Immobilienmarkt

Was tun gegen spekulativen Wohnungsleerstand?

Unbeschriftete Klingelschilder an einem verfallenen Haus.
Entmietungen und Leerstand gibt es auch in Ballungsräumen. © imago / Gerhard Leber
Von Daniela Siebert · 12.11.2018
Trotz Wohnungsnot stehen in Berlin viele Häuser leer. Dahinter werden meist ausländische Investoren vermutet, die auf höhere Renditen spekulieren. Doch wirklich greifen lässt sich das Phänomen kaum. Und auch die Lokalpolitik ist weitgehend machtlos.
Eine Seitenstraße in Berlin-Neukölln. Keine wohlhabende Gegend. Kopfsteinpflaster. Am Straßenrand parken ältere Kleinwagenmodelle. Lückenlos stehen hier die Berlin-typischen fünfstöckigen Altbau-Häuser, im Erdgeschoss oft Kleingewerbe. Viele Gebäude haben frisch renovierte Fassaden. Nur ein Haus sticht ins Auge: die Nummer 5. Sie ist dunkelgrau vom Dreck, sieht einsam und verlassen aus.
Blick auf eine Ladenwohnung mit dem Schild "Holzkohlen" in einem weitgehend leerstehenden Haus in Berlin-Neukölln.
In diesem weitgehend leerstehenden Haus in Berlin-Neukölln wohnt der Architekturstudent Jules.© Deutschlandradio / Daniela Siebert
Ein Postbote betritt das Haus Nummer 5 und ich folge ihm.
Nirgends öffnet jemand.
Ich will schon fast aufgeben und stehe unschlüssig vor dem Haus, da kommt ein junger Mann den Bürgersteig entlang und steuert den Eingang an. Bingo! Jules wohnt hier tatsächlich, in der Wohnung seiner Tante, die längst ausgezogen ist.
"Ich bin jetzt im Sommer hier rein und jetzt überlege ich, ob ich im Winter hier bleibe, weil dann kommen wir zu dem Substandard: die Wohnung ist natürlich nicht gedämmt und nicht geheizt. Die ist so im baulichen Stand von 1960, würde ich sagen. Das ist jetzt so mein Zimmer, habe es mir ein bisschen, so gut ich konnte, gemacht, aber jetzt kommt der Winter, und ich glaube, das werde ich dann auch nicht aushalten, weil, ich habe mir zum Beispiel Fenster selber isoliert, mit Dichtungsband, die andern sind halt gar nicht... Alles ist kalt, also das ganze Haus hat dann Außentemperatur. Wenn man sich nicht mit dem Ofen das heizt."

30 Jahre lang verfiel das Haus

Mit etwas Geld und viel frischer Farbe könnte man hieraus aber ohne weiteres ein hübsches wohnliches Zuhause machen. Doch auch die über zehn Nachbar-Wohnungen in dem Gebäude sind das schon längst nicht mehr. Derzeit wohne nur er im Vorderhaus, sagt Jules, im Hinterhaus hielten auch noch ein paar Mieter die Stellung. Über den Eigentümer des Hauses kann der Architekturstudent nur wenig sagen. Das sei wohl jemand aus dem Ruhrgebiet, erzählt er auf dem Balkon.
"Meine Tante meinte, er hat immer probiert das Haus zu verkaufen, zu verkaufen und es war nie der richtige Preis. Wenn man so will, war das vor zehn Jahren nichts wert, hätteste abreißen müssen, aber wenn man sich die Bodenpreise heute anguckt, hat der auch alles richtig gemacht. Er hat dreißig Jahre lang nicht einen einzigen Pfennig in sein Haus reingesteckt und jetzt kann er ja jeden Preis für diesen Boden hier verlangen! Und wahrscheinlich nächstes Jahr noch mehr!"

Die offizielle Leerstandsquote hat abgenommen

Zuständig für dieses Gebäude wie auch für die anderen leerstehenden Immobilien in Neukölln ist Bezirksstadtrat Jochen Biedermann von Bündnis 90/Die Grünen. Wie groß das Problem ist, kann er nur schätzen.
"So genau können wir das leider nicht sagen. Also, die offizielle Leerstandsquote in Neukölln hat sehr stark abgenommen. Wohnungen, die aus spekulativen Gründen leer stehen, die lassen sich ganz schwer erfassen."
Bezirksstadtrat in Berlin-Neukölln Jochen Biedermann in seinem Büro.
Dem Neuköllner Bezirksstadtrat Jochen Biedermann sind trotz Zweckentfremdungsverbot oft die Hände gebunden.© imago / Olaf Selchow
Nach dem Berliner Zweckentfremdungsverbotsgesetz müssen Eigentümer einen Leerstand spätestens ab dem vierten Monat anzeigen und genehmigen lassen. Das tun aber längst nicht alle, und es kann dauern, bis die zuständigen Behörden überhaupt davon erfahren.
"Das ist ein ganz schön mühseliges Geschäft, weil wir eben einerseits auf die Hinweise von Anwohner*innen angewiesen sind, weil ich keine Mitarbeiter habe, die selber irgendwie durch den Bezirk gehen und gucken, wo sieht es denn so aus, dass eine Wohnung leer ist? Und dann ist es sehr kompliziert, diesen Fällen nachzugehen. Es ist ein langwieriges Verwaltungshandeln, wo dann erstmal rausgefunden wird: Um welche Wohnung geht es genau, wem gehört die Wohnung? Dann wird der Eigentümer angeschrieben, kann sich dazu äußern. Dann bringt der im Zweifelsfall irgendwelche Argumente, wieso gerade nicht, dann muss man die werten und prüfen, das zieht sich schon eine Weile."

Ausländische Fondsgesellschaften machen die Aufgabe schwerer

Generell beobachtet Biedermann, dass auf dem Neuköllner Immobilienmarkt inzwischen andere Akteure handeln als früher und die Aufgabe noch schwerer machen. Konkret heißt das: ausländische Firmen statt einheimischer Personen. Das habe beispielsweise eine Auswertung der letzten zwei Jahre von Verkäufen im Trendviertel "Kreuzkölln" ergeben:
"Insofern sehen wir schon, dass luxemburgische oder was auch immer Fondsgesellschaften dahinter stecken oder irgendwelche verschachtelten Gesellschaftskonstruktionen, wo es uns im Zweifelsfall auch erstmal schwerfällt rauszufinden, wer steckt da eigentlich dahinter? Wenn es uns überhaupt gelingt."
Mit diesen Akteuren sei es oft schwierig in Kontakt zu kommen, berichtet Biedermann, weil sie auf Schreiben gar nicht antworten oder Rechtsanwälte vorschicken.
Um spekulativem Leerstand zu begegnen, stützt sich Jochen Biedermann nun hauptsächlich auf das Zweckentfremdungsverbotsgesetz. Auch Bußgelder werden mitunter verhängt. Doch deren Höhe sei zu niedrig, um ein entscheidender Faktor zu sein, schätzt Biedermann.
Manchmal würden die Eigentümer nach dem Einschreiten der Behörden dann Sanierungsvorhaben auch nur pro forma einleiten, beobachten seine Fachleute. Trotzdem gibt es Erfolge: Mindestens 140 Wohnungen konnte der Bezirk in den letzten vier Jahren wieder dem Wohnungsmarkt zuführen, bilanziert Jochen Biedermann. Auch für das Haus von Jules laufe inzwischen ein Baugenehmigungsverfahren.

Briefkastenfirmen offenbar kein großes Problem

Auch an vielen anderen Stellen in Berlin gibt es den begründeten oder schon erhärteten Verdacht, dass Wohnungen und Häuser allein aus spekulativen Gründen leer stehen: Prenzlauer Allee 174 etwa, Suarezstraße 24, Habersaathstr. 40-48, ...
Wirklich belastbar greifen und beweisen lässt sich das Phänomen kaum. Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, betont, es gebe mehr das Phänomen leerstehende Wohnungen als komplett leerstehende Häuser.
Dass Briefkastenfirmen eine bedeutende Rolle bei der Immobilienspekulation in Berlin spielen, sieht Reiner Wild nicht so:
"Das kommt vor, aber man kann nicht grundsätzlich sagen, dass das vorrangig solche Firmen sind, da geht es ja ganz häufig um steuerrechtliche Sachen nur."
In Luxemburg etwa werde Immobilienbesitz deutlich niedriger besteuert als in Deutschland, so Wild.

"Im Regelfall weltweit agierende Konzerne"

Auch Kai Warnecke, Präsident des Eigentümerverbandes "Haus und Grund", kennt das Phänomen Leerstand gut. Allerdings setzt er in seiner Bewertung da ganz andere Akzente. Berlin hält er nicht für besonders stark betroffen.
"Der Leerstand ist insbesondere in Regionen ein Problem, in denen die Nachfrage nach Wohnraum nicht ganz so hoch ist."
Leerstand zu Spekulationszwecken betreiben nach seiner Erfahrung nur auswärtige Investoren. Aus andern Ländern vor allem, oft auch außereuropäischen.
"Das sind im Regelfall weltweit agierende Konzerne, auch kleinere Firmen, hier wird einfach eine Wette sozusagen auf die Marktentwicklung abgeschlossen."
Diese Akteure gestalteten oft verschachtelte Gesellschaften, in denen die eigentlich Handelnden nur schwer erkennbar seien, so Warnecke.
"Schon ein Gebäude, das leer steht in diesen Spekulationsfällen, wird eine eigene Firma sein, die wiederum einer anderen Firma gehört, die einer Firma irgendwo in Übersee gehört."

Vorbild Dänemark?

Einig sind sich alle Gesprächspartner, dass gegen den spekulativen Leerstand etwas getan werden sollte. Aber die Lösungsansätze sind höchst unterschiedlich. Der Bezirksstadtrat Jochen Biedermann etwa wünscht sich mehr Personal in allen seinen zuständigen Verwaltungs-Bereichen, Mieter-Lobbyist Reiner Wild dagegen setzt auf andere gesetzliche Regelungen:
"Dass der freie Finanzverkehr innerhalb der EU auf Immobilien eingeschränkt werden müsste, in Dänemark gibt es zu den Maastricht-Verträgen für Dänemark eine Sonderregelung, die haben ihren Immobilienmarkt praktisch frei von internationalem Kapital gehalten, also von europäischem Kapital, das ist ein Modell was sicherlich auch EU-weit umgesetzt werden könnte. Man muss es nur wollen."
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