Helfen und Helfenlassen

Bitte, danke, gern geschehen

Man sieht zwei Frauen und einige Flüchtlingskinder. Alle sehen fröhlich aus.
Hilfe für Flüchtlinge: Eine Freiwillige aus Hamburg (2.v.li.) unterstützt eine Caritas-Mitarbeiterin. © picture-alliance / dpa / Michael Hudelist
Moderation: Christian Rabhansl · 18.02.2017
Im Herbst 2015 entstand in Deutschland eine Bewegung, die als "Willkommenskultur" in die Geschichtsbücher eingehen wird. Millionen von Menschen halfen Menschen in Not mit Tatkraft, Spenden und Engagement. Warum werden sie als "Gutmenschen" beschimpft?
Zu Gast in der "Lesart" sind:
Tillmann Bendikowski, der Historiker und Journalist stellt sein Buch "Helfen. Warum wir für andere da sind" vor. C. Bertelsmann, 2016
Holger Michel mit seinem Buch "Wir machen das. Mein Jahr als Freiwilliger in einer Unterkunft für Geflüchtete". Kiepenheuer & Witsch. 9.3.2017
Jens Dirksen, Kulturchef der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung"
Der Satz "Wir schaffen das" von Angela Merkel gilt nicht als Beweis von Menschlichkeit, sondern wird in der Diskussion um den Umgang mit geflüchteten Menschen als schwerer politischer Fehler gedeutet.
In der Lesart "Bitte, danke, gern geschehen: Vom Helfen und Helfen lassen" stellen wir zwei Bücher und ihre Autoren vor, die sich mit dem Thema "Helfen" beschäftigen.

Auszüge aus dem Gespräch:
Christian Rabhansl: Was war der Auslöser für die Tätigkeit als freiwilliger Helfer?
Holger Michel: Es war sicher nicht nur das Foto, sondern die gesamte Stimmung, die in diesen Tagen ja wirklich durch Deutschland ging, der man sich auch nicht entziehen konnte, egal, wo man sich befand. Also man musste ja schon bewusst davon nichts mitbekommen. Es war ja omnipräsent und führte eben dazu, dass sehr viele Menschen, wie ich, die damit eigentlich nichts zu tun hatten, dann plötzlich dachten, ich müsste jetzt mal was tun.
Rabhansl: Brauchen wir Ikonen des Leids?
Tillmann Bendikowski: Ich spreche lieber von Ikonen des Helfens. Mir ging es auch um die Vorbilder des Helfens, das war auch die aktuelle Situation, die Herr Michel auch beschrieben hat, diese Situation im Sommer 2015. Für mich war als Historiker natürlich die Frage, wo kommt das her, und gibt es eine Kultur des Helfens, die uns alle verbindet, und wenn es sie gibt, was ich bejahe, was hat sie für eine Geschichte, wie ist sie aufgebaut, und dann auch die Frage, wie geht es mit dieser Kultur des Helfens eigentlich weiter.
Rabhansl: Das Foto des ertrunkenen dreijährigen Aylan an der türkischen Küste: Wie haben Sie das in der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" damals gemanagt?
Jens Dirksen: Das war sehr schwierig. Wir haben uns am Ende dagegen entschieden, das Foto zu drucken, und ich kann nur sagen, das war eine Fifty-Fifty-Entscheidung. Am Ende hat der Chefredakteur den Ausschlag gegeben. Die Diskussion war kontrovers, ich habe sie aber als sehr, sehr wohltuend empfunden, weil mit einer seltenen Gründlichkeit Argumente ausgetauscht wurden, und ich muss gestehen, als ich das Buch von Holger Michel gelesen habe und gemerkt habe, dass es doch eine Initialzündung gewesen ist, da habe ich dann schon wieder gedacht, vielleicht haben wir doch falsch entschieden. Also diese Entscheidung, die wir dann einmal getroffen haben, war keine, hinter der man hundertprozentig stehen konnte. Im Nachhinein sieht man es unter Umständen schon wieder anders, aber es gab auch gute Gründe dafür, das Foto nicht zu drucken. Das war eigentlich, glaube ich, am Ende mehr ein Statement als eine Informationszurückhaltung, wenn man so will.
Rabhansl: Wie haben Sie die ersten Tage als Helfer in der Flüchtlingsunterkunft im Rathaus Wilmersdorf erlebt?
Michel: Es war die zweitgrößte oder es wurde die zweitgrößte Unterkunft. Also die Größte, die wir haben, ist Tempelhof, dieser Hangar, wo wirklich 2.000 Menschen in einer Halle leben. Wir hatten die sehr luxuriöse Situation, muss man sagen, dass bei uns das Gebäude ein altes Rathaus ist, sprich es gab viele Zimmer. Wir belegen knapp 600 Zimmer, in die maximal vier Leute müssen, optimalerweise eine Familie, im schlimmsten Fall eben nur vier Fremde, was natürlich sehr viel ruhiger ist, sehr viel weniger Möglichkeiten auch für Konflikte bietet. Es war eine chaotische Situation, es sind jeden Tag neue Leute gekommen. Niemand von uns Freiwilligen hatte vorher sowas mal gemacht. Wir haben das ja nicht gelernt. Das ist auch, jetzt nach anderthalb Jahren, wo ich immer noch dabei bin, das, was mich, glaube ich, bis heute am meisten fasziniert, dass wir, obwohl wir uns – ich kannte niemanden in dem Haus –, obwohl wir nicht wussten, wie es geht, es irgendwie geschafft haben, gemeinsam etwas anzugehen, und dieses gemeinsame Werteverständnis hatten, was wollen wir hier eigentlich erreichen.
Cover Holger Michel: "Wir machen das"
Cover Holger Michel: "Wir machen das"© Kiepenheuer & Witsch
Rabhansl: Warum werden eigentlich die Helfer so kritisiert?
Bendikowski: Es war einer meiner Impulse für dieses Buch überhaupt. Ich habe das beobachtet, ich habe quasi sie unwissend mit beobachtet. Warum sind die Helfer eigentlich so im Visier. Das war dann so besonders schön, wenn man dann so über Maschmeyer und Verona Ferres – "in Ferienhäusern haben die jetzt syrische Familien" und so, "die wollen sich ja bloß aufplustern" –, es kam eins zum anderen – die müssen sich was beweisen, entweder haben sie einen Knacks mit "Opa war Nazi" oder "sie haben ein schlechtes Gewissen" oder "sie haben nichts zu tun" oder "Akademiker ohne Bildung, ohne Lebensinhalt". Aus den Veröffentlichungen – bei Ihnen im Kulturteil natürlich selbstverständlich nicht – fiel einem das entgegen: "was sind das eigentlich für deformierte Gestalten mit Helfersyndrom, die den Menschen helfen müssen, was haben die denn für ein Problem". Das hat mich irritiert, ich habe gesagt, wo ist denn, wenn ich das mal umdrehe und schaue auf denjenigen, der die Hilfe bekommt, dann ist ihm das erstens ziemlich egal, was für ein Motiv dahintersteht, außer es wird sehr bedrängend, und woher kommt die Denunzierung des Helfers, und was macht das eben mit einer Gesellschaft, wenn diese Diffamierungskampagne weiterläuft. Um es auf den Punkt zu bringen: Diese Diffamierung der Helfer …
Das schloss übrigens Angela Merkel mit ein, mit diesem "Spiegel"-Titelbild von Mutter Angela, das war ein Diffamierungsbild. Es gab da Kommentare, "ja, die kommt halt aus einem evangelischen Pfarrhaus, und die kann halt die Barmherzigkeit, aber politische Realität kann sie nicht, so ein kleines dummes Mädchen, gutes Herz, aber ein bisschen schlicht". Diese Diffamierungskampagne ist letztlich eine Dezivilisierungskampagne, weil wenn wir das Helfen diffamieren, dann diffamieren wir unsere Zivilisiertheit, und das kann ich dann eben doch als Historiker sagen: Wenn die Firnis des Helfens aufbricht, aufplatzt, dann platzt unsere Zivilisiertheit. Das ist etwas, was wir im Dritten Reich erlebt haben. Der Schrecken … das ist vorgestern, machen wir uns nichts vor. Da ist die Helferkultur geplatzt. Da waren plötzlich die traditionellen Helfer im weißen Kittel mit den Mitteln des Helfens, mit Medikamenten und Spritzen an den Orten des Helfens, in Krankenhäusern und Waisenhäusern, waren sie die Mörder, und das passiert, wenn wir diese ganz dünne Firnis der Zivilisation – und zu dieser Firnis gehört diese Firnis des Helfens –, gehört diese Kultur – übrigens, dazu gehört auch der Sozialstaat, um beide zusammen zu nehmen –, wenn das aufreißt oder wenn Leute dort den Hebel ansetzen, dann muss uns sofort der kalte Schauer über den Rücken laufen. Wenn ich sage, ich zuerst oder wenn Leute mit Kleiderspenden kommen für Obdachlose und sagen, das ist aber nur für Deutsche, dann ist das genau der Moment. Das gibt es. In Hamburg gibt es Übernachtungsplätze für Obdachlose. Da ist die Diskussion, Deutsche oder auch die bettelnden Rumänen. "Aber die können doch nach Hause gehen, nach Rumänien, da haben sie doch bestimmt eine Bleibe, aber die müssen wir doch nicht… Klar ist das Februar, und es ist kalt, aber die doch nicht." Wenn wir anfangen, die Opfer zu segmentieren und danach unsere Kultur des Helfens auszurichten, dann bekommen wir ein Problem.
Cover Tilmann Bendikowski: "Helfen"
Cover Tilmann Bendikowski: "Helfen"© C. Bertelsmann
Rabhansl: Sie schreiben ja von Denunzierung und zitieren dann auch durchaus etablierte Presseerzeugnisse, die vom Helfersyndrom im Endstadium schreiben, die pathologischen Gutmenschen. Da fängt es schon an?
Bendikowski: Ja, der Gutmensch ist ein Diffamierungs-, das ist ein Kampfbegriff. Also es nicht ein Unwort des Jahres, das ist eine höllische Untertreibung, Unwort des Jahres. Das ist ein Kampfbegriff, das ist ein politischer Kampfbegriff, das ist ein antizivilisatorischer Diffamierungsbegriff.
Dirksen: Man kann das auch auf der individualpsychologischen Ebene sehen, glaube ich. Das Problem an denjenigen, die helfen, ist, dass sie die Latte, den Maßstab für die Moral ziemlich hoch setzen, und die meisten erleben in diesem Moment, dass sie selber drunter bleiben, und um sich selber sozusagen vor dieser drohenden Erniedrigung zu schützen, beschimpft man diejenigen, die die Latte so hoch legen.
Bendikowski: Das ist die eine Möglichkeit, oder sie haben keine Möglichkeit, das, was sie eigentlich meinen, politisch zum Ausdruck zu bringen, sich entweder nicht trauen oder merken, dass sie auf Krücken unterwegs sind argumentatorisch und dann zur Diffamierung greifen.
Michel: Aber es sind natürlich auch immer die Leute, die anderen als Gutmenschen bezeichnen, die andere … Wie oft habe ich gehört, dass wir naiv sind. Das sind auch immer die Leute, die sich mit Geflüchteten nie beschäftigt haben, die es sich sehr einfach machen, sich zurückziehen, das von außen betrachten, und die wissen dann genau, was für Menschen wir aufnehmen, während wir naiv und geblendet sind. Der Begriff des Gutmenschen, den habe ich natürlich in den letzten anderthalb Jahren hundertfach gehört. Ich habe ihn mir zu eigen gemacht. Also ich bin ein Gutmensch.
Bendikowski: Ja, wollen Sie ein Schlechtmensch sein, ist ja auch doof!
Michel: Oder fühl mich dann … Genau. Fühl mich damit ganz wunderbar, aber es ist in der Tat so. Also was wir letzten Endes gehört haben, die Frage, oder die Unterstellung, wir hätten irgendwelche Minderwertigkeitskomplexe, die wir jetzt ausleben würden, unsere Leben hätten vorher keinen Sinn gehabt, und wir benutzen die Flüchtlinge, um jetzt endlich auch mal einen Sinn in unserem Leben zu finden.
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