wenn man mich jetzt so als Fotograf nicht unbedingt kennt. Ich habe mit zwölf Jahren meine erste Kamera bekommen, und natürlich, als junger Mensch probiert man fotografisch auch alles Mögliche aus, und ich habe auch auf Dinge natürlich mit Fotografie aufmerksam machen wollen, die so ein bisschen in Schieflage sind, sei es jetzt umwelttechnisch oder wie auch immer.
Ich bin aber immer wieder zu dem Punkt gekommen, dass ich die Schönheit zeigen möchte. Das ist ein Wort, was ja so ein bisschen fast abgedroschen klingt, aber ich finde, zu Unrecht. Dann habe ich doch dieses Zitat von Ansel Adams gewählt, weil ich das einfach sehr wichtig und treffend finde, dass unsere geistige und emotionale Existenz von dieser Schönheit abhängig ist und nicht von den Dingen. Und diese Schönheit ist auch gerade sehr gefährdet.
Meyer: Wir sollten noch darüber sprechen, dass zu Ihrem Buch auch Texte gehören, sehr kurze Texte, oft nur einige Wörter lang, poetische Einlassungen, könnte man sagen, von Jacqueline Majumder. Das sind so ganz kurze Wortzitate, Wortkonzentrationen, in denen auch wieder Licht und Wasser und Eis, die Motive aus Ihren Bildern, eine Rolle spielen. Diese Texte, wenn wir es mal so nennen, welche Rolle spielen die für das Buch?
Scheffler: Ich bin da ganz glücklich und happy, dass ich diese Möglichkeit bekommen oder dass die Jacqueline Majumder da wunderbare Texte geschrieben hat zu diesen Bildern. Das hat für mich einfach folgende Bedeutung: Dieses Gefühlte habe ich ja versucht, im Bild auszudrücken, das, was mir dort geschehen ist oder mich dort berührt, und ich finde ihre Texte, ich bin da so bei ihr, und ich bin so glücklich darüber, dass diese Texte da den Platz gefunden haben, weil sie – das Wort – die Ergänzung für mich auch sind und einfach so in dieser verdichteten Form das widerspiegeln, was ich fühle.
Also wenn ich da mal so eins: "Licht gestrichen über Land", also was Zauberhafteres kann man schon fast gar nicht mehr ausdrücken, wenn wirklich dieses nordische Licht über das Land streicht. Das ist genau diese Empfindung, die ich dann auch habe. Ich finde es großartig, und das passt, finde ich, aus meiner Sicht.
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