Islamismus

Katars Einfluss reicht bis nach Bayern

10:57 Minuten
Eine Frau, die nur in ihrem Umrissen zu erkennen ist, geht in München-Freimann am Islamischen Zentrum München vorbei.
Das Islamische Zentrum in München. Der Bayerische Verfassungsschutz stuft es seit vielen Jahren als muslimbrüdernah ein. © picture alliance / dpa / Marc Müller
Von Joseph Röhmel · 28.10.2022
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Das Land, das in diesem Jahr die Fußball-Weltmeisterschaft austrägt, soll der Muslimbruderschaft nahestehen. In Katar herrscht eine islamistische Ideologie, die auch in Deutschland Einfluss hat – zum Beispiel in Bayern.
Auf einer belebten Straße in München: ein Treffen mit Ahmad Schekep Popal, Anfang 30, gepflegter Vollbart, sanftes freundliches Lächeln. Zu Beginn ahnt er nicht, dass dieses Treffen ihm Ärger einbringen wird.
Der Münchner Imam gilt in der muslimischen Community als Extremismuskritiker. Regelmäßig zerlegt er in Internetvorträgen bekannte Islamisten.

Extremismuskritik im Netz

Auf Youtube kann sich jeder selbst davon ein Bild machen. "Das ist das Typische, was uns begegnet an Klischee und Missbrauch, an Versen wie sie genutzt werden", setzt sich Popal etwa kritisch mit dem bekannten Islamisten Pierre Vogel auseinander.
Popal geht offen um mit seiner Kritik am Extremismus. Aber immer wieder muss er feststellen, dass seine Gegner schon kleinste Äußerungen genau registrieren.
Auf dem Weg durch München spricht Popal über die Fußball-Weltmeisterschaft und das streng islamische Regime im Ausrichterland Katar. Dem Staat werden Verbindungen zur Muslimbruderschaft nachgesagt, einer extremistischen Strömung innerhalb des Islamismus.

Drohung wegen eines Gesprächs in München

Darüber zu sprechen, kann auch in München Folgen haben. Offenbar hat jemand ein paar Worte der Unterhaltung aufgeschnappt. Denn kurz darauf wird Popal mehrmals angerufen.
"Nachdem im öffentlichen Raum jemand das Gespräch mitbekommen hat, hat man das sofort weitergetragen – an die Führungsriege, an die Verantwortlichen innerhalb der Gruppierung", sagt Popal. "Diese haben dann über Mittelsmänner mich kontaktiert und wussten bestens Bescheid – wohin wir gehen, mit wem ich unterwegs bin. Sie haben mich höflich, aber deutlich darauf hingewiesen, auf meine Worte zu achten – sonst habe das Konsequenzen."
Konkrete Drohungen habe er nicht erhalten, sagt Popal. Aber er habe schon von anderen Fällen gehört, zu was Muslimbrüder fähig seien: "Ich habe von ihnen nichts bekommen und will auch nichts haben. Man kann mir also nicht mit mehr drohen", betont er.
Bei anderen Leuten könne man damit drohen, den Geldhahn zuzudrehen. "Dann hast du eben diese finanziellen Möglichkeiten nicht mehr."

Verfassungsschutz bei Muslimbrüdern alarmiert

Der Bayerische Verfassungsschutz ist davon überzeugt: Die Muslimbrüder sind eine Organisation, die auch westliche Gesellschaften unterwandern will und so Einfluss gewinnen möchte – mit dem Ziel, islamische Staaten und damit auf lange Sicht ein globales Kalifat zu errichten.
Verfassungsschutz-Sprecher Florian Volm sagt: "Zentral ist dabei die Idee, eine Umformung des staatlichen Systems voranzutreiben und einen Staat aufzubauen, in dem kein Platz mehr für eine freiheitlich demokratische Grundordnung und beispielsweise die Gewaltenteilung ist. Der Idealstaat der Muslimbruderschaft und das zugehörige Rechtssystem sollen letztlich ausschließlich auf religiösen Bestimmungen und auf religiösen Vorgaben beruhen." 
Im Gegensatz zu salafistisch-dschihadistischen Terrororganisationen will die Muslimbruderschaft ihre Ziele aber friedlich erreichen.

Geld und Ideologie aus Katar für Europa

Die Muslimbruderschaft sei eine sehr mächtige Organisation, die im Hintergrund arbeite, sagt Imam Popal: "Ihr Einfluss in München ist groß, wie in allen anderen Städten Europas auch – weil sie Geld haben. Sie haben Möglichkeiten, sie sind vernetzt, vernetzter als alle anderen islamischen Organisationen, die ich kenne."
Als einer der Unterstützer der Muslimbruderschaft gilt Katar. Immer wieder berichten Medien, dass Geld von Katar aus in fragwürdige islamische Strukturen in Europa fließt.
Zudem kommt aus Katar auch ideologische Unterstützung: Jahrzehntelang lebte zum Beispiel Yusuf al-Qaradawi in Katar. Er galt als einer der weltweit wichtigsten Gelehrten, der immer wieder die Ideologie der Muslimbruderschaft verbreitet hat.

Hetze gegen Israel und Lügen über den Holocaust

In seinen Predigten hetzte Qaradawi gegen Israel und verbreitete Lügen über den Holocaust. Damit erreichte er teilweise ein Millionenpublikum. Ende September starb er im Alter von 96 Jahren. Die Trauer bei seinen Anhängern ist groß – zum Beispiel im Islamischen Zentrum in München: eine Moschee, die der Bayerische Verfassungsschutz seit vielen Jahren als muslimbrüdernah einstuft.
Yusuf al-Qaradawi sitzt auf einer Bühne und hält eine Rede. Aus den Abbildungen an der Wand im Hintergrund ergibt sich, dass es sich um ein Treffen der International Union of Muslim Scholars (IUMS) handelt, im türkischen Konya am 3. August 2016.
Yusuf al-Qaradawi 2016 bei einem Treffer muslimischer Gelehrter in der Türkei. Seine Lehre wurde auch in München verbreitet.© picture alliance / AA / Orhan Akkanat
Wenige Tage nach Qaradawis Tod sagt ein Prediger den Gläubigen, dass er den katarischen Gelehrten oft zitiert habe. Ein Youtube-Video der Moschee zeugt davon: "Von unserem großen Gelehrten Yusuf al-Qaradawi: Den habe ich oft zitiert in Predigten und in Vorträgen."

Anleitung zum Schlagen der Ehefrau

Von Katar aus sendete Qaradawi seine Botschaft in die Welt – und fand auch in Bayern Gehör. Seine Schrift „Erlaubtes und Verbotenes im Islam“ sei auch in Moscheen im Freistaat erhältlich gewesen, sagt der Bayerische Verfassungsschutz.
Darin fordert Qaradawi unter anderem die Todesstrafe für außerehelichen Geschlechtsverkehr und gibt Männern Ratschläge, wie sie ihre Ehefrauen angeblich islamkonform schlagen könnten.
Der Ehemann, so heißt es, sei Vorstand von Haus und Familie. Folge ihm die Ehefrau nicht, solle er zunächst versuchen, sie mit Worten zu überzeugen; im zweiten Schritt solle der Mann nicht mehr bei ihr schlafen; sei sie weiterhin ungehorsam, dann "darf er sie leicht mit den Händen schlagen, wobei er das Gesicht und andere empfindliche Stellen zu meiden hat".

Hinweis auf Qaradawi-Schriften auf Deutsch

Der Prediger im Islamischen Zentrum München weist sein Publikum im Youtube-Video darauf hin, dass es das Buch auch in deutscher Übersetzung gebe: "'Erlaubtes und Verbotenes im Islam' gibt es auch in deutscher Übersetzung."

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Eine Moschee beeinflusst von einem Islamisten, der jahrelang die islamische Welt von Katar aus geprägt hat? 
Extremistisch sei das Buch „Erlaubtes und Verbotenes im Islam“, sagt der Verfassungsschutz.

Islamische Gemeinschaft distanziert sich

Die Deutsche Muslimische Gemeinschaft DMG, die eng mit der Münchner Moschee verknüpft ist, antwortet auf unsere Anfrage. Sie verweist auf Zweifel an der Arbeit des Verfassungsschutzes.
Die DMG erkenne die Expertise al-Qaradawis in vielen Punkten an, sie distanziere sich aber von antisemitischen oder homophoben PositionenUnd man sein kein Teil der Muslimbruderschaft.
Das Islamische Zentrum selbst hatte vor ein paar Jahren auf öffentliche Kritik reagiert und Äußerungen, in denen Gewalt gegen Frauen befürwortet wird, von seiner Internetseite entfernt. Das Zentrum distanzierte sich von derartigen Aussagen.

Bekenntnis zu Muslimbrüdern: Samir Abu Laban

Yusuf al-Qaradawi galt als ein Gelehrter. Und als ein solcher könne man sich auch mal täuschen, finden seine Anhänger: "Der Qaradawi ist letztlich ein Mensch. Unfehlbar ist er nicht", sagt Samir Abu Laban.
Samir Abu Laban ist ein besonderer Gesprächspartner: Denn normalerweise gilt die Muslimbruderschaft in Europa als verschlossen. Laban bekennt sich aber öffentlich zu ihr.
Er sagt, er sei Mitglied des Politbüros der syrischen Muslimbruderschaft. Seit Jahrzehnten lebt er in Wien.

Fatwen für Europa

Laban findet, dass seine Organisation häufig falsch verstanden werde im Westen. Dabei stehe sie für "die Menschenrechte zum Beispiel. Diese Brüderlichkeit zwischen allen Menschen, dass die ganze Menschheit eine Familie ist. Religionsfreiheit."
Zudem habe einer wie Qaradawi von Katar aus wichtige Gelehrtengremien gegründet, so Laban, – um Rechtsgutachten zu erlassen, sogenannte Fatwen.
Auch um den Dialog zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen zu stärken, so Laban. "Wenn Gelehrte vom Orient nach Europa kommen, dann sind ihre Fatwen eher geeignet für ihre Länder – und nicht für den europäischen Kontinent. Und das hat uns immer gestört. Die Idee war: Wir müssen unsere Gelehrten selber in Europa ausbilden. Dann haben wir diese Problematik nicht."

Qaradawi-Nachfolger Ali al-Qaradaghi

Yusuf al-Qaradawi hat vor seinem Tod längst Nachfolger gefunden.
Die Recherchen führen zu einem in Katar ansässigen und durchaus gefragten Gelehrten mit ähnlich klingendem Namen: Ali al-Qaradaghi, sei ein Unterstützer des Verstorbenen, sagt der Bayerische Verfassungsschutz. 
Ali al-Qaradaghi trägt dunkle Kleidung und eine weiße Mütze. Er hat dunkle Haare, trägt einen Vollbart und eine randlose Brille.
Ali al-Qaradaghi auf einer Sitzung des European Council for Fatwa and Research in Istanbul 2018. Selbsterklärtes Ziel des Rates: Fatwen zu sprechen, die den Bedürfnissen der Muslime in Europa dienen.© picture alliance / AA / Isa Terli
Auf die Frage, ob er der Muslimbruderschaft nahestehe, schweigt al-Qaradaghi.
Auch in Deutschland war er schon zu Gast. Er sei ein Fürsprecher Katars, sagt der bekennende Muslimbruder Abu Laban über ihn: "Qaradaghi ist ein katarischer Staatsbürger. Das heißt, er arbeitet nach den Staatsinteressen von Katar."

Strategien der Einflussnahme

Wie weit gehen diese Interessen? Laut deutscher Sicherheitsbehörden unterstützt Katar nicht nur die Muslimbruderschaft, sondern auch andere islamistische Strömungen.
Schon 2016 warnten das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst in einem gemeinsamen Papier. Zunehmend würden sich Missionierungsorganisationen aus den Golfstaaten mit Salafisten in Europa und Deutschland vernetzten. "Sie verfolgen eine langfristig angelegte Strategie der Einflussnahme: Sie entsenden unter anderem salafistische Prediger und finanzieren Moscheen und Schulungseinrichtungen."

Die Missionierungsorganisationen aus dem Golf, so heißt es in dem Papier, stammten aus Kuwait und Saudi-Arabien – aber eben auch aus Katar.
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