"$hit-Coin"

Konserven voller Künstlerkot

06:13 Minuten
Eine weiße Konservendose vor schwarzem Hintergrund. Auf der Dose steht in schwarzer Schrift unter anderem "Artist's Shit" und "White Male Artist".
Performancekünstler*in Cassils hat "Künstlerscheiße" produziert: Die mit Kot gefüllten Dosen sind jeweils einem Künstler und seiner Diät gewidmet. © White Male Artist
Von Andreas Robertz · 26.07.2021
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Performancekünstler*in Cassils hat die Ernährungsweise von Kunststars imitiert und dann den eigenen Stuhlgang in Blechdosen gefüllt. Unter dem Namen "$hit-Coin" werden nun NFTs der mit Exkrementen gefüllten Dosen versteigert.
4. Juli: Joseph Beuys. Blechdose, bedrucktes Papier und Exkremente (Früchte, Knoblauch, Teig, geschälte Kartoffeln, Maggi Würze, Salbei usw.).
14. Juli: Yves Klein. Blechdose, bedrucktes Papier und Exkremente (Kaffee, Zigaretten, Cointreau, Steak, Blumenkohl ...).
20. Juli: Jackson Pollock. Blechdose, bedrucktes Papier und Exkremente (Protein-Getränk, rohes Gemüse, Löwenzahnsaft, Milch, Hummer, Apple Pie)

Essen und ausscheiden wie Kunststars

"Ich habe die weißen männlichen Künstler recherchiert, die laut Auktionsdatenbanken das meiste Geld verdienen", erzählt Performance-Künstler*in Cassils. "Und ich habe beschlossen, deren Mahlzeiten zu konsumieren und jeden Tag eine Konservendose mit der Ausscheidung davon zu versteigern. Ich verdaue deren Erfahrung, produziere deren Ergebnis und frage dann: Ist ihre Arbeit wertvoller als meine?"
Cassils ist in Deutschland durchaus für Provokationen bekannt. Mit fast nacktem Körper zeigte sich die transgender Performance-Künstler*in 2015 auf einem Ausstellungsposter des Deutschen Historischen Museums für die Ausstellung "Homosexualität_en": muskelprotzend, männlich, mit Lippenstift und Brüsten.
Cassils stellt Seherwartungen infrage und rückt den Köper als Kunstobjekt in den Vordergrund. "$hit-Coin" ist unter anderem von dem Kunstwerk "Merda d’artista" – also "Künstlerscheiße" – des Italieners Piero Manzoni inspiriert.
"Piero Manzoni kritisierte 1961 die soziopathisch kapitalistische Lust des Kunstmarktes", sagt Cassils.
"Er beobachtete die massive Produktion von Warhols Factory mit all dem Glanz und dem Geld, das in New York floss. Er war Teil der Arte-Povera-Bewegung, 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Er entschloss sich, 90 Konservendosen mit seinem Kot zu füllen, je 30 Gramm Künstlerkot kosteten 30 Gramm Gold. Und ich habe überlegt, wie das wohl heute aussehen würde, wenn ich aus Manzonis Kommentar NFTs machen würde."

Provokation als Kritik am Kunstmarkt

"$hit Coin" ist aber nicht nur eine Kritik am Kunstmarkt und eine Satire auf die Dominanz weißer Männer, sondern auch eine Aufforderung, die neuen Entwicklungen in der digitalen Kunstvermarktung kritisch im Auge zu behalten.
Für viele Künstlerinnen und Künstler bedeutet die digitale Technik erst mal einen Befreiungsschlag, besonders in Zeiten der Pandemie, in der Galerien geschlossen waren. Mit NFTs können sie ohne Zwischenhandel in direkten Kontakt mit Sammlerinnen und Sammlern treten. Wenn das Kunstwerk weiterverkauft wird, erfährt der Künstler davon und kann mit Hilfe eines "smart contract" – so etwas wie ein Urhebervertrag, der in den Grundcode der Blockchain einprogrammiert ist – Tantiemen beziehen.

Was sind NFTs?
Die Abkürzung NFT steht für Non-fungible Token, übersetzt in etwa: "nicht gleichwertig ersetzbares Zeichen". Ein NFT ist ein fälschungssicheres Zertifikat, das auf einer Blockchain hinterlegt wird, und als Zugangsschlüssel zu einem digitalen Kunstwerk dient. Um die Technologie ist ein Hype auf dem Kunstmarkt entstanden.

"Die Technik erlaubt zwar so etwas wie künstlerische Souveränität, aber dann wird sehr schnell klar, dass die technische Utopie, die versprochen wird, dieselben Vorurteile und Beschränkungen widerspiegelt, die auch momentan in der Gesellschaft herrschen", sagt Cassils.
"Crypto-Kunst und die NFT-Community machen da keine Ausnahme. Es geht darum, viel Geld zu bewegen, total zynisch. Wo ist da Raum für die anderen Künstler, diese Technik zu benutzen? Deswegen habe ich mich entschlossen, ‚$hit-Coin‘ unter dem Pseudonym White Male Artist zu publizieren, wegen der Tatsache, dass 98 Prozent von denen, die auf dem weltweiten Kunstmarkt erfolgreich sind, aus dieser Gruppe kommen; als wäre ich ein trojanisches Pferd im feindlichen Gebiet."

"Auch Beyoncé muss scheißen"

Dabei geht es Cassils nicht darum, die Kunst der erwähnten Elite zu kritisieren:
"Jemand hat mir gesagt, auch Beyoncé muss scheißen. Es gibt diese Körperfunktion, die sehr demokratisch ist, die uns alle vereint. Wenn ich über diese Männer nachdenke und das Nachproduzieren ihrer eigenen Scheiße, heißt das nicht, dass ich ihre Arbeit scheiße finde. Es ist mehr so, wie Manzoni sagt: Künstlerische Arbeit wird manchmal wertgeschätzt und manchmal nicht."
Das Recherchieren der einzelnen Ernährungsweisen habe übrigens viele interessante Einsichten über die Persönlichkeit der Künstler gebracht, sagt Cassils.
Bislang hat jeder Auktionstag im Durchschnitt 2000 Dollar gebracht. Das klingt nicht viel, ist aber weit mehr, als Cassils normalerweise verdient. Das ersteigerte Geld geht an eine Künstlerinitiative. So entsteht für Cassils Solidarität statt Gier.

Am Montag, 26. 7., werden ab 18 Uhr für 24 Stunden beim Online-Auktionshaus Phillips die letzten Dosen versteigert.

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