Harald Hauswald: "Voll das Leben"

Chronist des Lebens in der DDR

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Das Bild zeigt eine verschwommene Schwarzweißaufnahme von jungen, Fahnen schwenkenden Menschen in einer dynamischen Straßensituation.
Harald Hauswalds Fotografien rücken Leben und Alltag der DDR liebevoll ins Bild, ohne die Tristesse zu kaschieren. © Cover: Steidl, Collage: Deutschlandradio
Von Eva Hepper · 22.09.2020
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Ein prächtiger Bildband feiert den großen ostdeutschen Fotografen Harald Hauswald. Seine Bilder erzählen Geschichten aus dem Alltag eines untergegangenen Landes.
Auf dieser Schwarz-Weiß-Fotografie einer Dresdner Straßenecke findet das Auge kaum Halt. Es wandert die grauen Fassaden mit ihren unzähligen Putzflecken entlang, passiert verwegene Regenrinnenkonstruktionen, streift über das abgetretene Bordsteinpflaster, gleitet dann nach oben zu einem blinden Straßenschild bis es schließlich bei einem wackelig auf die Hauswand gepinselten Wort landet: WUT.
Aber das Bild zeigt noch mehr. Ganz rechts am Rand ist ein kleines Kind zu sehen, das mit ausgebreiteten Armen den Bürgersteig entlang läuft. Es trägt ein helles Oberteil und einen dunklen Rock, dessen Träger sich über dem Rücken kreuzen. Die Kleine ist in voller Bewegung, fast scheint sie zu schweben. Was für ein Kontrast zu dem WUT-Schriftzug!

Wahre Könnerschaft

Es ist große Kunst, so einen Moment einzufangen. Harald Hauswald hat die Fotografie 1984 aufgenommen, und dass sie sich tatsächlich nicht einem Zufall verdankt, sondern wahrer Könnerschaft, zeigt der überwältigende Bildband "Voll das Leben". Das Buch begleitet die erste Retrospektive (im C/O Berlin) des 1954 in Radebeul geborenen Fotografen, der als Chronist des Lebens in der DDR ein einmaliges Werk geschaffen hat.
Ausgewählt wurden daraus circa 250 Aufnahmen, die Ende der 1970er bis Mitte der 1990er Jahre entstanden sind, darunter auch eine Vielzahl bislang noch unveröffentlichter Motive. In chronologischer, bisweilen auch thematischer Reihenfolge bieten sie faszinierende Einblicke in eine untergegangene Welt.

Er ging nie ohne Kamera aus dem Haus

Hauswald, der 1978 nach Ostberlin zog und nie ohne Kamera aus dem Haus ging, hielt fest, was ihm vor die Linse kam. Er fotografierte Menschen auf der Straße, im Park und in der Kneipe, spielende Kinder, Hausfassaden und Hinterhöfe, auf Volksfesten, Tanzveranstaltungen, offiziellen Kundgebungen wie den 1.Mai-Demonstrationen oder Pfingsttreffen der FDJ, aber auch Menschen am Rand der Gesellschaft wie Punks, Hooligans, Arme oder Behinderte.
Seine Fotografien sind schlichtweg hinreißend! Ob sich ein Regierungskonvoi an den obligatorischen Sozialismusparolen entlangschiebt, ein Werbeschild "Reparaturen sämtlicher Systeme" verspricht, ein korpulentes, älteres Pärchen sich gemeinsam auf den Sitz eines Mopeds quetscht oder Jugendliche an der Panke feiern: Harald Hauswald wusste all das liebevoll zu proträtieren, allerdings ohne das graue und marode Umfeld zu kaschieren.

Der "beobachtete Beobachter"

Das brachte den Fotografen in Kollision mit der Obrigkeit, wie die dem Buch beigefügten Stasi-Dokumente belegen. Tatsächlich war Harald Hauswald von 1977 bis 1989 der am intensivsten "beobachtete Beobachter", wie Kurator Felix Hoffmann in seinem ausführlichen Begleittext schreibt. Zwischenzeitlich waren über 40 inoffizielle Mitarbeiter*innen involviert.
Wie und dass Hauswald trotz Repressionen weiterarbeiten konnte, erläutert Laura Benz in ihrer ausführlichen Biografie, die das Buch abschließt. Sie zeigt, wie der Fotograf Teil der Szenen wurde, die er so großartig porträtierte, und wie nah er den Menschen kam und heute noch kommt.
Ein prächtiger Bildband!

Harald Hauswald: "Voll das Leben"
Herausgegeben von Felix Hoffmann
Steidl, Göttingen 2020
408 Seiten, 45 Euro

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