Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz

Flüchtlinge und Integration - Schaffen wir das?

Arbeitsvermittler Habib Hammo spricht in der Bundesagentur für Arbeit im bundesweit ersten "Integration Point" in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) mit zwei jungen Männern aus Syrien. Ziel des Integration Point soll es sein, Flüchtlinge und Asylbewerber möglichst schnell in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu integrieren
"Integration Point" der Bundesagentur für Arbeit in Düsseldorf © picture alliance / dpa / Roland Weihrauch
Aydan Özoguz im Gespräch mit Peter Lange · 14.05.2016
Hunderttausende Flüchtlinge sind in den vergangenen Monaten in die Europäische Union gekommen, viele von ihnen nach Deutschland. Wie können wir es schaffen, dass sie hier ankommen? Was kann ein Integrationsgesetz leisten?
Deutschlandradio Kultur: Heute sprechen wir mit Aydan Özoguz. Sie ist gebürtige Hamburgerin, SPD-Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Sie ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Sozialdemokraten. Sie ist auch und vor allem Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Regierungsbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration. Guten Tag, Frau Özoguz.
Aydan Özoguz: Guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Eigentlich eine Blitzkarriere, wenn man bedenkt, dass Sie erst 2004 in die SPD eingetreten sind. Wie kommt’s?
Aydan Özoguz: Ja, wobei man sagen muss, ich war vorher schon Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft gewesen. Tatsächlich bin ich wohl das, was man eine klassische Quereinsteigerin nennt. Ich wurde vom damaligen Landesvorsitzenden der SPD, das war damals schon einmal Olaf Scholz gewesen, angesprochen, ob ich nicht für die SPD kandidieren würde. Ich war aber eben noch nicht in der Partei.
Und die SPD in Hamburg hat dieses Experiment mitgemacht, hat mich auch aufgestellt. Und so war ich schon seit 2001 politisch aktiv in einer Fraktion auch und bin dann erst eingetreten. Also, Sie müssen da ein paar Jahre dazu rechnen. Trotzdem ist es aber natürlich schon so: Einwanderungsgeschichten sind immer noch nicht die Mehrzahl. In allen Parteien sucht man dann doch ein bisschen nach den Leuten, die da überhaupt es versuchen, mal irgendwo hinzukommen und man unterstützt dann, glaube ich, doch mal diejenigen, die es machen, besonders natürlich auch Frauen, das ist ja grundsätzlich ein Thema, ganz ohne Einwanderungsbiographien.
Aydan Özoguz, Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration
Aydan Özoguz, Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration© Deutschlandradio Kultur / Peter Lange
Deutschlandradio Kultur: Gebürtige Hamburgerin, wie erwähnt, abgeschlossenes Studium, Kind türkischer Eltern, aber es war wohl nicht das typische Gastarbeiterschema. Ihre Eltern kamen als Geschäftsleute, die hier ein Geschäft machen wollten.
Aydan Özoguz: Ja, das ist richtig. Mein Vater war in den 50er Jahren schon häufiger in Deutschland gewesen. Er suchte eine Hafenstadt, weil er eben ein Schiff hatte und auch Waren transportieren wollte. Und wir haben als Kinder immer gesagt, wäre jetzt Rotterdam irgendwie besser gewesen als Hamburg oder vielleicht ein englischer Hafen? Letztendlich haben sich meine Eltern aber für Hamburg begeistert und sind dann auch dort übergesiedelt 1961. Das war, bevor dieser Vertrag dann auch zur Anwerbung von Gastarbeitern mit der Türkei geschlossen wurde. Und wenn man so frühere Geschichten hört, dann saßen die da zu zehnt beim türkischen Generalkonsul, wenn mal ein Feiertag war. Also, man kannte sich in der Stadt. Das ist heute absolut undenkbar.

"Manchmal ist es schon ein bisschen absurd"

Deutschlandradio Kultur: Jetzt mit Blick auf Ihren eigenen Lebensweg: Ab wann fühlten Sie sich denn integriert? Was macht dieses Gefühl aus? Oder sind Sie schon assimiliert - oder was macht den Unterschied aus?
Aydan Özoguz: Also, ehrlich gesagt, frage ich mich das nicht wirklich. Und ich werde das auch nicht gefragt. Es gibt Leute, die tatsächlich in politischen Veranstaltungen mir schon gesagt haben, ich sei ja nicht integriert, weil ich nicht den Namen meines Mannes angenommen hätte. Nun heißt mein Mann Neumann. Ich frage mich manchmal, was wäre, wenn mein Mann Öztürk heißen würde. Dann würde sich ja wahrscheinlich nicht diese Frage stellen. Also, es ist manchmal schon ein bisschen absurd.
Der Kern oder das Grundproblem des Ganzen ist doch, dass man unter Integration wahrscheinlich eine Million unterschiedliche Meinungen finden wird, was das überhaupt sein soll. Und wenn man es politisch definiert, muss man es eben klarer machen. Da müssen wir dann deutlich sagen: Wir wollen, dass die Menschen hier selbständig sind. Dass sie arbeiten, dass sie verdienen, dass sie gute Nachbarn werden können. Aber auf der anderen Seite heißt das natürlich auch, dass sie angenommen werden, dass sie eine Chance bekommen und auch Angebote haben, hier wirklich auch ihren Kindern eine bessere Zukunft zukommen zu lassen und auch selber eben für sich selbst sorgen zu können.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt waren Sie ja als Studierende noch Mitglied in einer türkischen Studentenvereinigung.
Aydan Özoguz: Stimmt.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, da gab es dann doch noch einen erheblichen Bestand an türkischer Identität?
Aydan Özoguz: Na ja, ich war ja Türkin. Ich bin als Türkin geboren. Also, was heißt ich war Türkin? Also, ich hatte einen türkischen Pass und nichts anderes. So war das in meiner Generation grundsätzlich, es sei denn, man hatte eine deutsche Mutter oder einen deutschen Vater. Aber alle Kinder der zweiten Generation von Einwanderern, die eben keine deutschen Eltern haben, sind ja Ausländer hier immer gewesen von Geburt an. Das hat sich erst mit dem Staatsangehörigkeitsrecht im Jahr 2000 verändert. Das ist schon lange danach gewesen. Das heißt, wir waren eben Türkinnen und Türken. Und es war schlicht normal, dass man hier gar keine deutsche Zukunft hatte. Das hat sich dann eben sehr viel später geändert.

"Integrierte sind Einwanderer, die für sich selber sorgen können"

Deutschlandradio Kultur: Jetzt haben Sie zwei ältere Brüder, promovierte Verfahrenstechniker, erfolgreiche Geschäftsleute, so gesehen integriert, dann aber religiös in eine andere Richtung gegangen, schiitische Islamisten, dann doch wieder nicht integriert – oder?
Aydan Özoguz: Das ist auch wieder eine Definitionsfrage natürlich. Sie sind politisch halt vollkommen anders als ich. Wir haben sehr unterschiedliche Meinungen. Aber sie sprechen perfekt Deutsch. Sie sorgen für sich und ihre Familien. Sie haben ein eigenes Haus, wenn Sie so wollen. Alle Kinder sind hoch gebildet. Aber sie haben eben Positionen, politische Positionen, an denen man sich absolut reiben kann. Also, das tue ich eben auch und die mache ich mir auch nicht zu eigen. Aber ist das eben eine Definition von Integration, wenn man politisch abwegige, also jetzt vielleicht von meiner Sicht, Meinungen hat? Ich glaube, das ist etwas anderes. Da muss man sagen, die Meinung teile ich nicht oder ich finde das vielleicht nicht richtig, diesen Weg. Aber integriert, das ist, glaube ich, dann doch eher, wenn man von Einwanderern spricht, die für sich selber sorgen können, sich selber vollkommen frei bewegen können in unserer Gesellschaft und natürlich auch die Spielregeln kennen.
Deutschlandradio Kultur: Es wird zurzeit über den Islam diskutiert. "Der Islam gehört zu Deutschland" sagt Christian Wulff einmal. "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" sagt die AfD. Wer hat denn Recht? Und welcher Islam gehört denn zu Deutschland?
Aydan Özoguz: Na, ich glaube, ehrlich gesagt, diese Formulierung "Islam gehört nicht zu Deutschland" ist so eine Verschleierung. Denn eigentlich müsste man ja sagen "gehören Muslime zu Deutschland oder nicht?". Was ist denn Islam?
Also, etwas gehört hierher, das sind die Menschen erst einmal, die ja zu dem Glauben gehören oder sich dazu gehörig fühlen. Man gibt ja im Moment jedem das Label, der irgendwo aus einem Land kommt, das islamisch geprägt ist, und fragt ja nicht: Wir religiös bist du eigentlich? Zack, hat man dieses Label: Du bist Muslim. – Aber es ist schon eigenartig, wie die Diskussion geführt wird, weil ich glaube, viele schrecken davor zurück, zumindest habe ich das in der direkten Konfrontation gemerkt, dann zu sagen: Muslime gehören nicht hierher. Das machen dann doch nur die ganz Rechten. Bei den anderen bröckelt es dann plötzlich, so das zu sagen.

"Muslime gehören lange zu Deutschland"

Und Islam und Muslime gehört ja zusammen. Also, man kann sagen, wir finden manche Dinge nicht gut oder wir wollen nicht so einen lauten Muezzin-Ruf. Das stört uns und so. – Das sind Dinge, über die man diskutieren muss logischerweise. Aber so pauschal zu sagen, das gehört nicht hierher, aber es dann so auf einer abstrakten Ebene, als ob ich gar keine Menschen angreife, das finde ich eben eine auch nicht sehr mutige Art des Umgangs miteinander. Deswegen, finde ich, müsste man hier mal ein bisschen Tacheles reden.
Muslime gehören lange zu Deutschland. Sie sind seit Jahrzehnten hier. Sie werden hier geboren. Sie werden übrigens auch als Deutsche hier geboren. Und deswegen kann man das nicht so leicht feststellen, dass der Islam hier nicht hergehören könnte.
Deutschlandradio Kultur: Wenn man sich mit der Geschichte von Migration befasst, dann ist es ja eigentlich sehr typisch, wie das diskutiert wird. Also, wo immer Migranten hinkommen, sind sie entweder unfähig oder arbeitsscheu oder schlecht gebildet und haben dann meistens eine Religion, wo man denkt, na ja, die sind dann auch noch politisch, gesellschaftlich unzuverlässig. Alan Posener, der Kollege, hat das gerade mal durch dekliniert am Beispiel der Iren, die in die USA ausgewandert sind: Katholiken, die vom Papst fremdbestimmt werden usw., was sich sehr lange gehalten hat. Also, eigentlich eine erwartbare und doch auch eine typische Diskussion oder nicht?
Aydan Özoguz: Also, Wanderungen, vor allen Dingen Einwanderungen hat schon immer bei Menschen so etwas hervorgebracht wie Abwehr. Und es spielt erst einmal offenbar gar keine Rolle, wer kommt. Man überlege nochmal die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wo so viele Vertriebene kamen. Es waren ja Deutsche. Deswegen kamen sie ja. Trotzdem wurden sie überhaupt nicht gut behandelt. Wenn man sich mit denen heute unterhält, dann sagen die schon, also Flüchtlinge, sie waren ganz misstrauisch beäugt, durften irgendwo mal in der Scheune schlafen und so. – Aber es ist einfach so. Menschen schrecken erst einmal vor Einwanderern zurück. Aber ich glaube, dass wir in unserem Land mittlerweile viel weiter sind.
Also, direkte Begegnungen haben, wenn sie dann vor Ort sind, dieses Bild doch verändert. Also, es mag auf dem Stammtisch schon mal heiter zugehen und auch mal pauschal was gesagt werden, aber dann heißt es: Na ja, aber der Aziz ist schon mein Freund oder der Sergej oder so, den meine ich jetzt nicht. – Da ist, glaube ich, doch inzwischen etwas anderes auch da, einfach gewachsene Beziehungen und Freundschaften.

"Das ist eben nicht so einfach"

Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir noch einen Moment bei dem Islam. Eine der Thesen, die man immer wieder hört, ist: Wir bräuchten einen reformierten Islam, einen aufgeklärten Islam, der sozusagen kompatibel mit dem Grundgesetz ist. Und dann läuft das schon viel besser. – Ist das so? Oder eigentlich beginnt doch die Religionsfreiheit erst danach.
Aydan Özoguz: Na ja, eine Entwicklung wünscht man sich, also jetzt zum Beispiel als Muslimin, natürlich schon, die ordentliche Auseinandersetzung. Deswegen habe ich lange gestritten, dass wir auch eine Theologie mal in Deutschland bekommen. Die ist ja noch nicht sehr alt. Gerade mal seit ein paar Jahren haben wir nun endlich auch Theologie-Lehrstühle an deutschen Universitäten, die sich ja mit Inhalten des Islam befassen. Also im Gegensatz zu Islamwissenschaften, das sind ja Leute, die sich nicht mit den Inhalten der Religion befassen, sondern von außen drauf blicken. Und das ist schon wichtig und gut.
Aber ich glaube, wir brauchen uns das gar nicht so kompliziert machen. Schauen Sie sich an, wie es bei den Katholiken ist. Der Papst versucht jetzt zum Beispiel, diese Geschichte mit den Frauen, dass sie dann auch mal bestimmte Positionen haben dürfen. Das ist eben nicht so einfach. So etwas muss immer innerhalb einer Religion sich auch entwickeln. Man braucht dafür kluge Köpfe. Man braucht natürlich diejenigen, die auch das dürfen sozusagen, die sich eine bestimmte Position erarbeitet haben. Und alle anderen reden wie gewohnt mit.
Aber es wird nie funktionieren, dass von außen von Leuten gesagt wird: Ihr müsst das jetzt mal so und so machen. Oder wir stellen uns vor, dass ihr da im Koran das mal umschreibt. – Das ist wirklich naiv. Das wird nie funktionieren, dass eine Religion so reformiert wird.
Deutschlandradio Kultur: Religionsfreiheit beginnt ja eigentlich da, wo es in den privaten Bereich reingeht, wo jeder sein privates Verhältnis zu seinem Gott hat. Und das ist ja eigentlich etwas, was doch oberhalb irgendwelcher staatsrechtlichen Normen liegt. – Also, wir wissen, dass die Zeugen Jehovas grundsätzlich den Wehrdienst verweigern. Wir kennen christliche Pazifisten, die sich in Mutlangen an Blockaden beteiligt haben, die das mit ihrem Gewissen ausmachen. Mutet man jetzt in dieser Diskussion über den Islam dieser Religion nicht Dinge zu, die man anderen Glaubensrichtungen niemals zumuten würde?
Aydan Özoguz: Muslime stehen im Moment besonders im Fokus. Das ist ohne Zweifel so, weil ja auch die Flüchtlinge aus muslimischen Ländern kommen und viele muslimische Länder auch Kriege führen etc.

"Jeder muss selber wissen, wie religiös er eigentlich ist"

Das jetzt allein eben darauf zu münzen, hat vielleicht ein bisschen damit zu tun, dass man sich gern so einen leichten Schuh machen möchte, als hätten wir mit Weltpolitik gar nichts zu tun und andere gar nichts, die nicht muslimisch sind. Die hätten gar keine Interessen da im Nahen Osten. – Das erscheint mir manchmal so, als wolle man es deswegen so überhöhen und das auch immer wieder so zum Thema machen.
Tatsächlich gibt es ja den größten Anteil einer Religion, der ist privat. Jeder muss mit sich selber wissen, wie religiös er eigentlich ist, wie fromm er leben will, wie viel Gutes er im Leben tun möchte und wie viel er damit auch mit der Religion verknüpft. Aber es gibt schon auch öffentliche Dinge, das ist ja klar. Also, lassen wir Moscheen bauen? Das ist ja mittlerweile nun Gott sei Dank oft sehr gut gelungen. Aber wie ist es dann eben? Wie groß darf das sein? Wie viele Menschen bekommen dann die Rechte, vielleicht mal eine Körperschaft zu sein oder Verträge mit eben den Städten zu haben. Das haben wir ja jetzt zum Beispiel in Hamburg. Und das ist sehr, sehr gut, weil sie dann Ansprechpartner haben, weil sie wirklich diskutieren können, wenn es auch mal Missstimmungen gibt.
Deutschlandradio Kultur: Eigentlich kann man doch auch integriert sein und trotzdem seltsame religiöse Überzeugungen haben.
Aydan Özoguz: Das kommt jetzt drauf an, was Sie unter "seltsamen religiösen Überzeugungen" verstehen. Ich sage ja oft, wenn wir manchmal bei Einwanderern so kritisch sind: ist der jetzt eigentlich integriert, weil er ja das und das denkt oder weil er das und das macht – ddas Merkwürdige ist ja, wenn jemand – ich sage jetzt mal – wirklich Nazi ist, die gibt’s ja nun auch in unserem Land, das ist sicher keine Mehrheit Gott sei Dank, aber da kommt selten jemand um die Ecke und sagt: Die sind nicht integriert, was sie ja aber offenbar nicht sind, weil sie dieses System nicht verstehen. Und vielleicht vom Extrem ein bisschen in die Mitte laufend, es gibt schon viele Menschen, die nicht mitkommen im System, die überfordert sind oder die völlig abwegige – also jeweils vom Standpunkt aus natürlich – Meinungen haben.
Man kann das nicht immer alles mit Integration erklären, sondern das hat gesamtgesellschaftliche Bezüge. Also, wirklich mal zu sagen: Wo ist denn jemand aus welchen Gründen auf der Strecke geblieben? Und was können wir alle gemeinsam dafür tun, dass diese Person weiterkommt?

"Mensch, die sind ja eigentlich wie wir"

Sobald das Wort Integration auftaucht, hat man so ein Gefühl, das muss der schon irgendwie selber regeln. Und der Rest dieser Gesamtgesellschaft bleibt da für mich ein Stück weit auf der Strecke. Das ist eben falsch.
Deutschlandradio Kultur: Die Integration hat ja verschiedene Dimensionen, politische, soziale, kulturelle, religiöse dann auch. – Folgendes Szenario ist mir neulich erzählt worden: Ein anerkannter, gut verdienender Rechtsanwalt, die Frau ist Ärztin, nehmen einen jungen Syrer bei sich auf. Die Frau sagt: Mich nimmt der überhaupt nicht für voll. Und seit der beobachtet hat, dass der Rechtsanwalt in der Küche hilft und die Spülmaschine mit ausräumt, ist er eigentlich auch unten durch, ist ein Weichei, verachtenswert. Was nun?
Aydan Özoguz: Das habe ich noch nie gehört, also, eine solche Geschichte. Und ich kenne viele, die zu Hause bei sich Syrer aufgenommen haben, eine solche Geschichte habe ich noch kein einziges Mal gehört – ganz im Gegenteil. Ich merke bei uns, dass viele Menschen diese Bilder, die Sie jetzt schildern, also, es mag ja diesen Fall geben, aber ich kenne ihn eben überhaupt nicht, sondern es gibt dieses Bild vorherrschend bei uns. Und die Leute sind immer wahnsinnig erstaunt, was die Leute, die sie aufnehmen, auch aus Dankbarkeit natürlich teilweise, alles tun und was sie alles so zeigen und rüberbringen und dann auch teilweise wirklich Vertrauen knüpfen und ihre Geschichten erzählen.
Also, mag sein, dass mich die Familien vielleicht nicht einladen, aber ich habe jetzt schon so viele Konstellationen mitbekommen, wo dann eben gesagt wurde: Mensch, die sind ja eigentlich wie wir. Die haben ihr Haus und Hof und alles verlassen und stehen jetzt da. Und wir gucken auf sie, als wären sie eigentlich völlig ungebildete, irgendwie Menschen von einem anderen Stern. Warum tun wir das überhaupt? – Das habe ich von ganz vielen Menschen schon gehört.
Deutschlandradio Kultur: Also keine typische Geschichte?
Aydan Özoguz: Nein, also, ich will aber gar nicht weg reden, dass es beispielsweise in unseren Unterkünften Probleme gibt. Also, davon bin ich überzeugt. Das ist immer ganz schwer, wie auch sonst in unserer Gesellschaft, wenn jetzt Frauen etwas Schlimmes erleben, vergewaltigt werden oder was auch immer. Das können Sie ja nicht mal eben statistisch erfassen. Solche Dinge gibt es ganz sicher. Da müssen wir viel sensibler werden. Da müssen wir auch eben in den Unterkünften stärker hingucken. Das scheint mir durchaus der Fall. Es gibt natürlich auch Familien, die nicht funktionieren, klar. Da haben wir ja schon Gesetze. Aber auch da ist es wiederum gar nicht so einfach.

"Man kann ja nicht am nächsten Tag unser System komplett kennen"

Das heißt, wir müssen unser riesiges Beratungssystem, was wir ja in den letzten Jahrzehnten aufgebaut und immer auch weiter verbessert haben, das müssen wir überhaupt erstmal auch vielen Frauen beispielsweise näher bringen.
Ich hatte neulich ein Gespräch mit einer Afghanin, die jetzt bei einer Zeitung arbeitet oder ein Volontariat macht, die auch sagte: Wir Afghaninnen, wir wissen das eigentlich gar nicht, welche Möglichkeiten wir in diesem Land haben, was wir alles machen können. – Und das kann man eben nicht erwarten, wenn jemand gerade aus seinem Land geflohen ist, Gott sei Dank hier irgendwie heil angekommen ist. Der kann ja nicht am nächsten Tag unser System komplett kennen. Also, da müssen wir natürlich auch ein bisschen was dafür tun, dass das dann schnell gehen kann.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt sind im vergangenen Jahr innerhalb weniger Monate mehr als eine Million Menschen nach Deutschland gekommen. Frau Özogus, was ist denn aus Ihrer Sicht die realistischste Annahme? Wie viele werden auf Dauer bleiben? Wie viele werden auf Dauer staatliche Unterstützung brauchen? Und wie viele werden vielleicht binnen drei Jahren ihren Lebensunterhalt selber bestreiten können?
Aydan Özoguz: Ja, das sind natürlich schwierige Berechnungen, ohne Zweifel. Wir haben jetzt festgestellt dadurch, dass wir politisch sehr klare Signale gesendet haben beispielsweise in die Balkanstaaten, dass es einfach keinen Sinn macht, hierher zu kommen, wenn man keinen wirklichen Asylgrund hat, dass die Zahlen derjenigen auch zurückgegangen sind. Wir haben mittlerweile ja sehr hohe Zahlen wirklich von Menschen aus Syrien. Und wenn man sich das eben jetzt einzeln anguckt, dann muss man schon sagen, eine halbe Million Asylanträge. Es ist nicht wie in der Vergangenheit, sage ich mal, früher konnte man sagen, ein Drittel bekommt vielleicht Asyl und wird bleiben. Diese Zahl dürfte deutlich höher sein. Also, ich gehe von mindestens zwei Dritteln aus, auf die wir uns da einstellen sollten.

"Sollten Flüchtlinge genauso behandelt werden wie andere Einwanderer?"

Im Moment kommen wenig Flüchtlinge. Das hat natürlich verschiedene Gründe. Aber das gibt uns ja die Möglichkeit, uns ganz stark jetzt schon darauf zu konzentrieren, sie schneller in das System hineinzubringen, vor allen Dingen ganz schnelle Entscheidungen zu treffen, ob sie eben bleiben können oder nicht, und ihnen dann auch eine Perspektive zu geben. – Wo ziehen sie hin? Wo können sie eine Arbeit möglicherweise finden? In welche Kitas gehen die Kinder? Wo gibt’s schnell Sprachkurse? Das sind ja Dinge, die möglichst schnell laufen sollen. Das wollen wir besser machen als damals während des Jugoslawienkrieges.
Deutschlandradio Kultur: Die Kommunikation aus den Regierungsparteien und auch unter den Experten diverser Couleur scheint ja manchmal ein Teil des Problems zu sein, weil sie so widersprüchlich ist. Einerseits wird argumentiert, das ist jetzt die langfristige Hilfe für die Stabilisierung der Demographie. Andererseits sind das ja Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Das heißt, wenn der Fluchtgrund entfallen ist, wird doch eigentlich erwartet, dass die auch mal wieder zurückgehen.
Aydan Özoguz: Na, wenn sie anerkannte Flüchtlinge sind, ja nicht mehr. Es gibt jetzt diesen Streit, das ist noch im Fluss, jetzt beim Integrationsgesetz. Werden Flüchtlinge eigentlich oder sollten Flüchtlinge genauso behandelt werden wie andere Einwanderer? Das halte ich persönlich für falsch und auch ein Stück unfair. Jemand, der sich überlegt, er kommt nach Deutschland, weil er hier eine Chance hat, einen guten Arbeitsplatz zu bekommen, und sich vorher schon überlegt, was können so meine Kinder machen, hat hier eine andere Position als jemand, der alles zurückgelassen hat, übers Mittelmeer hier irgendwie angekommen ist und von Null anfängt.
Das ist so ein bisschen, sind so politische Stimmen, die Sie durchaus im Moment ja sehr laut hören können. Aber über den längeren Zeitraum jetzt gedacht, glaube ich, muss es uns darum gehen, dass die Menschen, von denen wir wissen, dass sie bleiben, und das sind eben die, bei denen die Asylverfahren ja jetzt schnell abgeschlossen werden, zum Beispiel viele Menschen aus Syrien, wenn sie Asyl bekommen, bleiben sie auch, dass wir denen auch sehr schnell diese Perspektiven geben. Dass wir sehr schnell sagen: Wo kannst du hier wohnen? Wo kannst du hier eine Ausbildung möglicherweise machen? Und auch mal fragen: Was bringst du mit? Also, welche Kompetenzen hattest du denn in deiner Heimat? Es sind nicht alles Ärzte und Mediziner, aber es sind natürlich auch nicht alles Analphabeten. Also, da ist schon noch eine große Mitte mit ganz unterschiedlichen Berufen da. Und diese Mühe sollten wir uns machen. Die Gesetze haben wir ja mittlerweile, Gott sei Dank, dass es eine Berufsanerkennung auch geben kann.
Deutschlandradio Kultur: Ein Gesetz, was kommen wird, ist das Integrationsgesetz – soll diesen Monat noch durchs Kabinett, wenn ich es richtig weiß. Ich sage mal meinen generellen Eindruck: Es atmet so ein bisschen, der Entwurf, den ich gelesen habe, so einen patriarchalischen Geist, so was von autoritärem Wohlfahrtsstaat, der die Leute hauptsächlich versorgt. Und irgendwo habe ich vermisst den Spirit Richtung Selbständigkeit.
Aydan Özoguz: Das liegt vielleicht daran, dass es noch nicht fertig ist.
Deutschlandradio Kultur: Besteht ja Hoffnung.
Aydan Özoguz: Na, es ist schon richtig, dass man immer wieder Ziele setzen muss, also nicht immer nur sagt, das würde ich auch falsch finden, wenn man sagt, wir kümmern uns schon irgendwie um dich, so, lehn dich mal zurück oder mach dir keine Sorgen. Das finden übrigens die Menschen auch nicht angenehm, wenn man sagt, wir machen schon irgendwie alles. Sondern natürlich muss man Ziele haben. Man muss wissen, wenn ich das und das erreicht habe. Also, erstmal muss man natürlich wissen, darf ich bleiben oder nicht. Da kann ich noch nicht so viel für tun. Aber dann muss ich eben wissen: Wo kann ich jetzt hinziehen? Wo kann ich eventuell mit meiner Familie sein? Was sind die Perspektiven für meine Kinder?

Mit dem Integrationsgesetz die Widersprüchlichkeiten ausräumen

Und das, glaube ich, muss eben auch deutlicher werden in diesem Integrationsgesetz. Ich habe die große Hoffnung, dass es uns damit aber gelingt, viele Widersprüchlichkeiten, die wir in der Vergangenheit hatten, auszuräumen, das Ganze auch mal transparenter zu machen, also deutlich zu sagen: Soundso geht es eben, wenn jemand kommt. Denn das lief ja im Moment immer hin und her zwischen dem einen Ministerium, dem anderen Ministerium und dem dritten und vierten. Das muss endlich ausgeräumt werden, weil, die Leute wissen teilweise überhaupt nicht, was sind denn nun hier eigentlich meine Chancen.
Das ist deprimierend und es macht auch ein Stück weit, ja, so tatenlos. Also, die Leute sitzen dann da in ihrer Unterkunft. Und wenn sie frustriert sind, machen sie auch weniger. Wir sollten eben eher Ziele setzen. Wir sollten sie wirklich animieren. Und das erlebt man ja häufig bei den Unterkünften für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge zurzeit. Da sind Sozialarbeiter, die ja doch ganz deutlich machen, pass auf, das und das erwarten wir. Wenn ihr hier Schlägereien habt, ist eure Zukunft hier eigentlich gegessen. Aber wenn ihr das und das macht oder eben diese Schule noch fertig kriegt oder Folgendes, dann habt ihr hier eine echte Chance. – Und das wirkt. Das merken wir wirklich bei der übergroßen Mehrheit.
Deutschlandradio Kultur: Einer der großen Streitpunkte ist ja die Frage: Soll man Wohnsitze zuweisen oder nicht zuweisen? Es gibt die immer wieder geäußerte Angst vor der Ghettobildung. Mein Eindruck ist, dass man damit aber auch übersieht, wie Integration in der Vergangenheit funktioniert hat, dass Leute tatsächlich erstmal zu ihresgleichen gegangen sind, dass ihnen das geholfen hat und dass es doch eigentlich drauf ankommt, dass dann die zweite Generation aus diesen – in Anführungszeichen – Ghettos rauskommt.
Aydan Özoguz: Ja, es geht hier auch gar nicht grundsätzlich darum, über zweite Generation zu sprechen. Also, echte Ghettos haben wir in Deutschland nicht, wenn ich das mal sagen darf. Aber es geht hier eigentlich vielmehr darum: Die meisten Flüchtlinge haben den Gedanken, nur in der Großstadt bekomme ich eine Arbeit, was aber nicht stimmt in Deutschland. Ich habe schon Flüchtlinge erlebt, die sind aus einem Dorf nach Berlin gezogen, haben dort innerhalb kürzester Zeit offenbar erlebt, hier kümmert sich gar keiner mehr um mich, hier gibt’s nicht all die Ehrenamtlichen, die ich da hatte und eigentlich auch nicht die Jobs, die ich mir erwartet habe, und ziehen dann sogar wieder zurück.

"Nicht so eine starke Konzentration in den Großstädten"

Wir wollen bewirken, dass die Menschen verteilt bleiben und dass all die vielen Arbeitsmöglichkeiten auch auf dem Land, die es ja gibt, erstmal wahrgenommen werden, also, dass nicht so eine starke Konzentration in die Großstädte stattfindet. Das ist der Punkt, der dahinter steht.
Wir sind hier noch am Ringen nach verschiedenen Instrumenten. Die Wohnsitzauflage, die kann nur in meinen Augen befristet erfolgen. Das ist klar. Man kann nicht auf Dauer den Leuten sagen, wo sie zu wohnen haben. Aber sie könnte eben befristet erfolgen. Und in dem Moment, wo jemand sagt, ich habe jetzt aber da und da eine Arbeit gefunden, muss sie natürlich auch Ausnahmen haben. Die Familien müssen natürlich zusammenkommen können, also die Kernfamilie muss zusammenleben können. Und wir können jetzt in diesen Zeiten, wo gerade auch wenig Menschen ja zu uns kommen, wenig neue Flüchtlinge kommen, die Familienzusammenführung eigentlich noch viel stärker betonen und uns auch stärker darauf konzentrieren.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt reden wir von einem europäischen Problem. Die Bemühungen können wir jeden Tag verfolgen, da irgendetwas gemeinsam zustande zu bekommen. Sie selbst haben vor kurzem Tschechien besucht, eine Reise nach Prag. Wie haben sich da Ihre Gesprächspartner, wenn man das so zusammenfassen kann, verhalten? Also: Wir würden ja gerne, aber unsere Bevölkerung will nicht. Oder: Wir wollen das selber bestimmen.
Aydan Özoguz: Ja, also, ich habe so festgestellt, ich war ja auch in Polen, was sich viele so zurechtgelegt haben, ist: Die wollen ja eigentlich alle gar nicht zu uns. Die wollen ja nur zu euch nach Deutschland. Und wir sind ja nur so ein Transitland.
Was dabei aber überdeckt wird, und das wissen natürlich politisch Verantwortliche, ist, dass man teilweise sehr schlecht mit Flüchtlingen umgegangen ist, in wirklich unmenschlichen Lagerbedingungen sie gehalten hat, und dann hinterher so tut, als ob sie wirklich nur nach Deutschland wollten. Das ist unfair.
Und ich finde auch, dass Europa hier durchaus eine Erschütterung erlebt, also mindestens die Europäische Union tut das, und steht auch ein bisschen an einem Scheideweg. Kommen wir eigentlich nur zusammen, wenn es was zu verteilen gibt, wenn Polen seine Agrarmittel braucht oder Tschechien etwas anderes? Und ansonsten wollen wir nicht mehr so viel über Menschenwürde und Menschenrechte und humanitäre Politik reden? Oder schaffen wir es jetzt, jedem Land gerecht werdend, das ist mir wichtig. Also, Deutschland ist hier nicht das Land, was sich hinstellen kann und sagen kann, wir stellen uns das mal eben so und so vor. Die Rolle haben wir nicht. Aber schaffen wir es, eben gemeinsam an einem Tisch zu sagen, was kann sich denn jeder wirklich vorstellen beim Thema Flüchtlingspolitik? Und dann muss was Konkretes kommen. Dann kann das nicht heißen, wir nehmen 700 Flüchtlinge oder so. Sondern es müssen natürlich reelle Zahlen sein. Es muss ein gutes Modell sein, wie Kontingente zum Beispiel aussehen können. Und wir müssen dann, wenn das denn funktionieren würde, natürlich auch klarmachen, dass Flüchtlinge sich nicht das Land selbst aussuchen können. Das muss dann zur Selbstverständlichkeit werden. Also, Flucht heißt, ich muss in Sicherheit leben können. Aber dann muss ich in der Europäischen Union mich natürlich auch mal zuweisen lassen und zunächst einmal dort meinen Asylantrag stellen und das Ganze dann auch erstmal durchexerzieren.
Deutschlandradio Kultur: Nochmal zurück zu den Tschechen. Was an deren Vorbehalten verstehen Sie oder finden Sie verständlich? Oder haben Sie sogar Verständnis dafür?
Aydan Özoguz: Was eben gar nicht ging, sind diese Dinge, wie ich sie gerade gesagt habe, so dieses: Die wollen eigentlich gar nicht zu uns, und gleichzeitig aber nichts für zu tun so recht, dass die Menschen dort auch fair behandelt werden und wirklich da bleiben können. Es gibt dann immer wieder auch diese Vorbehalte gegenüber Muslimen, wo ich dann auch mal sagen, na ja, ich sitze ja auch hier als Muslimin. Haben Sie jetzt alle Angst vor mir? – Nee, natürlich nicht. Dann lachen alle und so. Also, das ist schon ein bisschen merkwürdig, was da aufgebaut wird.
Man muss sich ja vorstellen, dort gibt es fast keine Flüchtlinge. Aber die Debatte tobt, als wären da mindestens zwei Millionen. Das ist so ein ganz eigenartiger Bruch im Land, den man tatsächlich erlebt. Deswegen muss es irgendwann ja auch gelingen, wieder reeller zu werden, also zu schauen, was geht besser.

"So bauen wir uns in ganz Europa die Armenviertel eben auch auf"

Ja, wo ich glaube, dass wir als Europa auch daran arbeiten müssen, sind diese unterschiedlichen Sozialsysteme. Es ist klar, dass auch ein Flüchtling erst einmal schaut: Okay, was passiert dann irgendwann, also nach einer gewissen Weile zumindest, was passiert, wenn ich arbeitslos bin? Bekomme ich überhaupt was angeboten, um mich weiter zu qualifizieren? Bekommen ich etwas, um überhaupt in einen Job hineinkommen zu können? Es gibt viele Länder in Europa, die erwarten einfach, da kommt jetzt jemand. Der ist dann halt qualifiziert, dann kann er arbeiten. Oder er ist es nicht, dann tut er es nicht. Aber so bauen wir uns in ganz Europa die Armenviertel eben auch auf. Und das wollen wir ja nicht. Das heißt, da müssen wir schon am gleichen Strang ziehen. Wenn aber die einen eben mehr Sozialmittel haben, die anderen weniger, dann spielt das eine Rolle – auch für Flüchtlinge. Deswegen brauchen wir hier ein klareres Konzept.
Deutschlandradio Kultur: Wenn wir uns in einem Jahr wieder sprechen würden, Frau Özoguz, wo würden wir dann stehen im günstigsten oder im weniger günstigen Fall?
Aydan Özoguz: Also, meine Hoffnung ist, wobei, ein Jahr ist jetzt kurz, man darf es nicht überfrachten. Meine Hoffnung wäre aber, dass die Länder in der Europäischen Union, eine halbe Milliarde Menschen, 28 Mitgliedsstaaten, sagen: Wir haben jetzt den Anfang gefunden für eine Flüchtlingspolitik, für eine gemeinsame Flüchtlingspolitik. Einwanderungspolitik bleibt jedem weiter selbst vorbehalten, aber eine gemeinsame Flüchtlingspolitik, da halten wir jetzt zusammen. Wenn dieser Anfang gemacht wäre, wären wir ein ganzes Stück gerüstet. Dafür könnte man auch stärker in den Landesregierungen vielleicht dieses Thema Flucht und Einwanderung hier und da stärken.
Der schlechteste Fall wäre, wir können uns überhaupt nicht einigen. Wir gehen in Nationalismen auf, in Egoismen auf, weil ich glaube, dass dann die nachfolgenden Generationen an diese Europäische Union, die ein wichtiges Projekt ist, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, wir leben in einer selbstverständlichen friedlichen Welt, dass wir die ernsthaft gefährden würden. Das wäre für mich das schlimmste Szenario.
Deutschlandradio Kultur: Frau Özoguz, vielen Dank für das Gespräch.
Aydan Özoguz: Ich danke Ihnen auch.