Mit Heinz Strunk am Strand von Niendorf - Tobias Wenzel war dabei. Seine Reportage können Sie hier hören.
Heinz Strunk: „Sommer in Niendorf“
© Rowohlt
Mann in der Krise
06:11 Minuten
Heinz Strunk
Sommer in NiendorfRowohlt, Hamburg 2022240 Seiten
22,00 Euro
Im Urlaub an der Ostsee wird ein distinguierter Jurist zum Widerling. Verächtlich blickt er auf die Welt, besonders verächtlich auf Frauen. Dass Strunks Männer in der Krise als preiswürdige Literatur gelten, entlarvt den patriarchalen Blick.
Alle paar Jahre veröffentlicht Heinz Strunk sehr erfolgreich Variationen derselben Erzählung: Ein weißer Mann ist in der Krise. Er findet sich in der Gesellschaft nicht mehr zurecht, sein Körper verfällt, mit den Frauen ist es auch schwierig.
Besonders derb wird es in seinem neuen Roman „Ein Sommer in Niendorf“. Der wohlsituierte Jurist Dr. Georg Roth will die drei Monate Urlaub, die sich aufgrund eines Jobwechsels ergeben haben, nutzen, um seine Familiengeschichte zu einem erzählenden Sachbuch zu verarbeiten. Dazu mietet er sich in einem Apartment an der Ostsee ein. Hier, so hofft er, wird er konzentriert arbeiten können, schließlich hat er seine Ruhe. Doch genau diese Ruhe wird zum Problem: Konfrontiert mit der eigenen Geschichte und Einsamkeit, kommt Georg Roth zunehmend zu sich selbst.
Von der Spaßbremse zum Ekel
Vom Romananfang an ist Roth ein Misanthrop, eine „Spaßbremse im noblen Zwirn“ mit einem Hang zu Maßlosigkeit und Alkoholismus. Nun lässt er im Verlauf seines Urlaubs eine bürgerliche Verhaltensweise nach der anderen fallen und wird zu dem Widerling, der er immer schon war. Beschleunigt wird dieser Prozess durch die Gesellschaft von Markus Breda, seinem alkoholkranken Vermieter, der in fataler Weise als Roths enthemmter Doppelgänger auftritt.
Heinz Strunk hat „Ein Sommer in Niendorf“ damit deutlich an Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ angelehnt und gibt seiner stereotypen Männlichkeitsgeschichte einen künstlerischen Anstrich: Genauso wie Gustav Aschenbach in Venedig zu dem sich jugendlich gebenden Greis wird, den er am Anfang seiner Reise noch verachtet, obwohl er ihn bereits in sich getragen hat, wird der bürgerliche Dr. Roth zum infantilen Ekel.
Verachtung für Frauenkörper
Dabei fehlt es dem Roman von Strunk aber an der gedanklichen Tiefe und ironischen Doppelbödigkeit, die Thomas Manns Novelle auszeichnet. Alles in „Ein Sommer in Niendorf“ ist von einer Deutlichkeit, die nicht mehr ironisch unterlaufen werden kann, bis hin zur Sprache, die sich häufig auf die Aufzählung von Unästhetischem beschränkt.
Breda etwa wird beschrieben als „Typ krummer, langer Lulatsch mit Plauze, strohiges Haar, pergamenthäutig, dünne Ärmchen und Beinchen, hat das Äußere eines chronischen Alkoholikers.“
Humor entsteht in diesem Roman vorwiegend durch den verächtlichen Blick auf die Körperlichkeit der Figuren. Dieser Blick auf den verfallenden männlichen Körper ist hier für eine solche Erzählung von Männern in der Krise genauso stereotyp wie die Frauenfiguren im Roman.
Da gibt es die Ex-Frau, die zum Feindbild geworden ist und schließlich geschlagen wird, weil sie sich gefühlskalt um ihre eigenen Bedürfnisse kümmert. Es gibt die unerreichbare Geliebte, die dem Mann genauso zur Demütigung wird wie die Gesellschaft. Und dann gibt es noch viele von Roth als hässlich wahrgenommenen Frauen, die aufgrund ihrer fehlenden Attraktivität selbst ihm als Krisenmann noch unterlegen sind.
Verständnis für Männer in der Krise
Eine dieser körperlich abstoßenden Frauen ist dann trotzdem der Hafen, in den Roth in seiner verunsicherten Männlichkeit einlaufen kann, denn sie ist in der Lage, ihn sexuell zu befriedigen und ihm mütterliche Fürsorge entgegenzubringen. Die Krise des Mannes wird also gelindert, indem tradierte Geschlechterrollen wieder aufgerichtet werden.
Dass solche literarische Konfektionsware als Kunst und Gesellschaftskritik ernstgenommen wird, sagt vor allem etwas über deren Rezeption aus: Es ist die Figur des in die Krise geratenen weißen Mannes, die als Seismograf für gesellschaftliche Probleme wahr- und ernstgenommen wird. Ihm wird Empathie entgegengebracht – seine Opfer dagegen werden als Staffage, als Nischenthemen wahrgenommen.