"Ich wäre gar nicht da ohne diesen Beruf"

Moderation: Frank Meyer |
Neuenfels gilt als das "Enfant terrible" der Opernregie. Noch immer vermag er zu polarisieren, führen seine Inszenierungen zu heftigen Reaktionen. Jetzt ist seine Autobiografie erschienen, in der er eine bisherige Bilanz seines Lebens und Schaffens zieht.
Frank Meyer: Ein genialischer Egomane oder der vielleicht genialste Exzentriker des deutschen Gegenwartstheaters - so ist der Theater- und Opernregisseur Hans Neuenfels genannt worden. Ein Mann, der sein Publikum immer wieder zu Buhs und zu Bravos gebracht hat, ein großer Erneuerer und Empörer, der jetzt ein Buch über seine autobiografischen Stationen veröffentlicht hat mit dem Titel "Das Bastardbuch". Hans Neuenfels ist jetzt für uns am Telefon, seien Sie herzlich Willkommen!

Hans Neuenfels: Guten Tag, ich grüße Sie!

Meyer: Herr Neuenfels, ein Bastard - das ist, im landläufigen Sinne jedenfalls, keine besonders schmeichelhafte Bezeichnung. In welchem Sinn sehen Sie sich denn selbst als Bastard?

Neuenfels: Na ja, ein Bastard hat etwas Risikohaftes an sich, etwas Ungefähres, etwas nie länger Beheimatetes, etwas von anderen Menschen sehr stark Abhängiges und auch gleichzeitig eine Sehnsucht, die ihn immer wieder eine Wohlstätte seiner Fantasie oder seines Wohlbefindens suchen lässt.

Meyer: Das klingt nach dem alten romantischen Künstlerbild: Ich bin einer, der draußen steht, außerhalb der Gesellschaft. Sehen Sie sich so?

Neuenfels: Nein, aber der nicht auf die Gesellschaft unmittelbar zuläuft oder der beispielsweise die Gesellschaft als ein sich wandelndes, auch gefährliches und ein falsch einnehmendes Instrumentarium betrachtet und deswegen aufpasst, besonders äugig ist, besonders gut hört.

Meyer: "Das Bastardbuch" ist ein Buch über Sie selbst, aber es ist auch ein Buch über die Menschen, denen Sie begegnet sind, die Sie geprägt haben, auch für Ihr Künstlerleben. Wenn wir da mal an den Anfang schauen: Eine offenbar sehr entscheidende Begegnung für Sie war die mit dem großen Surrealisten Max Ernst, da waren Sie selbst ein ganz junger Mann. Wie hat Sie das geprägt, diese Begegnung mit Max Ernst?

Neuenfels: Ich habe zum ersten Mal einen Menschen erlebt, gar nicht so sehr die Bedeutung, also die er international schon hatte - ich lernte ihn 1961 kennen, da war er bereits 70 und ein großer Ruhm begann um ihn -, sondern ich habe einen Menschen erlebt, der mit den Problemen wie mit den Farben, wie mit der Umgebung spielerisch umging, der kapierte, dass das Leben eine ununterbrochene Folge von Zufälligkeiten und Reibungsflächen ist, derer man sich bedienen kann oder die man aufsuchen kann oder die einem geschenkt werden, also mit denen man umgehen muss, und nicht als eine Art von Kampf. Das fand ich sehr, sehr wichtig.

Meyer: Und hat das etwas zu tun, hat Max Ernst Sie dazu gebracht, Ihren Beruf zu finden, Regisseur zu werden?

Neuenfels: Er hat mir die Art der Bildersprache des Denkens vermittelt und auch, dass es einer endlosen Geduld bedarf, und dass man auch die Reinfälle oder die, ja, die Versagungsgefühle in den Prozess des Kreativen einbetten muss.

Meyer: Im Zusammenhang mit Max Ernst kommen Sie auch auf die Psychoanalyse zu sprechen, einmal, weil sie für ihn ja eine große Rolle gespielt hat, und Sie schreiben dazu, dass Ihre Theaterarbeiten der Psychoanalyse ganz viel zu verdanken hätten. Sie geben aber auch zu, dass Sie selbst nie eine Psychoanalyse gemacht haben. Warum das nicht?

Neuenfels: Ja, na ja, weil ich wollte diesen Knoten, so lange ich ihn noch selbst, ohne dass ich der Fixierung verfalle, selbst zu lösen vermeintlich glaube, dass ich damit selbst zurande komme, dass mir diese Querelen oder diese Auseinandersetzung mit mir selbst dadurch mehr abwirft, also mehr Material abwirft für meine Bilder, für meine Situation, und dass diese Hilfe mich sonst schwächen würde.

Meyer: Also ein Geheimnis in sich behalten, statt es therapeutisch aufzulösen?

Neuenfels: So ist es, und das Geheimnis oder sagen wir besser, mit dem Geheimnis oder mit dem Ahnenden um etwas umzugehen.

Meyer: Herr Neuenfels, Ihre Theater- und Opernarbeiten, ausgehend auch von der Psychoanalyse - das waren ja immer Auseinandersetzungen mit dem Zustand unserer Gesellschaft. Sie haben vor Kurzem in einem Gespräch mit der "Zeit" gesagt: ‘Ich habe noch nie eine Gesellschaft erlebt, die sich dermaßen überschätzt und so wohlgeordnet und still kurz vor dem Wahnsinn steht.’ Also im Blick auf die heutige Gesellschaft: Was sollte denn dieses Deutschland heute in den Wahnsinn treiben Ihrer Ansicht nach?

Neuenfels: Na ja, die in den Wahnsinn treibt sicherlich das Vergessen um Geschichte, um die Zeit und um den Umstand, in dem der Einzelne von uns lebt, auch die Bedingungen, unter denen der Einzelne lebt, also die Gleichheit, dieses allgemeine Empfinden, dass jeder alles kann, dass jeder alles auch tun möchte, dass jeder..., dass es keine Unterschiedlichkeit in den Bedingungen durch Herkunft und so weiter gibt, also dass man nicht sich mit Mühe oder mit Qualen oder auch mit Enttäuschungen aus seinem Rahmen befreien muss, wenn man sich davon befreien will. Diese Selbstverständlichkeit, alles an sich heranzuziehen, als sei es ein allgemeines Naturgesetz, das finde ich bedrohlich. Und ich glaube, dass die Leute, auch wenn sie es versuchen oder auch tun, nicht umhin können, ab einem gewissen Moment enttäuscht davon zu sein, dass es ihnen nicht gelungen ist.

Meyer: Meinen Sie ein Anspruchsdenken, ein Konsumdenken: ‘Jeder will alles haben’?

Neuenfels: Speziell, platt und direkt gesprochen, natürlich vornehmlich das Konsumdenken.

Meyer: Und ist es für Sie nach wie vor, auch jetzt, nach Ihrer langen, langen Erfahrung mit Theaterarbeit, mit Opernarbeit, immer noch ein Auftrag, diesen Wahnsinn, wenn man es so sagen will, offenzulegen auf der Bühne?

Neuenfels: Ja, offenzulegen oder sagen wir mal neue Welten aufzuzeigen, also die Welten, die uns wirklich zutiefst bewegen, also derer wir bedürftig sind. Wessen sind wir eigentlich bedürftig, was brauchen wir eigentlich, um zu leben, vor allen Dingen, wenn wir zurückblicken? Irgendjemand von uns blickt ja immer zurück, und wenn wir das mal summieren, was wir da erlebt haben bei uns, erschrecken wir ja oft. Wir haben an Besitz geglaubt, wir haben an Luxus geglaubt, wir haben ... Ich weiß nicht, ob wir das geglaubt haben. Und dann plötzlich merken wir, wie schmal wir eigentlich mit Wenigem sehr luxuriös ausgekommen wären, hätten wir die richtigen Grundlinien gerührt.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Hans Neuenfels, der Regisseur hat in dieser Woche ein Buch über seine autobiografischen Stationen veröffentlicht unter dem Titel "Das Bastardbuch". Herr Neuenfels, das ist ja auch ein Rückblick natürlich, dieses Buch. Sie sind in diesem Jahr 70 Jahre alt geworden, haben 1964 Ihre erste Regie gemacht, das werden auch bald 50 Jahre. Hängen Sie noch an diesem Beruf, haben Sie da noch Hunger als Regisseur?

Neuenfels: Na, der Beruf ist sozusagen meine Existenz - meine innere und äußere Existenz, Linie. Ich könnte mir mich ohne den Beruf, ohne dieses Tun gar nicht vorstellen, ich wäre gar nicht da ohne diesen Beruf.

Meyer: Es geht um diesen Beruf in dem Buch, es geht aber auch um Sie selbst natürlich, um die Bedingungen Ihres Lebens, man stößt auf Sätze wie "Ich bin ein Trinker", da gehen Sie ganz offen mit um, Sie schreiben offen über Ihren Suchtcharakter, über Ihren Hang zum Alkohol. Warum wollten Sie das so offenlegen in so einem Buch?

Neuenfels: Es war unter anderem ein Offenlegen, es war ja nicht nur... Ich könnte auch sagen, ich bin süchtig nach Gesprächen, nach Menschen, nach ... Gott sei Dank habe ich eine wunderbare Frau, einen herrlichen Sohn, einen wunderbaren Enkel und Freunde. Ich könnte auch das sagen, aber es spielt natürlich die Verbindung, also zum Beispiel, mit dem Alkohol hat für mich nicht eine unwesentliche Rolle gespielt, in Bezirke zu kommen, von denen ich überzeugt bin, dass ich ohne Alkohol nicht dahingekommen wäre.

Meyer: Welche Bezirke sind das?

Neuenfels: Es gibt Bezirke der erschreckenden Offenheit zu sich selbst, die immer verstellt werden durch gesellschaftliche Schlacken und Prozesse, und wenn man das... Ich war auch immer ein Mensch, es gibt ja auch von berühmten Schriftstellern, nehmen Sie Ernst Jünger, Versuche mit Drogen, und da musste ich mich also sehr zurückhalten und habe das natürlich auch sehr getan, weil dieser Beruf dazu gar nicht taugt, mit Drogen sich zu erweitern, also der Regieberuf meine ich. Und weil die auf die Dauer kaputtmachen, während Alkohol immer noch die Grenze aufzeigt, wenn man sich zu weit begibt, weil mein Beruf ja auch ein sehr physischer, ein sehr ausgelieferter, der extrovertierten Kommunikation teilhaftiger Beruf ist.

Meyer: Das heißt, die Droge Alkohol war der Schutz vor anderen Drogen für Sie?

Neuenfels: Es war der Schutz vor anderen Drogen und es war auch manchmal wie ein wärmender Mantel, da habe ich mal gesagt, wenn die Umgebung oder die Umwelt zu stark so stark auf einen einschlug oder einen umzingelte, dass man dachte, wie kriegt man sonst Luft? Das war dann durch Sport oder durch ein Spazierengehen oder durch eine Diät für mich nicht zu lösen.

Meyer: Herr Neuenfels, wenn wir mal auf die letzten Sätze Ihres Buches schauen, ich will die kurz vorlesen, da heißt es: "Ich sehe Elisabeth am Fenster, sie schaut in den Abend. Ob sie mich sieht? So lange wir uns noch sehen, bin ich ein Bastard mit Zukunft." Das sind die letzten Sätze des Buches, und nicht nur an dieser Stelle ist dieses Buch auch eine lange, lange Liebeserklärung an Ihre Frau Elisabeth Trissenaar. Fast 50 Jahre sind Sie jetzt zusammen. Was hat sie gesagt zu dieser Liebeserklärung?

Neuenfels: Sie hat genickt, und ich glaube, dann ist sie rausgegangen. Und vielleicht hat sie sogar geweint.

Meyer: "Das Bastardbuch", autobiografische Stationen von Hans Neuenfels, ist erschienen im Bertelsmann Verlag mit 512 Seiten, der Preis 24,99 Euro. Herr Neuenfels, vielen Dank für das Gespräch!

Neuenfels: Ich danke Ihnen, auf Wiederhören!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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