Dschihadismus und Drogen

Ein Mittel, um dem Feind zu schaden

08:53 Minuten
Afghanische Bauern gewinnen Opium aus Mohnknospen auf ihren Feldern in den Außenbezirken von Kandahar.
Mohnanbau in Afghanistan: Der Konsum und Handel von Drogen ist im Islam eigentlich nicht erlaubt, erklärt Britt Ziolkowski. © picture-alliance / dpa / epa / Humayoun Shiab
Britt Ziolkowski im Gespräch mit Julia Ley · 27.06.2021
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Immer wieder erfährt man von Dschihadisten, die Drogen nehmen oder sie verkaufen – obwohl die meisten islamischen Gelehrten das für verboten halten. Aber im Krieg gelten andere Regeln, sagt die Islamwissenschaftlerin Britt Ziolkowski.
Julia Ley: Alkohol, unehelicher Sex, Drogen – all das ist in den meisten islamistischen Bewegungen streng verboten. Trotzdem liest man immer wieder von Dschihadisten, die eine Drogenvergangenheit haben. Anis Amri zum Beispiel, der Attentäter vom Breitscheidplatz, soll noch kurz vor seiner Tat Drogen genommen haben. Warum das so ist, darüber spreche ich jetzt mit Britt Ziolkowski, Islamwissenschaftlerin beim Verfassungsschutz in Baden-Württemberg. Frau Ziolkowski, ist Anis Amri die Ausnahme – oder eher der Normafall?
Britt Ziolkowski: Weder noch. Anis Amri ist weder eine Ausnahme noch der Normalfall. Es ist wichtig, hier festzustellen, dass nicht jeder Salafist – also Anis Amri war ja ein Salafist in seinem früheren Leben – Drogenkonsument war. Radikalisierungsverläufe und die Biografien von Salafisten sind sehr, sehr unterschiedlich. Aber in der Tat begegnen uns immer wieder Menschen in der salafistischen Szene, die eine Drogenvergangenheit haben.

Drogen und Salafismus: Kompensation von Defiziten

Ley: Sie haben sich ja viel mit den Radikalisierungsverläufen und den Biografien von Dschihadisten befasst. Vielleicht können Sie da noch mal das Milieu für uns zeichnen: Was sind denn das für Menschen, was zeichnet ihre Lebensläufe aus?
Ziolkowski: Zunächst einmal ist wichtig, hier noch mal festzuhalten, dass es in der Forschung im Prinzip einen Konsens darüber gibt, dass Radikalisierung im salafistischen Kontext keine Milieufrage ist. Das heißt, die Menschen, die sich radikalisieren, kommen aus den unterschiedlichsten Schichten. Sie haben einen Migrationshintergrund oder eben nicht, sie sind Schulabbrecher oder sogar Akademiker.
Wir haben es also mit sehr, sehr unterschiedlichen Biografien zu tun. Was die Lebensläufe jedoch eint, das sind Konstellationen, die bei den betroffenen Menschen zu Frustration und einem Gefühl der Entfremdung führen, das heißt, die Leute fühlen sich nicht zugehörig in der Familie, in der Gesellschaft oder sogar in beiden Sphären. Schlussendlich sind all diese Menschen dann auf der Suche nach einer Gemeinschaft und einer positiven Identität.
Ley: Das heißt, sowohl die Drogen als auch die radikale Gruppierung, der sie sich anschließen, sind so eine Art Antwort auf diese kaputten Lebensläufe oder auch diese schwierigen Biografien, die sie haben?
Ziolkowski: Ja, ich denke, das kann man so sagen. Regelmäßiger Drogenkonsum oder vielleicht sogar Sucht und auch die salafistische Ideologie, die funktionieren für diese Menschen im Prinzip ähnlich. Und zwar stellt beides so eine Art Problemlösungsstrategie dar. Also Sie haben es mit Menschen zu tun, die haben Probleme, deren Bedürfnisse wurden und werden nicht erfüllt und die versuchen im Prinzip, diese Defizite durch Drogenkonsum oder Anschluss an die salafistische Bewegung zu kompensieren.
In der Bewertung müssen wir natürlich festhalten, dass es sich dabei um dysfunktionale Problemlösungsstrategien handelt.

Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach

Ley: Sie sprechen jetzt von "dysfunktionalen Problemlösungsstrategien", ich übersetze das mal als eine Strategie, die nicht wirklich funktioniert. Eine Frage würde mich da aber interessieren: Funktioniert sie denn zumindest im Hinblick auf den Drogenkonsum? Man stellt sich das ja als einen sehr rigiden Lebensstil vor, der da gepredigt wird und den diese Menschen dann wahrscheinlich auch annehmen. Funktioniert das oder hilft dieser Lebensstil dabei, von den Drogen wegzukommen?
Ziolkowski: Jein. Es gibt sicherlich Personen, die schaffen es im Rahmen ihrer Radikalisierung, von den Drogen wegzukommen, wir beobachten aber auch immer wieder, dass es Menschen nicht gelingt, den Drogenkonsum zu stoppen.
Diese Menschen wissen dann zwar, dass ihr Konsum im Widerspruch zur salafistischen Ideologie steht, sie scheitern aber daran, das Verbot – also das Verbot, Alkohol zu trinken, Drogen zu nehmen – in der Praxis umzusetzen. Und auf diese Fälle trifft dann vielleicht auch die Redewendung "Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach" ganz besonders gut zu.
Ley: Sie haben sich ja in Ihrer Forschung ganz explizit auch mit der Rolle von Frauen befasst, die sich radikalisieren. Auch da schreiben Sie, es gibt Frauen, die eine Drogenvergangenheit haben, es scheint aber nicht so häufig vorzukommen wie bei den Männern. Was sind denn da die Ähnlichkeiten und Unterschiede: Sind das ähnliche Drogen, die man konsumiert, wenn man sie konsumiert, und aus ähnlichen Gründen?
Ziolkowski: Dazu können wir eigentlich noch gar nicht wirklich was sagen, weil die Forschung da auch noch nicht so weit ist. Das hängt damit zusammen, dass die Radikalisierungsforschung Genderaspekte lange Zeit eher vernachlässigt hat. Das ändert sich gerade, also inzwischen gibt es Forschung, die sich auch mit diesen Aspekten beschäftigt.
Insofern bin ich auch zuversichtlich, dass wir bald etwas mehr zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden im Radikalisierungsverlauf im Allgemeinen und vielleicht dann auch im Hinblick auf die Drogenvergangenheit der Salafisten und Salafistinnen im Speziellen sagen können.

Dschihad und Drogen – seit Langem verbunden

Ley: Sie hatten ja schon angesprochen: Der Geist ist willig, aber das Fleisch dann manchmal schwach. Das Verbot ist da, aber ganz offensichtlich gibt es ja auch Gruppen, die den Drogenkonsum ihrer Mitglieder tolerieren oder sogar unterstützen. In Berlin zum Beispiel ist im März bei einer Razzia eine salafistische Gruppierung untersucht worden – die nannte sich Jama’atu Berlin – und da hat man unter anderem Steroide gefunden zum Muskelaufbau, auch Medikamente gegen Depression, aber auch Marihuana. Ist das etwas, das Sie auch anderswo beobachten im salafistischen Milieu, dass da Drogenkonsum toleriert oder womöglich sogar gefördert wird?
Ziolkowski: Ja, also die Verbindung zwischen Dschihad und Drogen, das ist ja keine neue Verbindung, das ist ja eine Verbindung, die wir auch schon in den vergangenen Jahren und bei anderen Organisationen beobachten konnten.
So ein ganz klassisches Beispiel dafür sind die Taliban, die ja keine Salafisten sind, sondern einer anderen islamistischen Strömung angehören, die aber in großem Stil im Drogenhandel involviert sind. Dabei müssen wir bedenken, dass die Taliban ja in Afghanistan agieren und Afghanistan das Hauptanbaugebiet von Schlafmohn ist, aus dem dann wiederum zum Beispiel Heroin gewonnen wird. Die Taliban nutzen im Prinzip die Strukturen, die sie vorfinden in Afghanistan, und ziehen daraus Profit, indem sie auf Anbau und Handel von Schlafmohn Steuern erheben.
Und auch dem IS wird nachgesagt, dass er durch Drogenproduktion und Handel Geld erwirtschaftet hat, bei ihm geht es allerdings um die Droge Captagon. Zudem gibt es Berichte darüber, dass IS-Mitglieder Aufputschmittel konsumiert haben sollen, mit dem Ziel strategischer Vorteile im Kampf. Also hier geht es um Leistungssteigerung, Konzentration, Risikobereitschaft oder auch die Reduktion des Durst-, Hunger- oder Schmerzgefühls. Allerdings wissen wir beim IS noch viel zu weniger darüber, in welchem Umfang das tatsächlich auch so stattgefunden hat.

Eigentlich sind Drogen im Islam verboten

Ley: Sie hatten ja auch schon angesprochen: Es gibt eigentlich – zumindest sind sich da die meisten islamischen Rechtsgelehrten einig – ein klares Alkoholverbot im Islam. Was jetzt mir und vielleicht auch den meisten Hörern wahrscheinlich nicht ganz so klar ist, wie steht es denn mit den Drogen? Gibt es auch da im Islam – oder unter der Mehrheit der islamischen Rechtsgelehrten – eine ähnlich klare Positionierung?
Ziolkowski: Ja, die gibt es auf jeden Fall. Unter den islamischen Rechtsgelehrten besteht im Prinzip auch im Hinblick auf Drogen ein Konsens darüber, dass der Konsum und Handel verboten ist. Die Rechtsgelehrten stützen sich in der Regel dabei auf die religiösen Quellentexte, in denen es um Alkohol geht, also diese dienen dann als Argumentationsgrundlage oder Schablone für die Beantwortung der Fragen zum Umgang mit Drogen.
Ley: Das heißt, Drogen genauso verboten wie Alkohol sozusagen, aus den gleichen Gründen?
Ziolkowski: Genau.

Der Zweck heiligt die Rauschmittel

Ley: Dann scheint es doch aber relativ widersprüchlich auf den ersten Blick, dass da eigentlich ein klares Verbot besteht und andererseits Dschihadisten diese Drogen ja ganz offensichtlich einsetzen – sei es, um sich oder ihre Organisation zu finanzieren, oder eben um sich auf den Kampf vorzubereiten. Wie rechtfertigt man das denn?
Ziolkowski: Na ja, was die Dschihadisten angeht, so können wir feststellen, dass sie den Drogenhandel, an dem sie verdienen wollen, oder auch das Aufputschen der Kämpfer mit Drogen im Prinzip rationalisieren. Das heißt, ihnen ist natürlich bewusst, dass das alles im Widerspruch zur Ideologie steht, sie sehen den Drogenhandel und den Konsum von Drogen zum Aufputschen im Kampf aber als Mittel zum Zweck – und zwar, um dem Feind zu schaden.
Interessant ist, dass die Organisationen dieses Spannungsfeld offenbar nicht nach außen rechtfertigen, also mir sind zumindest keine einschlägigen Schriften und Botschaften bekannt. Woran das jetzt liegt, darüber kann ich nur spekulieren. Möglich ist natürlich, dass sie den Feind nicht darauf aufmerksam machen wollen, also der Feind soll nicht dezidiert erfahren, wie genau er geschädigt wird.
Im Hinblick auf das Dopen im Kampf geht es ja zum Beispiel auch um das Bewahren der strategischen Vorteile, die man sich erhofft. Möglich ist aber auch, dass sie die eigene Anhängerschaft gar nicht erst auf dieses Spannungsfeld aufmerksam machen wollen, um vielleicht auch mögliche Diskussionen zu vermeiden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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