Hörbuch

Das Trauma will nicht vergehen

Luftansicht Bogotas, der Hauptstadt Kolumbiens.
Luftansicht Bogotas, der Hauptstadt Kolumbiens. © picture alliance / dpa / Foto: Mika Schmidt
Von Wolfgang Schneider · 22.09.2014
Für "Das Geräusch der Dinge beim Fallen" hat Juan Gabriel Vásquez den mit 100.000 Dollar dotierten "Impac Literary Award" erhalten. In der nun veröffentlichten Hörspielfassung bleiben die Feinheiten seines psychologischen Erzählens leider auf der Strecke - trotzdem ist sie zu empfehlen.
Antonio Yammara ist ein junger Juraprofessor, der zur Entspannung gern Billard spielen geht. In der Billardbar im Herzen Bogotas lernt er eines Tages einen älteren Mann kennen, der sich zunächst spröde gibt:
"Ich bin Pilot. Besser gesagt, ich war Pilot. Ich hab das Fliegen aufgeben."
"Und was haben Sie geflogen?"
"Hören Sie mal, Yammara, mein Leben erzähle ich nicht jedem X-Beliebigen. Verwechseln Sie Billard nicht mit Freundschaft."
Bald aber erhält Yammara Einblick in eine geplagte Existenz: Lange hat Ricardo Laverde in den Vereinigten Staaten im Gefängnis gesessen. Nun ist seine einzige Hoffnung, dass seine Frau, die er viele Jahre nicht gesehen hat, zu ihm zurückkehrt. Den Flug hat sie bereits gebucht.
Als Yammara Laverde jedoch nach Wochen wiedertrifft, wirkt er schwer verstört. Was geschehen ist, erfährt Yammara nicht. Denn kurz darauf werden die beiden Männer auf der Straße Opfer eines Drive-by-Shootings:
"Im selben Moment sah ich, wie ein Motorrad einen Satz nach vorn machte, die Straße hinunterfuhr, auf uns zukam, und genau in dem Augenblick, als ich versuchte, Laverde wegzureißen, nahm ich nur zwei Köpfe wahr, die uns anvisierten, ohne dass ich ihre Gesichter erkennen konnte."
Lebt er wie hinter einer gläsernen Wand
Laverde stirbt, Yammara überlebt schwer verletzt. Die Schusswunde heilt; das Trauma will nicht vergehen. Für seine junge Frau, die gerade ein Kind erwartet, lebt er wie hinter einer gläsernen Wand. Fixiert auf die unerklärlichen Ereignisse, setzt er sich auf die Spuren Laverdes. Bald stößt er auf die mysteriöse Audio-Kassette, die der Tote zum Schluss bei sich trug: Aufzeichnungen der Blackbox des Flugzeugs, in dem Laverdes Frau Elena Fritz saß.
"Sofort nach rechts! Ich muss versuchen, die Maschine wieder hochzukriegen!"
Hätte Sie etwas von der Luftfahrt verstanden, so wie Ricardo, hätte sich Elena Fritz jetzt ausdenken können, dass ein Sinken auf weniger als 10.000 Fuß in gebirgiger Gegend gefährliche Risiken mit sich bringt...
"Zieh hoch Junge, zieh hoch!"
"Ahh!"
"Scheiße, wir sind zu langsam! Wir sind zu langsam!"
Kurz vor der erhofften Versöhnung ist Laverdes Frau abgestürzt. Was hat es auf sich mit den unglückseligen Verkettungen oder schrecklichen Zufällen im Leben dieses Mannes? Yammara bekommt Kontakt zu Laverdes Tochter, und in langen Gesprächen setzten die beiden das Puzzle von Laverdes Vorleben zusammen – nicht alle Teile werden gefunden, aber es ergibt sich das Bild einer vom Drogenkrieg geprägten Generation. Der Pilot Laverde erhoffte sich damals, um 1970, von der Nebenbeschäftigung als Drogenkurier Wohlstand für seine Familie.
Beigeschmack von Hauruck-Psychologie
"Ich hatte schon angefangen, mir Sorgen zu machen."
"Das brauchst du nicht."
"Was ist das für ein Auto?"
"Gefällt es dir? Der gehört dir, Elena Fritz! Frohe Weihnachten!"
"Wir haben Juni. Woher kommt er? Wir können uns sowas nicht leisten!"
"Zuviele Fragen. Wenn es regnet, wirst du nicht nass! Steig ein!"
Romane über den Drogenkrieg kommen meist als harter Stoff daher. Juan Gabriel Vásquez aber geht es nicht darum, im Stil eines Thrillers die endlose Gewalt selbst zu zeigen, sondern ihre Nachwirkungen in den Biografien und Familienzusammenhängen. Die Feinheiten des psychologischen Erzählens bleiben im Hörspiel ein wenig auf der Strecke; die Verbindung von Zeitgeschichte und Familiendrama wirkt plakativer als im Buch.
Dass Yammara durch die Reise zu Laverdes Tochter am Ende seine eigene Ehe zerstört, bekommt einen Beigeschmack von Hauruck-Psychologie.
Stimmen und Stimmungen überzeugen
"Und? Ist sie hübsch und knackig? Ich begreife nur nicht, warum du gestern nicht angerufen hast. Hattest du gestern dieses Telefon nicht zur Hand? Du bist verdammter Scheißkerl, Antonio!"
"Aura, bitte, versteh mich doch. Du weißt doch, wie wichtig das alles für mich ist."
"Ein rücksichtsloser Scheißkerl bist du! Das kannst du mit deiner Familie nicht machen!"
Von diesen Einwänden abgesehen, wird man durch eine lebendige Hörspiel-Inszenierung entschädigt, deren Stimmen und Stimmungen überzeugen. Sebastian Rudolph bewährt sich in der Rolle von Professor Yammara als Spezialist für gebrochene, verunsicherte, wenn nicht jämmerliche Männer-Figuren. Ein spannendes, unterhaltsames Hörvergnügen.

Juan Gabriel Vásquez: Das Geräusch der Dinge beim Fallen.
Aus dem Spanischen von Susanne Lange
Hörspiel. DAV, 2 CDs
108 Minuten, 16,99 Euro

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