Krankenkassen fürchten Papiermangel

Scheitert die Impfpflicht an schleppender Digitalisierung?

11:26 Minuten
Eine Frau steht vor zahlreichen Fächern und sortiert Briefe.
Briefverteilzentrum der Deutschen Post AG. Hier werden Briefe, die nicht maschinell verarbeitet werden können, von Hand nach Postleitzahlregionen sortiert. © imago/photothek
Armin Nassehi im Gespräch mit Julius Stucke · 21.03.2022
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Zu viele Briefe, zu wenig Papier? In der Debatte um eine mögliche Impfpflicht zeige sich das Problem der deutschen Verwaltung mit der Digitalisierung, sagt der Soziologe Armin Nassehi. Er sieht auch Folgen für die Bekämpfung der Klimakrise.
Die geplanten Lockerungen der Coronaregeln fallen in eine Zeit, in der die Inzidenzen hoch sind und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen: Der Sommer könnte nicht so entspannt werden, wie das viele hoffen.
Vor einer Anhörung zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht hat jedoch eine Warnung besonders schnell die Runde gemacht: Der Verband der gesetzlichen Krankenkassen sagt, man sei ja nicht prinzipiell gegen eine Impfpflicht, diese könnte jedoch am fehlenden Papier scheitern. Wegen Papiermangels in Europa könnten die Krankenkassen die Aufforderungsschreiben nicht verschicken.

Deutschland hängt hinterher

Hat uns Corona als Gesellschaft also doch nicht flexibler und digitaler gemacht? Der Soziologe Armin Nassehi sieht im Vergleich mit anderen Ländern noch immer viel Aufholbedarf.
Vor allem die Dringlichkeit, die für viele Menschen Papier und Brief noch hätte, werde in dem Prozess der Digitalisierung nicht recht mitbedacht. Für die Frage, wann man digitale und wann man analoge Kommunikationsmittel einsetzt, gebe es noch zu wenig Bewusstsein.

Könnten Behörden statt Briefen nicht einfach eine E-Mail schreiben? So einfach sei das nicht, sagt die Philosophin Petra Gehring . In der Demokratie gebe es keinen Zwang zur Digitalisierung. Und nicht alle wollten sich "durchdigitalisieren" lassen.

Auch fehle eine einheitliche digitale Ästhetik für die Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltungen, sagt Nassehi. Im Moment herrsche auf den Portalen und bei den Kommunikationsversuchen der Verwaltung noch zu viel „Wildwuchs“.

"Wir haben ein Verwaltungsproblem"

Elektronischer Bank- und Zahlungsverkehr sei dagegen schon etablierter. „Da haben wir in Deutschland tatsächlich ein Verwaltungsproblem“, sagt Nassehi.
Die schleppende Digitalisierung der Verwaltung habe auch Auswirkungen auf andere gesellschaftliche Probleme, wie die Geschwindigkeit von Bewilligungsverfahren im Angesicht der Klimakrise: „Wenn die Dinge zu lange dauern, dann dauern sie zu lange.“
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