Housing First

Wie Obdachlosen mit Wohnraum geholfen wird

Obdachloser zugedeckt mit einer roten Decke schläft auf einer Bank in der U-Bahnstation Leopoldplatz.
Allein in Berlin leben schätzungsweise 6000 Menschen auf der Straße. Projekte wie "Housing First" könnten dabei helfen, das Problem zu überwinden. © Imago / Müller-Stauffenberg
20.01.2024
Bis 2030 soll es keine Obdachlosen mehr in Deutschland geben. So will es die Regierung. Das Konzept "Housing First" ist ein Lösungsansatz und erste Erfolge sind vielversprechend. Doch es fehlt an Wohnraum.
Die Bundesregierung hat sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Bis zum Jahr 2030 will sie laut Koalitionsvertrag Obdachlosigkeit in Deutschland überwinden. Im Januar 2022 waren laut Wohnungslosenbericht 263.000 Personen ohne Wohnung. Doch bezahlbarer Wohnraum ist bekanntermaßen knapp, es wird zu wenig gebaut, auch zu wenige sozial geförderte Wohnungen, bestehende fallen aus der Förderung, Mieten steigen. Da ist es für Obdachlose besonders schwierig, zurück in eine feste Unterkunft zu finden. Doch das Konzept "Housing First" könnte ein möglicher Ausweg sein.

Wie funktioniert das Konzept „Housing First“?

Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist oft mit mehreren Problemen verbunden, wie Armut, Erwerbslosigkeit, Drogensucht und anderen Erkrankungen. Das Konzept von "Housing First" besagt: Wohnen ist ein Menschenrecht. Zuerst muss eine dauerhafte Unterkunft her, erst dann kümmert man sich um die anderen Probleme. Das verschafft den Betroffenen die nötige Ruhe, um sich selbstbestimmt wieder ein Leben in der Gesellschaft aufzubauen. Die Betroffenen werden dabei individuell von wohnbegleitenden Hilfen unterstützt, aber zu nichts gezwungen. Die begleitende Hilfe erfolgt so lange wie nötig.
Der ehemalige Obdachlose Franz-Konrad Bauer sitzt in seiner Wohnung, an die er über das Obdachlosen-Projekt «Housing first» gelangt ist, und liest in einer Zeitschrift.
Franz-Konrad Bauer war einst obdachlos, über das Projekt "Housing First" hat er in Hannover eine Wohnung bekommen - und eine zweite Chance.© picture alliance / dpa / Moritz Frankenberg
Meistens ist es in Deutschland noch so, dass Wohnungslose erst noch in einem mehrstufigen Verfahren ihre "Wohnfähigkeit" beweisen müssen, bevor sie eine dauerhafte Unterkunft bekommen - oder besser gesagt: falls. Denn dieses Stufensystem führt im Falle des Scheiterns zum sogenannten Drehtüreffekt: Die Betroffenen landen wieder auf der Straße.

In welchen deutschen Städten wird "Housing First" bereits angewandt?

"Housing First"-Initiativen gibt es unter anderem in Berlin, Bremen, Düsseldorf, Köln und Nürnberg. Diese haben sich im Jahr 2022 zum Bundesverband Housing First zusammengeschlossen. Auch in Städten wie Frankfurt, Hamburg, Hannover, Saarbrücken und Stuttgart wurden solche Projekte gestartet.

Welche Erfolge haben "Housing First"-Programme?

In Berlin gibt es seit 2018 zwei "Housing First"-Projekte, eines davon nur für Frauen. Für die Modellprojekte bewarben sich 611 wohnungslose Haushalte, 44 wurden in das Projekt aufgenommen (darunter zwölf Frauen), schließlich wurden 40 Menschen mit Wohnraum versorgt (darunter elf Frauen).
Die Sollquote wurde erfüllt, die Wohnstabilität war hoch, auch die Nutzer zeigten sich sehr zufrieden. Daher wertete das Land Berlin das Projekt als erfolgreich und finanziert das Projekt in den Jahren 2022 und 2023 mit insgesamt 6,1 Millionen Euro.

Welchen Obdachlosen kann damit nicht geholfen werden?

Die Teilnehmer am "Housing-First"-Projekt müssen Anspruch auf Sozialhilfe haben, damit sie die Miete bezahlen können. Das bedeutet: Obdachlose ohne deutschen Pass können nicht aufgenommen werden. Bislang ist "Housing First" etwas für die Wenigsten - den meisten Interessenten in Berlin musste abgesagt werden, weil die Kapazitäten fehlen.

In welchen anderen Ländern wird das Konzept verfolgt?

"Housing First" wurde in den 90ern in New York entwickelt und wird mittlerweile auch in mehreren europäischen Ländern praktiziert, darunter Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich und Spanien. Besonders erfolgreich ist es seit 2008 in Finnland .

Warum ist Finnland das Vorbild bei „Housing First“?

Finnland hat seit dem Beginn von "Housing First" im Jahr 2008 die Zahl seiner Obdachlosen mehr als halbiert: von 8.260 auf 3.686 im Jahr 2022. In den 80ern-Jahren hat es noch über 20.000 Menschen ohne feste Bleibe gegeben - das gab damals den Anlass, das Problem ernsthaft anzugehen. Bis zum Jahr 2027 soll jeder in Finnland eine Wohnung haben.
Die Bundesregierung will drei Jahre später dieses Ziel erreichen, ist davon aber noch viel weiter entfernt. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) besuchte im Februar 2023 Finnland mit einer Delegation, um sich von dieser Erfolgsgeschichte persönlich einen Eindruck zu verschaffen.

Ist das finnische Konzept auf Deutschland übertragbar?

In Finnland gibt es Stiftungen wie die "Y-Foundation" oder das "Blaue Kreuz", die sich auf den Bau und den Kauf von Wohnungen für Wohnungslose spezialisiert haben - solche Institutionen fehlen in Deutschland, ebenso wie Personal, um Wohnraum zu vermitteln.
Allerdings gibt es andere Initiativen: Im Jahr 2017 haben der Paritätische Wohlfahrtsverband NRW und der Düsseldorfer Verein der Wohnungslosenhilfe fiftyfifty/Asphalt e.V. den "Housing-First-Fonds" gegründet. Dieser ermöglicht es Organisationen der Wohnungslosenhilfe in Nordrhein-Westfalen, Wohnungen für "Housing First"-Projekte zu kaufen und umzubauen. Der Fonds finanziert sich durch den Verkauf von Kunst.
Trotz aller Schwierigkeiten in der Umsetzung macht "Housing First" zunehmend Schule. Berlin hat 2021 in seinem Masterplan zur Bekämpfung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit erklärt: "Das Prinzip Housing First – Zuerst eine Wohnung! – soll das Leitmotiv der Wohnungslosenpolitik der 2020er-Jahre werden."

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