Hypnose

Hilfe gegen Angst und Schmerzen

29:49 Minuten
Blick durch ein buntes, spiralförmiges Spielzeug.
Hypnose kann in Bezug auf Schmerzen, psychische Belastung und Heilung bei und nach chirurgischen Eingriffen hilfreich sein, aber auch als Mittel zur Entspannung genutzt werden. © Getty Images / Francesco Carta Fotografo
Von Elmar Krämer · 04.08.2022
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Hypnose ist ein uraltes Heilverfahren. Heute ist es bei bestimmten Krankheiten eine anerkannte Behandlungsmethode und kann sogar bisweilen als Alternative zur Narkose eingesetzt werden. Trotzdem ist kaum bekannt, wie Hypnose genau funktioniert.
Eine junge Frau auf einer Behandlungsliege. Die linke Hand liegt auf ihrem Bein, die Rechte ist leicht angehoben. Die Augen hat sie geschlossen. Die Frau wirkt ruhig, als würde sie schlafen. Eine Narkose hat sie nicht bekommen. Ihre Zahnärztin nutzt Techniken der medizinischen Hypnose, um ihren Patientinnen die Angst vor der Behandlung zu nehmen – oder, wie in diesem Fall, sogar auf eine Narkose zu verzichten.
Nach der Behandlung macht die Patientin einen entspannten Eindruck. „Normalerweise ist ja Zahnarzt ein unangenehmes Thema, und jetzt fühle ich mich gerade, als hätte ich etwas Gutes für mich getan“, sagt sie. „Ich habe eine Behandlung geschafft und ich denke, dass ist das Besondere daran.“

Altes Heilverfahren von Priestern und Schamanen

In rund fünf bis zehn Prozent der Zahnarztpraxen in Deutschland werden nach Schätzungen der „Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Hypnose“ Hypnosetechniken eingesetzt. Das ist für viele Patienten neu. Dabei ist die Hypnose eines der ältesten Heilverfahren der Menschheit.
Schamanen ebenso wie Priester im alten Ägypten oder im antiken Griechenland nutzten Formen der Hypnose in rituellen oder religiösen Zeremonien zum Austreiben böser Geister und zur Heilung von Krankheiten. Aufzeichnungen aus Ägypten, datiert auf um das Jahr 1500 vor Christus, belegen dies und sprechen vom sogenannten „Tempelschlaf“.
Ein Derwisch in einem weiten Rock dreht sich mit weggetretenem Gesichtsausdruck um die eigene Achse.
Die Hypnose ist eines der ältesten Heilverfahren der Menschheit und wichtiger Bestandteil mystisch-religiöser Rituale, wie etwa bei den Sufis.© picture alliance / Godong / P Deliss
Auch die Ureinwohner Amerikas, Yogis in Indien und Fakire im islamischen Sufismus scheinen seit jeher Trancezustände zu nutzen – zum Beispiel, um massive Schmerzreize auszublenden. Hypnotische Zustände sind ein integrativer Bestandteil mystisch-religiöser Rituale in allen Glaubensrichtungen und zu jeder Zeit.
Das vermeintlich Übernatürliche und Übersinnliche schaffte Respekt. Ängste und Hoffnungen wurden und werden nicht selten ideologisch ausgenutzt. Doch auch wenn die Grundlage für all diese Zustände schwer zu erklären ist: Das, was dabei im Gehirn passiert, sind bei jedem Menschen natürliche und alltägliche Vorgänge.

Wirkmechanismen nicht komplett erklärbar

Die Hypnose hat mittlerweile eine gewisse Relevanz – in der Behandlung von Patienten mit körperlichen und auch psychischen Problemen. Mit dafür verantwortlich ist Milton H. Erickson. Erickson war ein US-amerikanischer Psychiater, Psychologe und Psychotherapeut. Er lebte von 1901 bis 1980 und gilt als prägend für die moderne Hypnose und Hypnotherapie, die unter anderem unbewusste Fähigkeiten des Menschen nutzt, um diese auch im bewussten Zustand einzusetzen.
Erikson ging davon aus, dass jeder Mensch Fähigkeiten in sich trägt, um bestimmte körperliche und psychische Probleme selbst zu bewältigen. Der Therapeut ist seinem Konzept zufolge eine Art Reiseführer durch die Bewusstseinszustände und Ressourcen.
Doch obwohl die Techniken der Hypnose teils Jahrtausende alt sind, so sind die Wirkmechanismen zwischen Bewusstem und Unbewusstem auch heute noch nicht eindeutig erklärbar. „Wir kennen ja so ein paar Bewusstseinszustände sehr gut, zum Beispiel Schlafen, wach sein“, sagt die Psychologin Barbara Schmidt. Sie forscht am Institut für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie am Universitätsklinikum Jena zum Thema Hypnose. „Hypnose ist ein weiterer Bewusstseinszustand, der einfach sagt: Wir sind sehr fokussiert auf eine bestimmte Sache, wir sind auch empfänglicher für sogenannte Suggestionen. Die können von der Person selber kommen oder von dem Hypnotiseur.“

Ängste vor einem willenlosen Zustand

An diesem Punkt setzten auch Krimis und Thriller an, die maßgeblich Skepsis gegenüber der Hypnose sorgen. Auch sie spielen mit dem Übernatürlichen und forcieren Ängste und Grusel. Fritz Langs Klassiker „Das Testament des Dr. Mabuse“ von 1933 ist ein klassisches Beispiel.  Mabuse sitzt in einer Nervenklinik und schreibt Mord- und Terrorpläne nieder, die auf geheimnisvolle Weise nach außen dringen und von einer Verbrecherorganisation ausgeführt werden – Polizei und Nervenärzte stehen vor einem Rätsel.
Die Vorstellung von Hypnose ist geprägt durch Kino und Fernsehen, Show-Hypnose auf der Bühne und selbst Zeichentrickfilme wie das Dschungelbuch. Viele denken deshalb noch immer, dass Hypnose willenlos macht. „Ich habe dauernd Gespräche, dass Leute Angst davor haben“, sagt Lea Badenhoop, Hypnosetherapeutin aus Hamburg. Doch Burkhard Peter, Mitbegründer der Milton Erikson Gesellschaft für klinische Hypnose beruhigt: „Man kann niemand gegen seinen Willen hypnotisieren.“
Im Filmstill aus "Das Testament des Dr. Mabuse" sitzt Dr. Mabuse (Rudolf Klein-Rogge) aufrecht und mit weggetretenem Gesichtsausdruck in seinem Bett.
Die Skepsis vieler Menschen gegenüber der Hypnose beruht auf der medialen Darstellung. Viele Thriller und Horrorfilme spielen mit dem Übernatürlichen, etwa Fritz Langs 1933er "Das Testament des Dr. Mabuse".© imago images / Everett Collection
Lea Badenhoop betreut Klienten auch über das Internet. Dabei nutzt sie Audios, die ihren Kundinnen und Kunden dabei helfen sollen abzuschalten, sich Pausen im Alltag zu gönnen und zu entspannen.
Während einer Ausbildung in medizinischer Thai-Massage in einem Tempel in Bangkok kam Badenhoop eher zufällig mit Hypnose in Kontakt. Ihr Umfeld war skeptisch, als sie erzählte, dass sie es ausprobieren wolle. „Viele haben vorher zu mir gesagt: Pass lieber auf, nicht das du aus Hypnose nicht mehr rauskommst“, erzählt sie. „Das war aber komplett anders, weil du ja komplett da bist. Aber du gehst halt tiefer und bist sehr, sehr entspannt in Hypnose.“
Die eigene Erfahrung begeisterte die Hamburgerin – kurze Zeit später machte sie in den USA eine sechsmonatige Hypnoseausbildung sowie diverse Weiterbildungskurse. Seitdem ist sie als Hypnosetherapeutin aktiv. „Mindbreak“ nennt Badenhoop ihre Plattform – wobei sie mit „Break“, also die Pause für den Geist meint und nicht das Brechen des eigenen Willens, was einige befürchten. Viele Leute hätten Angst, weil sie Hypnose nur aus Film und Fernsehen kennen würden und nicht wissen, was Hypnose wirklich sei, so Badenhoop.

Fahrstuhl ins eigene Innere

„Das war für mich das Gefühl, das erste Mal alles loszulassen, diese innere Anspannung. Ich war schon auch aufgeregt“, berichtet Sarah Peters von ihrer Erfahrung. Sie litt über vier Jahre lang unter einer schweren Angststörung, hat kaum mehr die Wohnung verlassen. Hypnose hat sie geheilt, sagt sie selbst.
Heute ist sie Heilpraktikerin für Psychotherapie und Hypnosetherapie. „Herzhypnose“ nennt sie ihre Praxen in Berlin und Potsdam. Peters kennt beide Seiten und kann sich gut an ihre erste Hypnosesitzung erinnern.
Sarah Peters und ihre Kollegin posieren vor einem Fenster, über dem der Schriftzug "Herz Hypnose" steht.
Hypnose habe sie von einer schweren Angststörung geheilt, sagt Sarah Peters (links), die inzwischen selbst Hypnose in ihren Praxen in Berlin und Potsdam anbietet.© Deutschlandradio / Elmar Krämer
„Dieses Bild aus dem Fernsehen: Eins, zwei, drei, da schnippt jemand, und das Opfer auf der Bühne rennt da gackernd rum. Man kann sich vorher zwar informieren und lesen, es ist nicht so.“ Trotzdem schwinge eine Restskepsis mit, auch bei ihr damals. „Und dann: Ich lag auf der Liege. Ich habe alles mitbekommen, aber es war unwichtiger. Ich habe die Stimme des Therapeuten neben mir gehört, die mich begleitet hat. Aber die ganzen Reize, das ganze Drumherum und diese Stimme, die wir alle im Kopf haben, die den ganzen Tag plappert und plappert und was wir noch machen müssen und alles irgendwie begründet und rationalisiert, dieser kritische Verstand, der war ruhiger. Der war da. Ich habe schon mitbekommen, okay, der beschützt mich hier und passt auch auf, dass das jetzt hier alles läuft, wie ich mir das vorstelle, aber er war ruhiger. Es war, als ob ich mit dem Fahrstuhl in mein inneres Erleben, in meine innere Welt gefahren bin.“

Anerkanntes Verfahren

Der Fahrstuhl in andere Sphären des eigenen Gehirns. Hypnose beziehungsweise Hypnotherapie ist seit 2006 in Deutschland als Heilverfahren anerkannt. Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie stellt fest, dass die Hypnotherapie bei Erwachsenen für Behandlungen bei psychischen und sozialen Faktoren bei somatischen Krankheiten sowie Abhängigkeit und Missbrauch als wissenschaftlich anerkannt gelten kann.
Mit der Anerkennung als Heilverfahren bei bestimmten körperlichen und psychischen Symptomen ist theoretisch auch die Kostenübernahme von Hypnosetherapien durch Krankenkassen möglich. Allerdings wird das in der Praxis im Einzelfall entschieden. Patient*innen sollten nicht damit rechnen.

Ein sehr direkter Zugang

Dennoch: Hypnosetherapeutinnen und -therapeuten stehen hoch im Kurs. Wissenschaftler*innen und Mediziner aus verschiedenen Bereichen von Praxis und Forschung sind von ihrem Nutzen überzeugt und sehen diesen durch Studien belegt.
„Es ist das Gewinnen einer Kontrolle über Prozesse, die wir ansonsten nicht steuern können“, sagt Barbara Schmidt vom Universitätsklinikum Jena. „Wenn sie zum Beispiel an Angst denken. Das sind automatische Prozesse, die gefühlt einfach so auftreten. Mit der Hypnose gebe ich ein Mittel in die Hand, um wieder Kontrolle zu gewinnen über diese automatischen Prozesse, die ich ja so gar nicht haben will.“
Dirk Revenstorf ist approbierter Psychotherapeut, emeritierter Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Tübingen und Hypnoseausbilder und Forscher. Er sieht einen Vorteil auch in der Direktheit der Intervention. „Hypnose ist eben etwas, wo man tatsächlich tiefenpsychologisch arbeitet, ohne, dass man einen großen Einstieg über eine psychoanalytische Theorie von Herrn Freud oder Herrn Jung braucht“, sagt er. „Der Vorgang ist sehr direkt und individuell mit dem Unterbewussten, unbewussten, unwillkürlichen Anteilen, die jenseits des Alltagsverständnisses von Welt und mir aktiv und ansprechbar sind und möglicherweise Ressourcen enthalten, die ich sonst nicht zugänglicher finde.“
Auch Ernil Hansen, langjähriger Professor für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Regensburg hat zum Thema Hypnose geforscht. „Hier kann man auf Körperfunktionen Einfluss nehmen, die man nicht über Verstand oder Wille regeln kann, sondern die über Suggestionen geregelt wird“, ergänzt er. „Etwa können wir alle die Durchblutung regulieren. Wir können rot werden, wir können blass werden, aber eben nicht: Jetzt will ich rot werden, jetzt will ich blass werden, sondern ich oder ein Therapeut kann eine Geschichte erzählen, eine Suggestion geben – und dann ändert sich die Durchblutung, und zwar nicht nur in der Haut. Das kann sich auswirken, wieviel ein Patient bei einer Operation blutet und auch alle anderen Körperfunktionen, die grundsätzlich der Körper reguliert, aber nicht über Verstand und Willen, da haben wir ein über die Hypnose, einen direkten Zugang.“

Trance statt Narkose

Berlin Hermsdorf. Die Zahnarztpraxis von Ute Stein entspricht schon auf den ersten Blick nicht dem Klischee einer sterilen, kalten und nur auf Funktionalität ausgerichteten Praxis. Viele Fotos hängen an den Wänden: Regenbogen, Tempelanlagen, Naturaufnahmen. Es riecht nicht nach Desinfektionsmitteln – ein Hauch von Räucherstäbchen liegt in der Luft und aus Lautsprecherboxen kommt ruhige Musik.
Trotz einer Art von Wohnzimmeratmosphäre ist der zentrale Punkt im Raum ein moderner Behandlungsstuhl. Computermonitore zeigen Röntgenbilder, Bohrer, Sauger, Medikamente und Füllmaterial liegen bereit – aber eben nicht nur. „Ich arbeite unter anderem mit Hypnose als Kommunikationstechnik in der Zahnarztpraxis“, sagt Stein. „Angst vor Schmerz, Angst vor der Spritze, Würgereiz – es gibt sehr viele Indikationen für zahnmedizinische Hypnose, psychosomatische Beschwerden, atypischer Gesichtsschmerz. In der Kinderbehandlung können wir gut mit hypnotischen Techniken arbeiten.“
Ute Stein und eine auf dem Zahnarztstuhl sitzende Patientin lachen in die Kamera.
Die Berliner Zahnärztin Ute Stein setzt Hypnose als Kommunikationstechnik ein, um Patienten die Angst vor Schmerzen, vor der Spritze, vor dem Würgereiz zu nehmen.© Deutschlandradio / Elmar Krämer
Verschiedene Studien gehen davon aus, dass 35 bis 70 Prozent der Patienten vor einer Zahnbehandlung Angstsymptome zeigen. Um Patienten zu beruhigen, Ängste zu lösen und auch als Ergänzung und gelegentlich sogar als Alternative zur herkömmlichen Narkose können Hypnosetechniken eingesetzt werden, durch die die Patienten in Trance versetzt werden. Trance ist laut Wikipedia eine Sammelbezeichnung für veränderte Bewusstseinszustände mit einem intensiven mentalen Erleben. In Abgrenzung zum gewöhnlichen Wachbewusstsein sind diese Zustände durch folgende Merkmale gekennzeichnet: Eine hochgradige Konzentration auf einen Vorgang bei gleichzeitiger sehr tiefer Entspannung und eine Ausschaltung des logisch-reflektierenden Verstandes.
„Wenn wir morgens aufwachen, sind wir noch in so einem tranceartigen Zustand. Wenn wir abends einschlafen, sind wir einem tranceartigen Zustand, der einfach natürlicherweise auftritt“, erläutert Hypnoseforscherin Barbara Schmidt. „Und wenn ich beim Hypnotiseur oder Hypnotiseurin bin, dann habe ich einen künstlich herbeigeführten Trancezustand, den wir dann Hypnose nennen. Die Suggestion ist jetzt der Inhalt. Zum Beispiel sage ich: Bei jedem Ausatmen wirst du noch entspannter.“

Schmerzreize werden gedämpft

Vermutlich hat jeder Mensch schon einmal erlebt, wie er oder sie die äußere Welt in diesen Trance-Zustand hat einfließen lassen. Das Weckerklingeln, das unbewusst in die Traumwelt eingebaut wird zum Beispiel. Etwas Ähnliches wird auch in der Hypnose gemacht, denn die Geräusche und Schmerzreize, die zum Beispiel bei einer Zahnbehandlung entstehen, kommen trotz Trance beim Patienten an.
Barbara Schmidt vergleicht das mit einem Hotel. „Ein Reiz in Form eines Menschen kommt in ein Haus. Da sind ganz viele Abteilungen, die können alle bestimmte Sachen ganz gut. Und er kommt an die Rezeption. Dann wird entschieden, wie es weitergeht. Und da gibt es halt normalerweise so Kaskaden, die sich zeitlich ziemlich genau hintereinander abspielen.“ Diese ließen sich durch Hypnose unterbrechen. „Wir nennen das Dissoziation: Dinge, die eigentlich hintereinander kaskadenartig passieren, können einfach auf einmal nicht passieren. Dann wird der einfach nicht weiter gelassen. Der bleibt an der Rezeption, setzt sich vielleicht ins Wartezimmer, aber er kommt nicht weiter in irgendeine Abteilung.“
In der Zahnarztpraxis bedeutet dies: Die Patientin nimmt in der Hypnose zwar alles wahr, was in der Behandlung passiert, aber Reaktionen wie Angst und Schmerz entstehen nicht, oder sie werden gedämpft, da der Reiz nicht oder nicht so stark in die gewohnten Hirnareale im Großhirn vordringt. Die Patientin ist mental an einem anderen Ort, fühlt sich zum Beispiel in der Natur, vielleicht am Strand, ihrem sogenannten sicheren Ort.

Gehirn reagiert auf Hypnose

In ihrem Gehirn sind während der Hypnose dabei Bereiche aktiv, die auch aktiv wären, wenn sie tatsächlich in der Natur wäre – das ist durch Studien belegt. Andere Bereiche im präfrontalen Kortex, normalerweise für Planung, Vernunft und Rationalität zuständig und im Precuneus, der die Ich-Wahrnehmung steuert, werden hingegen heruntergefahren.  
„Seit es die sogenannten bildgebenden Verfahren gibt, also Positronen-Emissions-Tomographie oder funktionelle Magnetresonanztomographie, kann man gewissermaßen in das Gehirn reinschauen“, sagt Burkhard Peter, Psychologe und psychologischer Psychotherapeut aus München. Man könne sehn: Tut sich im Gehirn etwas und macht es einen Unterschied, ob jemand da etwas hypnotisch verändert in seinem Gehirn – oder ist das Gehirn gleich? „Und wir wissen heute: Es macht einen Unterschied.“
„Wenn man in der Hypnose jemandem sagt, du siehst jetzt eine Rose, leuchtet derselbe Gehirnteil auf, wie wenn er tatsächlich eine Rose sieht“, ergänzt Bernhard Trenkle, Psychotherapeut, Ausbilder der „Milton-Erikson-Gesellschaft“ und im Vorstand der „International Society of Hypnosis“.

Hypnose in der Zahnarztpraxis

In der Praxis von Ute Stein hat man den Eindruck, als würde die Zeit langsamer ticken. Schon während ihres Studiums wurde die angehende Zahnärztin auf die Möglichkeiten der Hypnose im zahnärztlichen Alltag aufmerksam – und war schnell überzeugt von der Methode. „Weil ich gemerkt habe, dass der Beruf, als Zahnarzt zu arbeiten einmal die körperliche Belastung ist, aber zum anderen auch die ständige nonverbale Begegnung mit Angst und Anspannung.“ Über Hypnose könne man diesem sehr gut entgegenwirken. Eine Win-win-Situation für den Patienten und für das behandelnde Team. Die Zahnärztin promovierte über das Thema und setzt Hypnose nun seit rund drei Jahrzehnten in Ihrer Praxis ein.
Die Patientin an diesem Tag ist Hypnose gewohnt. Seit ihren ersten Zahnarzt-Besuchen als Kind kommt sie in die Praxis. Sie kennt die Abläufe und es gelingt ihr anscheinend gut, loszulassen.
Bis die Patientin in dem Zustand ist, der eine Behandlung möglich macht, dauert es um die 40 Minuten – Zeit, die sich sowohl die Zahnärztin als auch die Patientin nehmen, und Zeit, die in der Regel nicht von der Krankenkasse bezahlt wird. In Deutschland kostet die zahnärztliche Hypnose zwischen 70 und 150 Euro in der Stunde.

Bohren ohne Narkose

Nach Angaben der „Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Hypnose“ nutzen viele Zahnärzte in kurzen Sequenzen weniger Minuten ebenfalls Hypnosetechniken, um ihre Patienten zu beruhigen. Lässt sich die Patientin auf die Hypnose ein, ist sie mental gefordert, den Suggestionen der Ärztin zu folgen.
Unter einer Suggestion versteht man die Beeinflussung der Denk-, Willens – und Gefühlsabläufe eines Menschen, entweder durch Fremde als Fremd- oder Heterosuggestion, oder auch durch sich selbst als Selbst- oder Autosuggestion. Dabei unterscheidet man zwischen direkten und indirekten Suggestionen, die das Bewusstsein, das Unterbewusstsein oder beide Ebenen ansprechen.
In der Praxis kann das schon ein „Mit jedem Atemzug wirst du entspannter“ sein. Ute Steins Patientin an diesem Tag ist während der Trance, wie sie danach erzählt, an ihrem sicheren Ort: einem Strand. Sie spürt den Sand an den Füßen, die Wellen, das Salz in der Luft.
Eine Zahnarztbehandlung ohne Hypnose kann sich diese Patientin gar nicht mehr vorstellen – sie verzichtet sogar beim Bohren auf eine Betäubung. „Die Grenze, die setzt man sich ja selbst“, sagt sie „Wenn ich mir jetzt zum Beispiel ein Weisheitszahn rausoperieren lassen würde, wäre meine Grenze erreicht, wo ich mir dann vielleicht doch unterstützend noch eine Anästhesie geben lassen würde. Wobei auch bei meiner Weisheitszahn-OP die Frau Doktor Stein danebenstand und mich erstmal quasi weggebeamt hat, damit ich überhaupt entspannt in die Behandlung einsteigen konnte.“
Nahaufnahme eines Mundes während einer zahnärztlichen Untersuchung.
In rund fünf bis zehn Prozent der Zahnarztpraxen in Deutschland werden nach Schätzungen der „Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Hypnose“ Hypnosetechniken eingesetzt.© Pexels / cottonbro
Grundsätzlich sind die Techniken der Hypnose bei jedem Menschen anwendbar, doch die Wirkung ist individuell sehr verschieden. „Hypnose können sie nicht evidenzbasiert nachweisen, weil es einfach eine individuelle Beziehung ist“, sagt Stein. „Das hat viel mit Empathie, mit Vertrauen zu tun.“ So ist die Wissenschaft meist mehr als auf Messdaten auf die Beschreibungen der Probanden angewiesen. Die Wissenschaftler können daraus allerdings Rückschlüsse auf körperliche Reaktionen ziehen.
Thomas Wolf, Privatdozent an der Universität Bern und Präsident der „Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Hypnose“ verdeutlicht das am Beispiel der Anästhesie: „Die Patienten berichten häufig, wenn sie nur mit Hypnose, beispielsweise bei einer Zahnextraktion, behandelt wurden, dass sie, wenn sie den Vergleich selber schon einmal hatten, häufig schneller heilen. Das hat vielleicht damit zu tun, im Lokalanästhetikum sind ja verschiedene Substanzen drin, wie beispielsweise auch Adrenalin. Adrenalin führt zu einer Vasokonstriktion, das heißt: zu einer Verengung der Blutgefäße – und wo weniger Blut hinkommt, kommt natürlich auch für die Heilung logischerweise auch weniger Nährstoff hin. Das könnte beispielsweise eine Erklärung sein. Was wir häufig sehen in der Hypnose und auch in der Hypnose-Forschung, ist, dass wir die Phänomene darstellen können. Aber der Mechanismus, der dahintersteckt, und wieso es passiert, das ist uns momentan häufig noch unbekannt. Und da gilt es, weiter zu forschen.“

Bestimmtes einfach ausblenden

Ziel der Hypnose kann die Beruhigung, Entspannung oder auch die Reduktion von Schmerzen sein. Auch bei Phobien wie der Angst vor Spinnen oder dem Überqueren von Brücken ist die Methode anerkannt.  
Barbara Schmidt untersucht die Vorgänge im Gehirn bei der Hypnose am Universitätsklinikum Jena mittels Hirnstrommessungen. Drei Studien habe sie gemacht, bei denen sie gesagt habe: „Du siehst nichts mehr, du hörst nichts mehr und du fühlst nichts mehr – also keine Schmerzreize mehr. Und da haben wir so ein Paradigma benutzt, das wird seit, 60, 70 Jahren verwendet. Jeder weiß, wie das funktioniert. Also es gibt zum Beispiel als Ton immer so einen Ton so: Piep, piep, piep, tüt – und das ist sozusagen der Ton, der abweicht, auf den man immer reagiert mit sehr, sehr hohen Amplituden. Man kennt genau, wo und wie und wann alles passiert. Ich kann ihn einfach wegmachen. Ich sag halt, du hörst den Ton nicht mehr. Dann gibt es keine Gehirnreaktionen mehr auf diesen Ton, der da abweicht, den wir aber immer sehen. Das ist einer der stabilsten Effekte, die man jemals im EEG gemessen hat.“
Der Proband wird fokussiert. Das passiert zum Beispiel auch in Angstsituationen immer wieder und ist dort äußerst sinnvoll. Wer aus Angst wegläuft, wird schneller und länger laufen können, als er es könnte, wenn er einfach nur schnell und lange laufen möchte. Die Weiterleitung von Erschöpfungssignalen aus dem Körper ans Großhirn wird in diesem Beispiel gebremst. 
„Bei dem Hören haben die Probanden mir teilweise rückgemeldet: Der Ton war da und auch gleichzeitig war er nicht da. Das ist genau dieses Konzept der Dissoziation. Der Reiz ist an der Rezeption, aber er kommt nicht weiter. Das berichten die mir in eigenen Worten. Das fand ich immer so krass. Die kennen ja meine Theorien nicht und meine Hypothesen und erklären mir halt: Ja, klingt vielleicht komisch, aber irgendwie war der da und gleichzeitig nicht da oder so. Am Horizont war der irgendwie noch so, aber man hat ihn irgendwie nicht beachtet. Er war egal.“
Dass die Probanden von dem Ton berichten, kann als Beleg dafür angesehen werden, dass die Außenwelt sehr wohl wahrgenommen wird, aber ohne sich davon in Aufregung versetzen zu lassen – die elektrische Gehirnaktivität schlägt unter Hypnose als Reaktion auf den Ton nicht so stark aus wie im Wachzustand.
In einer weiteren Studie untersuchte die Wissenschaftlerin, wie Menschen auf einen elektrischen Schmerzreiz an der Hand reagieren, wenn ihnen hypnotisch die Suggestion gegeben wird, sie würden einen kühlenden Handschuh tragen – die Reaktionen im Gehirn waren signifikant unterschiedlich zu denen im Kontrolldurchgang ohne Hypnose. Im hypnotisierten Zustand fühlten die Probanden den Schmerz deutlich weniger. „Man spricht auch von Salienz, Wichtigkeit. Etwas, was abweicht, ist wichtig, und etwas, was weh tut, ist wichtig. Das heißt, es wird auf jeden Fall stärker verarbeitet. Das sieht man dann im EEG. Es sind halt riesige Ausschläge. Wenn ich vorher eben Hypnose induziert habe und gesagt habe: Du hast hier Ohropax in den Ohren oder du hast hier einen Handschuh, der deine Hand taub und kalt macht, dann gibt es diese Reaktion einfach nicht mehr auf diese salienten Reize.“

Vorsicht Scharlatane!

Hypnosetherapeut*in ist in Deutschland kein geschützter Begriff. Jeder kann sich selbst so nennen, auch Scharlatane. Hypnosegesellschaften wie beispielsweise die „Milton-Erikson-Gesellschaft für klinische Hypnose“ empfehlen deshalb, sich an Therapeut*innen mit akademischem Grundberuf zu wenden. Mit schwerwiegenden psychischen Problemen sollte demzufolge ein hypnoseerfahrener Psychotherapeut aufgesucht werden.   
Die Klient*innen von Heilpraktikerin Sarah Peters sehen den großen Vorteil ihrer Therapeutin darin, dass sie durch ihre eigenen Erfahrungen mit einer schweren Angststörung nicht nur über theoretisches Wissen verfügt. „Ich konnte in der Tat am Ende der ersten Sitzung durch Berlin laufen. Das war nach den Jahren der Angst zu Hause ein Wahnsinnserlebnis“, erzählt sie. Ein Erlebnis, dass Sarah Peters nun mit Klient*innen wie beispielsweise Musikmanagerin Julia Gröschel teilt.
Die große, stark tätowierte Frau wirkt tough, in sich ruhend und positiv – doch das war, wie sie sagt, nicht immer so. „Nur ich zu sein, war halt nie genug in meiner Wahrnehmung und das hat sich zu 100 Prozent gewandelt“, seit sie es mit Hypnose versuchte. Vorausgegangen waren Gesprächstherapien, die aber erfolglos blieben. Die Managerin beschreibt sich selbst als sehr analytischen Menschen.
Ihre Schwachstellen waren ihr durchaus bewusst – und doch wurde sie die Selbstzweifel nicht los. „Und dann bin ich irgendwie richtig klassisch durch Google auf Hypnose gekommen und habe mit Sarah ein fünfzehnminütiges Gespräch gemacht“, und die erste Hypnosesitzung gebucht.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Hypnosetechniken werden als Weg zur Entspannung oder Selbstentspannung ebenso genutzt, wie im medizinischen Alltag, wo sie komplementär und in einigen Fällen sogar alternativ eingesetzt werden. Eine Meta-Analyse der Universitätskliniken Jena und Leipzig von 2021 zeigt den Nutzen der Hypnose in Bezug auf Schmerzen, psychische Belastung und Heilung bei und nach chirurgischen Eingriffen.
Hypnose hat vielfältige Einsatzmöglichkeiten, ist aber kein Allheilmittel. Für viele Anwendungsbereiche gibt es kaum wissenschaftliche Evidenz. Sie wirkt nicht bei allen Menschen gleich und bei nicht sachgemäßer Anwendung hat sie, so wie praktisch alle Behandlungen oder auch Medikamente, Risiken und Nebenwirkungen. Aber zumindest eine Sache steht fest: Das Bild, das Showhypnose und Hollywood geprägt haben ist mit Sicherheit falsch.

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