Israels Holocaust-Gedenken

Die letzten Überlebenden

26:43 Minuten
Holocaust-Überlebende Hanna Tessler mit ihrer Enkelin Shira Tessler. Eine israelische Soldatin hält die Hand ihrer Großmutter, die den Holocaust überlebt hat. Auf den Arm hat sie eine tätowierte Nummer.
„Was passiert ist, darf nicht in Vergessenheit geraten, denn der Holocaust und alles, was im Holocaust passierte, ist ein Teil unserer Identität“, sagt Yehuda Ronen, Sohn eines Holocaust-Überlebenden. © imago / UPI Photo / Abir Sultan
Von Jan Christoph Kitzler, Bettina Meier, Julio Segador · 25.01.2023
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Am 27.1. ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. In Israel, wo geschätzt noch rund 150.000 Überlebende leben, stellen sich viele die Frage, wie ein Gedenken zukünftig aussehen könnte, wenn die letzten Zeitzeugen sterben.
Hanna Malka wird in diesem Februar 100 Jahre alt. Geboren wurde sie in der südlichen Tschechoslowakei, nahe der bayerischen Grenze. Als Adolf Hitler 1933 an die Macht kam, war sie neun.
Judenhass, Antisemitismus kannte sich als junges Mädchen nicht. Später als junge Frau hat sie dann das Ghetto Theresienstadt, das Konzentrationslager Auschwitz und Zwangsarbeit in Deutschland überlebt. Heute fragt sie sich manchmal, warum eigentlich?
„Das ist alles Glück. Wirklich Glück. In verschiedenen Sachen hatte ich Glück, dass ich gerade auf dem echten Platz war zu der echten Zeit. Alle schweren Sachen habe ich durchgemacht. Aber ich bin am Leben geblieben – und alle die anderen nicht. Aber das ist nur Glück", sagt Hannah Malka
Wie lässt sich die Erinnerung an den Holocaust wachhalten? Hanna Malka hat beschlossen, ihre Geschichte zu erzählen. Begonnen hat sie damit erst vor ein paar Jahren. Sie erzählt oft von dem, was in all dem Grauen doch noch positiv war. Aber sie berichtet auch von den vielen Toten in Theresienstadt – und von Ihrer Ankunft in Auschwitz.
Die Holocaust-Überlebende Hanna Malka schaut in die Kamera.
Hanna Malka hat das Ghetto Theresienstadt, das KZ Auschwitz und Zwangsarbeit in Deutschland überlebt. Erst im hohen Alter sprach sie über diese Zeit.© Deutschlandradio / Jan Christoph Kitzler
„Ich bin mit einem Transport von 1600 Leuten gekommen. So war ich mit zwei Freundinnen in dem letzten Waggon. Und als wir in Auschwitz heraus aus dem Wagen gesprungen sind, hat eine von den Freundinnen gesagt: Komm, wir laufen schnell nach vorne, vielleicht finden wir unsere Eltern. Und dort war Mengele, und er hat mit der Hand, uns hat er rechts geschickt, alle drei.
Nachdem hat man uns gegeben ein Kleid und so und hat man uns ein anderes Zimmer gegeben. Und wir haben gesagt: Wo sind die anderen 1600? Und die Leute haben gesagt: Schauen Sie in den Himmel herauf und sie sehen den Rauch. Das ist der Rauch von den Leuten. Nur 100 Leute haben sie gebraucht für eine Arbeit in Deutschland. Und 1500 Leute in einer Stunde oder zwei Stunden, ich weiß nicht, wie das war, haben sie 1500 Leute verbrannt. Alle. Kinder. Männer. Alles.“

Erinnerungen durch die VR-Brille

Zeuginnen und Zeugen wie Hannah Malka gibt es nicht mehr viele. Deswegen suchen die Nachfahren nach Wegen, ihre Geschichten auch dann weiter zu erzählen, wenn sie einmal nicht mehr da sind. In Israel greifen manche dabei zu ganz modernen, technischen Mitteln.
Wie Hannah Malka wurden über eine Millionen Menschen in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, der weitaus größte Teil davon Juden. Noch heute sind auf dem Gelände die weitläufigen Gleisanlagen zu sehen, auf denen die Züge in das KZ einfuhren. Eine Erfahrung, die man in Israel mittels einer dreidimensionalen VR-Brille hautnah erleben kann.
„Wir sind lange Züge gewohnt, die sieben oder acht Waggons haben. Die Züge, die hier ankamen, waren 60 Waggons lang. 100 Juden waren in jedem einzelnen Waggon eingepfercht. 6000 in jedem Zug. Wir haben keine Vorstellung, wie sehr die Verzweiflung und Machtlosigkeit die Menschen überwältigte, genau hier, an dieser Stelle", sagt Israel Goldwasser.
Die Besucher in dem Theatersaal in Afula in Nordisrael lauschen gespannt den Ausführungen von Rabbi Israel Goldwasser, der sie virtuell durch das ehemalige Konzentrationslager führt. Immer wieder drehen sie ihre Köpfe in alle Richtungen. Vielen stockt der Atem. Mit der VR-Brille tauchen sie ein, in eine Realität, die den meisten nur aus Erzählungen und Filmen bekannt ist. Nun sind sie mittendrin, hautnah dabei, wenn Rabbi Goldwasser sie in die Baracken zu den dreistöckigen Schlafpritschen führt.

Dreidimensional und eindringlich

„Die Nazis pferchten sechs bis acht Juden auf jede Pritsche. Sie schliefen versetzt Kopf an Zehen und Zehen an Kopf. Nur die, die an der Seite lagen, konnten sich umdrehen. Alle anderen mussten sich immer gemeinsam umdrehen. Und erst die Kälte, im Winter hatte es Minus 20 Grad. Im Sommer 40 Grad Hitze.“
Die dreidimensionale Auschwitz-Erfahrung hinterlässt hörbare Eindrücke. Viele der Zuschauer atmen tief durch bei dieser Reise an einen Ort, der wie kein Zweiter für die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie steht, der wie kein Zweiter Synonym für den millionenfachen Mord an Juden ist.
45 Minuten dauert der Film, am Ende stimmen die Zuschauer im Saal ergriffen die Hatikvah, die israelische Nationalhymne an. Viele weinen, halten sich an den Händen, manche umarmen sich. Sie sind aufgewühlt.
„Ich habe die Erzählungen darüber gehört, bin aber selbst nie an diesem schrecklichen Ort gewesen. Vor dem Film haben wir noch darüber gesprochen, dass man eigentlich hinfahren müsste, aber jetzt habe ich das Gefühl, dort gewesen zu sein. Jeder Jude sollte dies mit der 3-D-Brille sehen. Wahnsinn! Ich habe in meinem Leben noch nie so etwas Eindringliches erlebt.“
„Ich dachte, ich wüsste schon viel über den Holocaust. Aber dieser Film zeigte mir Dinge, die ich mir so nicht vorstellen konnte. Alle meine Kinder waren in Polen und meine Frau war als Lehrerin auch mehrmals dort. Bei uns zu Hause war der Holocaust immer ein Thema. Aber für diese technische Umsetzung haben sie wirklich Lob verdient. Ich hätte nicht gedacht, dass der Film so eine kraftvolle Wirkung haben wird.“

Wenn Gedenken zur Geschichte wird

Die Idee zu dem Projekt, mit der 3-D-Brille Auschwitz hautnah zu erleben, hatten drei ultraorthodoxe Frauen. Miriam Cohen ist eine von ihnen.
„Ich erinnere mich, als ich 17 Jahre alt war, wie alle nach Auschwitz gingen – ich konnte es als Ultraorthodoxe nicht. Als sie zurückkamen und von dieser kraftvollen Erfahrung dort berichteten, hatte ich das Gefühl, etwas zu verpassen. Ich habe mir damals geschworen, dass ich eines Tages dort hingehen werde. Inzwischen bin nicht nur ich dort gewesen, sondern auch 70.000 Zuschauer, die ich mit der 3-D-Brille mitgenommen habe.“
Auschwitz. Zahlreiche Menschen in Zivil und in Häftlingskleidung stehen an einem Bahnsteig eng beieinander.
Ein undatiertes Foto des Bahnhofs des Konzentrationslagers Auschwitz. Viele Menschen wurden gleich nach der Ankunft in Gaskammern ermordet und die Leichname wurden verbrannt. © imago / United Archives International
Während der Corona-Pandemie organisierten sie den Dreh in Polen. Drei Tage lang filmten sie innerhalb des Lagers, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Ein Kraftakt, der sich gelohnt hat. Miriam Cohen ist jedes Mal aufs Neue ergriffen von den Reaktionen der Zuschauer.
„Ich glaube, dass der Holocaust für die Juden wie eine sehr große schmerzhafte Wunde ist. Und immer, wenn man sie berührt, schmerzt es. Deswegen ergreift es mich auch jedes Mal so sehr, wenn ich die Reaktionen der Menschen höre. Ich habe wirklich das Gefühl, dass meine Partnerinnen und ich etwas sehr Großes machen. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem das Gedenken zur Geschichte wird. Ich habe noch Überlebende gesehen. Aber meine Tochter wird sie nicht mehr sehen. Als Juden der zweiten und dritten Generation nach dem Holocaust ist es unsere Aufgabe, das Gedenken zu erhalten und zu vermeiden, dass es zur bloßen Geschichte wird.“

In die Rolle der Eltern schlüpfen

Mit einem kreativen und innovativen Projekt die Erinnerungskultur wachhalten – auch wenn immer weniger Zeitzeugen der Shoa am Leben sind – das kann man an diesem Abend auch in Ramat Gan, unweit der Metropole Tel Aviv erleben – buchstäblich.
„Wir sind viele Tage im Schnee marschiert. Aber schlimmer als zwei Jahre in Auschwitz kann es nicht werden, dachte ich. Warum wurde es der Todesmarsch genannt? Weil die Deutschen keine Sentimentalitäten kannten. Wenn jemand nicht im Takt lief oder sich kurz hinsetzte, haben sie ihn erschossen. Ich habe nur noch weiß gesehen, der Schnee war hoch. Aber an den Seiten sah ich rote Blutflecken und Leichen", sagt Zehavit Grossman.
Die Frau mit den halblangen braunen Haaren und der schwarzen Jacke kneift die Augen zusammen. Ihre Fingerspitzen reiben aneinander, als würden sie den Schnee spüren. Zehavit Grossman aus Ramat Gan steht im Seminarraum und spielt eine Rolle. Die Rolle ihres Vaters. Er hat das Konzentrationslager Auschwitz überlebt. Vor etwa 30 Nachfahren von Holocaust-Überlebenden probt Zehavit die Geschichte ihres Vaters, die sie in der ersten Person erzählt. Im Raum ist es vollkommen still.
„Während des Marsches habe ich meinen Freund Jakob mitgezogen. Er wollte aufgeben. Ich sagte ihm, nach Auschwitz können wir nicht aufgeben, halte noch einen Tag durch. Und noch einen Tag. Wir erreichten das Lager Mauthausen und mussten Zwangsarbeit leisten. Das war für uns eine Kleinigkeit. Es war nicht Auschwitz", sagt Zehavit Grossman.

In der ersten Person

Zehavits Vater und sein Freund wurden von den Amerikanern gerettet. Die Frau im Seminarraum wischt sich eine Träne aus dem Auge. Sie ist tief ergriffen. Er sei zu alt, um selbst zu erzählen, sagt Zehavit, die ihre Familiengeschichte weitergeben will. Als Vortrag aus der Sicht ihres Vaters in Schulen oder vor Studenten. Deshalb hat sie sich beim Projekt B´Guf Rishon, angemeldet. Übersetzt heißt es „in der ersten Person“. Yehuda Ronen genannt Dudi leitet den Workshop, der Familien von Holocaustüberlebenden beibringt, wie sie die Geschichte der Überlebenden aus deren Perspektive erzählen können.
„Sobald Du etwas in der ersten Person erzählst, wenn es die Erfahrungen deines Vaters oder deiner Oma sind, schlüpfst Du in die Haut der Person, die es erlebt hat. Das Publikum geht mit. Gleichzeitig bringt es mich zum Beispiel meinem Vater sehr nahe. Die Gefühle sind echt, die Geschichte wird lebendig und interessanter", sagt Yehuda Ronen, der selbst Sohn eines Holocaust-Überlebenden ist.
Die Idee zu B´Guf Rishon hatte Yehuda Ronen, der Dudi genannt wird, als er vor einigen Jahren in einer Grundschule über den Holocaust sprechen sollte. Weil die Schüler nicht zuhörten, drehte er sich zur Tür und sagte, sein Vater, ein Holocaustüberlebender, wäre den weiten Weg gekommen um mit den Schülern zu sprechen. Er würde aber erst reinkommen, wenn sie leise sind.

Der alte Hut des Vaters

„Alle Augen drehten sich zur Tür und warteten auf meinen Vater, der gar nicht da war. Da habe ich mich wieder zu ihnen gedreht und gesagt: ´Guten Morgen. Mein Name ist Pinchas, ich bin Dudis Vater.`– Und ich habe die Geschichte meines Vaters so erzählt, als würde er es selbst tun. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Danach gingen alle Hände nach oben", sagt Yehuda Ronen.
Die Kinder hätten ihn sogar mit dem Namen seines Vaters angesprochen. Dudi erzählt davon, wie sein Vater Pinchas mit seiner Schwester und mehr als 100 jüdischen Kindern vor den Nazis gerettet wurde und nach Israel flüchtete, während die Eltern in Auschwitz starben. Wenn Dudi die Rolle seines Vaters spielt, setzt er sich auch den alten Hut des Vaters auf, hat Dias und Karten dabei. Einige Szenen bewegen ihn sehr, zum Beispiel, wenn er die letzte Begegnung von Vater und Sohn nachspielt:
„Es kam ein Mann auf mich zu, nachdem ich Tage lang am Zaun gestanden hatte. Ich hatte Schwierigkeiten, ihn zu erkennen. Es war mein Vater. Er sagte: Pinchas vergiss nicht, dass du Jude bist. Das war das letzte Mal, dass ich mit meinem Vater geredet habe.“
Obwohl er die Holocaustgeschichte seines Vaters bereits so oft schon nachgespielt hat, gehe sie ihm jedes Mal sehr nah, sagt Dudi. Doch nur so könne man die Erinnerung wirklich wachhalten, indem man sie nachempfindet.

Erinnerungen machen stark

„Als ein Israeli der zweiten Generation und als Jude ist es wichtig, die Erinnerung zu bewahren. Sie bildet Stärke. Sobald wir erinnern, und die Erinnerung weiterlebt, werden wir auch als Staat stärker. Was passiert ist, darf nicht in Vergessenheit geraten, denn der Holocaust und alles, was im Holocaust passierte, ist ein Teil unserer Identität", sagt Dudi.
Szenenwechsel von Ramat Gan ins benachbarte Tel Aviv. In einer Werkstatt überall Streichinstrumente. An einem Tisch sitzen zwei Männer und arbeiten an alten Geigen. Die Geige die Michael Shacham gerade stimmt, ist ein ganz besonderes Instrument. Sie hat Hannah Deleo gehört, einer Jüdin, die den Holocaust in den Niederlanden überlebt hat.
Michael Shaem (r.) spielte im Besein von Guy Ashero die Geige von Hannah Deleo.
Michael Shaem (r.) spielte im Beisein von Guy Ashero die Geige von Hannah Deleo. © Deutschlandradio / Jan Christoph Kitzler
1946 kam sie mit ihrer Geige noch vor der Staatsgründung nach Israel. Michael Shacham spielt diese Geige bei der diesjährigen Holocaust-Gedenkveranstaltung der Vereinten Nationen. Der 19-jährige Musiker kommt selbst aus einer Familie von Holocaust-Überlebenden. Diese Geige zu spielen bedeutet ihm viel:
„Ich weiß nicht, ob ich das mit Worten ausdrücken kann. Aber es ist sehr spirituell, es gibt nichts Vergleichbares. Man kann das sehr stark fühlen. Menschen haben im Krieg schreckliche Sachen durchgemacht, sie mussten ihre musikalische Karriere beenden, konnten nicht mehr zum Konservatorium. Ich kann mich mit ihnen identifizieren. Als Geiger weiß ich, wie viel mir das bedeutet. Das ist wie Atmen, Essen und Trinken. Das ist mein Leben – und es ist sehr besonders, darüber nachzudenken", sagt Michael Shacham.

Violinen der Hoffnung

Die Geige von Hannah Deleo gehört zu einer einzigartigen Sammlung, den „Violins of Hope“, den „Geigen der Hoffnung“. Der Geigenbauer Avshalom Weinstein und sein Vater restaurieren die Instrumente von Holocaust-Überlebenden und sorgen dafür, dass sie gespielt werden – in der ganzen Welt. Schon Avshaloms Großvater hat die Sammlung begonnen. Immer wieder wurden ihm nach dem Krieg Geigen aus Deutschland angeboten – die aber, eben weil sie aus Deutschland waren, keine Käufer fanden.
Erst ein Lehrling aus Dresden interessierte sich für die Geschichten. Und heute ist Avshalom Weinstein davon überzeugt, dass es eine starke Verbindung gibt zwischen den Instrumenten der Sammlung und den Überlebenden und den Opfern der Shoa, denen sie einmal gehört haben.
"Die Instrumente waren da. Wenn Du in ein Museum gehst, dann gibt es Fotos, Dinge, die überlebt haben. Aber bei Musikinstrumenten kann man den Klang hören. Meine Erfahrung ist: Wenn jemand lange auf einem Instrument spielt, dann hinterlässt er seine eigene Klangunterschrift. Sie ist einzigartig und unverwechselbar. Wir lassen sie erklingen", sagt Avashlom Weinstein.

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Auch Guy Ashero ist gekommen, der Enkel von Hannah Deleo. Seine Großmutter starb 2014 mit 101 Jahren. Viel über ihre Geige wusste er nicht – nur, dass ihr das Instrument wichtig war:
„Meine Großmutter, Hannah, ist in Holland in Harrenheim geboren. Sie hatte die Geige bekommen, als sie noch ein Kind war. Das ist ungefähr alles, was wir wissen. Da sie die letzte Überlebende ihrer Familie war, hatte sie nie viel aus ihrer Kindheit erzählt. Die Geige gehörte mit zu den wenigen Dingen, die sie aus Holland mitgenommen hatte.
Nach dem Krieg kam die Geige nach Israel. Meine Großmutter spielte nur selten drauf, denn ihre Familie mochte entweder den Klang der Geige nicht oder meine Großmutter spielte nicht so gut. Ich weiß es nicht. Im Nachhinein bereuen wir es, dass sie nicht öfter spielte.“

Erinnerungen zum Klingen bringen

Jetzt ist die Geige von Hannah Deleo eine der „Geigen der Hoffnung“ – und der Nachwuchsgeiger Michael Shacham sorgt dafür, dass sie klingt. Aber viele Instrumente bleiben stumm, viele Geschichten unerzählt, sagt Avshalom Weinstein:
„Wir haben 100 Instrumente. Und wenn man bedenkt, wie viele Lager und Orte es gab, dann wird klar, dass es da draußen noch viel mehr gibt. Wer auf den Todesmarsch geschickt wurde, nahm nichts mit. Andere haben ihre Instrumente vermutlich verkauft, denn das war das Einzige, was sie hatten. Oder sie haben sie behalten und nie darüber gesprochen, was sie im Krieg erlebt haben. Und als dann die Kinder oder Enkel kamen, und sahen ein Instrument und wussten nichts darüber, was haben sie getan? Sie haben es auf Ebay oder sonst wo verkauft – und es ist, zusammen mit seiner Geschichte für immer verloren.“
Die Geige von Hannah wird vor den Vereinten Nationen spielen. Über 100 weitere Instrumente sind in der ganzen Welt unterwegs – um die Erinnerung zum Klingen zu bringen.
Auch Hannah Malka, die Theresienstadt, Auschwitz und die Zwangsarbeit in Deutschland überlebt hat, will erzählen, so lange sie kann. Sie fürchtet, dass Geschichten, wie die ihre bald in Vergessenheit geraten, dass man sich an den Holocaust nur noch erinnert wie an ein historisches Ereignis – ohne die Zeugnisse derer, die überlebt haben.
Dabei hat sie selbst auch erst vor wenigen Jahren angefangen, ihre Geschichte zu erzählen. Denn sie wollte „Normalität“. Für sich und für ihre Familie.

Reden für den Zusammenhalt

„Überall, wo ich war, waren schlechte Sachen. Und ich habe sie nicht so erzählt, weil ich habe lieber die guten Sachen erzählt. Und den Kindern habe ich nie erzählt, dass ich im Konzentrationslager war. Dass ihre Mutter, dass sie einmal in so einem schlechten Zustand war und dass sie nicht wie ein Mensch ausgesehen hat, und alles dieses und so viel gearbeitet und …", sagt Hannah Malka.
Hanna Malka ist am Leben geblieben. Mit ihren fast 100 Jahren versucht sie, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Solange es geht:
„Wir haben alle am Anfang nicht gesprochen. Ich weiß nicht, warum ich angefangen habe zu sprechen. Aber ich glaube, dass das… wenn ich zum Beispiel die Television anschaue, und alle sprechen sie schlecht einer zu dem anderen. Alle sind sie schlecht. Jeder will nur er sein der Erste und nicht auch den anderen. Und wir waren gerade anders. Das macht mich wirklich, das macht mich krank. Und ich glaube, darum habe ich angefangen zu sprechen, dass Leute sollen sehen, dass man kann auch ein anders Leben, das man kann, mit Freundschaft und irgendwie mit einem Gefühl für die anderen und für die Hilfe für die anderen.“
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