Jan Costin Wagner: „Sommer bei Nacht“

Ein Pädophiler auf der Jagd nach einem Pädophilen

10:34 Minuten
Eine Pfütze unter einer leeren roten Schaukel.
Wer das Böse immer nur Unmenschen zuschreibt, entzieht sich einer kritischen Selbstbetrachtung, meint der Autor Jan Costin Wagner. © Unsplash / Leon Seibert
Jan Costin Wagner im Gespräch mit Frank Meyer · 14.02.2020
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In "Sommer bei Nacht" verschwindet ein Kind. Ein pädophiler Ermittler soll den Fall aufklären. Aus dieser Konstellation entsteht ein Spannungsfeld, mit dem der Schriftsteller Jan Costin Wagner seine Leser innerlich beschäftigen will.
In "Sommer bei Nacht" verschwindet ein Kind und die Befürchtungen bestätigen sich, dass es Opfer eines Pädophilen geworden ist. Die Ermittler Ben Neven und Christian Sandner sollen den Fall aufklären. Aber ziemlich bald wird deutlich, dass Ben Neven selbst pädophile Neigungen hat. Ausgedacht hat sich diesen Plot Jan Costin Wagner, der mit der Krimireihe um den finnischen Ermittler Kimmo Joentaa bekannt wurde.

Ein Pädophiler als neuralgische Figur

Für Wagner ist Ben Neven die neuralgische Figur des Romans. Als Leser fiebere man mit ihm mit, da er den Fall ja aufklären wolle. Auf der anderen Seite wird der Leser Zeuge von pädophilen Handlungen: Neven sieht sich Bilder nackter Jungen an, die er auf einem USB-Stick aus der Asservatenkammer gestohlen hat, und onaniert beim Anblick dieser Fotos.
Der Schriftsteller Jan Costin Wagner.
Der Schriftsteller Jan Costin Wagner.© Susanne Schleyer
Die Neigung beim Leser, das zu entschuldigen, weil Neven ja eigentlich zu den Guten gehört, sei genau der Diskurs, den er habe anregen wollen, sagt Wagner. "Das soll den Leser beschäftigen, denn wenn man das Böse immer in den Bereich verlagert, wo es Unmenschen oder Nicht-Menschen tun, in dem Moment entschuldigt man sich selbst und setzt voraus, dass man nichts damit zu tun hat."

Auslöser für den Roman war ein Fall in Berlin

Mit der Figur des Ben Neven wolle er den Ermittler als Menschen zeigen, sagt Wagner. Neven entfremdet sich von sich selbst und versucht, die pädophilen Neigungen abzuspalten. Sein Kollege Christian Sandner ist der Gegenpart und findet im Verlauf der Geschichte immer mehr zu sich selbst.
Eine Kindesentführung in Berlin sei der Auslöser für den Roman gewesen, berichtet der Krimiautor. "Gerade deshalb war es mir so wichtig, diesen Roman zu schreiben, dem Thema nicht auszuweichen und davon zu erzählen, damit die Aufmerksamkeit steigt."
(nis)

Jan Costin Wagner: "Sommer bei Nacht"
Galiani Verlag, Berlin 2020
320 Seiten, 20 Euro

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