Asiem El Difraoui: "Die Hydra des Dschihadismus"

Terror mit tausend Köpfen

05:44 Minuten
Das Cover des Buches "Die Hydra des Dschihadismus" des Politologen Asiem El Difraoui.
© Suhrkamp

Asiem El Difraoui

Die Hydra des DschihadismusSuhrkamp, Berlin 2021

350 Seiten

24,00 Euro

Von Abdul-Ahmad Rashid |
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Der Politologe Asiem El Difraoui will verstehen, warum und wie der gewaltbereite Dschihadismus entstanden ist und wieso sich ihm so viele junge Menschen anschließen. Das gelingt ihm beeindruckend. Nur wenige der Erklärungsversuche greifen zu kurz.
Spätestens nach dem Fall der Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Syrien und Irak vor einigen Jahren dachten viele Menschen, der Dschihadismus, diese gewaltbereite Spielart des islamischen Extremismus, sei besiegt. Ein Irrtum, sagt der Politologe Asiem El Difraoui. Der Terror sei weiterhin existent und gefährlich.
In seinem neuen Buch vergleicht er den Dschihadismus mit einer Hydra: Das mystische Ungeheuer, dessen Köpfe immer wieder nachwachsen:
„In diesem Buch versuche ich, die schwer fassbare Gestalt der Hydra Dschihadismus zu definieren und zu erklären, wo und wie sie entstanden ist und mit welchen Methoden sie sich ausgebreitet hat. Wie sie sich nährt, in welcher Umgebung sie gedeiht und wie sie es schafft, Menschen zu verführen. Ich möchte auch betrachten, wie man sie schwächen und hoffentlich besiegen kann.“

Eine überzeugende Mischung aus Analyse, Reportagen und Porträts

Der Autor schafft es, viele dieser Fragen umfassend und nachvollziehbar zu beantworten. Das ist bei einer so komplexen Materie nicht einfach. Doch Difraoui überzeugt mit seiner Mischung aus Analyse, Reportagen und Porträts.
Die Stärke seiner Ausführungen liegt darin, dass er viele Orte des Terrors aufgesucht und mit vielen betroffenen Menschen gesprochen hat. Schon früh nämlich hat Difraoui, in Offenbach am Main aufgewachsener Sohn einer Deutschen und eines Ägypters, dieses gefährliche Phänomen erkannt und sich wissenschaftlich und journalistisch damit auseinandergesetzt, so auch bei Deutschlandfunk Kultur .
Difraoui führt in die Geschichte des Dschihadismus ein und zeigt die theologischen Grundlagen der Ideologie auf: Den Salafismus, eine Art Ur-Islam, sowie den Wahhabismus, einen strengen Islam saudi-arabischer Prägung, der dann von ägyptischen und pakistanischen Intellektuellen zu einem militanten Extremismus weitergeführt wurde.
Er schildert Afghanistan in den 1980er- und 90er-Jahren als Spielwiese für eine dschihadistische Internationale mit ihrem Anführer Osama bin Laden und seinem Terrornetzwerk al-Qaida. Er zeigt die Verbindungen unter den verschiedenen dschihadistischen Gruppen weltweit auf und verdeutlicht somit das Netzwerk des globalen Dschihad. Außerdem beschreibt er den Aufstieg und den Fall des IS.

Manche Erklärungsversuche greifen zu kurz

Der international renommierte Experte führt aus, mit welchen perfiden Methoden die Dschihadisten vor allem junge Menschen einfangen und instrumentalisieren: Durch gezielte Propaganda in den sozialen Netzwerken arbeiten sie mit Botschaften und Symbolen, die junge Menschen weltweit dazu bringen, sich dem Kampf der vermeintlich islamischen Sache anzuschließen.
Doch warum schließen sich junge Frauen und Männer dem Dschihad an? Warum erliegen sie der Propaganda der Terrorgruppen? Das vermag auch Difraoui, der viele Jahre für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin arbeitete und mittlerweile in Frankreich lebt, nicht überzeugend darzustellen.
Er führt die Gründe an, die auch andere Experten oft bemühen: die muslimischen Ausgrenzungserfahrungen im Westen, die grassierende Islamfeindlichkeit, die späten Reaktionen auf die Auswirkungen der Kolonialisierung, um einige zu nennen – als seien andere Minderheiten in Europa oder Nordamerika nicht von Rassismus und Stigmatisierung betroffen.

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Bei den Dschihadisten, von denen er einige getroffen hat, stellt er Machtfantasien durch eine unglückliche Kindheit oder eine gestörte Sexualität fest. Doch sollen das die Gründe sein, um in fremden Ländern unschuldige Menschen zu töten?

Den Terror verstehen, ohne zu verharmlosen

Was haben junge Männer in europäischen Vorstädten mit Altersgenossen beispielsweise in afrikanischen Städten zu tun, die im Namen einer gewaltverherrlichenden Ideologie mordend durch Orte ziehen – so wie neulich erst wieder in Mali und im Niger geschehen? Auch das vermag Difraoui nicht nachvollziehbar zu erklären.
So sehr Difraouis Ausführungen im historischen, theologischen und medienpolitischen Teil überzeugen, so wenig dringt er mit seinen Analysen über die Ursachen und auch mit seinen Vorschlägen für eine Prävention durch. Denn dann hätte er konstatieren müssen, dass die Ideologie des Dschihads in erster Linie ein Produkt der Muslime selbst ist. Letztendlich sind dort die Gründe für eine Radikalisierung und auch ihre Gegenargumente zu suchen.
Dennoch besticht „Die Hydra des Dschihadismus“ durch seine ausführlichen Darstellungen und tiefgründigen Ausführungen, ohne akademisch oder zu umständlich zu werden. Ein Buch, dass dieses brutale Phänomen gut und umfassend erklärt und verständlich macht, ohne dass es ihm seinen Schrecken entzieht.

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