Hao Jingfang: "Peking falten"

Origami-Wolkenkratzer

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Die Skyline von Peking - horizontal, wie man sie kennt. In Hao Jingfangs "Peking falten" wird die Stadt hingegen geknickt und eingetütet. © Hintergrund: dpa/Zhang Weiyi, Cover: Elsinor Verlag
Von Marten Hahn · 09.08.2017
Peking liegt nicht in Trümmern, sondern in Falten - Luft und Sonnenlicht sind kostbar. So lautet die Prämisse von Hao Jingfangs umwerfender Science-Fiction-Erzählung "Peking falten". Einziges Manko: Das Buch ist viel zu kurz. Die Idee biete genug Stoff für einen großen Roman.
Luft und Sonnenlicht sind kostbar. Also wird in Peking im Schichtsystem gelebt. Die 80-Millionen-Metropole wird nach einem festgelegten Zeitplan wie ein Origami-Kunstwerk gefaltet, um einem anderen Teil der Bevölkerung ein wenig Leben an der Oberfläche zu ermöglichen. Wer weggefaltet wird, verfällt in einen tiefen Schlaf.
Nur die Elite in Hao Jingfangs umwerfender Erzählung "Peking falten" erhält 24 Stunden Oberfläche. Es folgt die Mittelschicht im zweiten Sektor mit immerhin noch 16 Stunden. Den 50 Millionen Menschen im Dritten Sektor bleiben die Nachtstunden zwischen 22 Uhr und sechs Uhr morgens. Hier arbeitet Lao Dao in der Mülltrennung - bis er eines Tags ein lukratives Angebot erhält: Als eine Art Liebesbote soll er einer Frau im ersten Sektor eine Nachricht überbringen.

Science Fiction made in China ist im Kommen

Hao Jingfang ist die zweite chinesische Science-Fiction-Autorin, die im Westen für Aufsehen sorgt. 2016 erhielt sie für "Peking falten" den Hugo Award für die beste Erzählung. Im Jahr zuvor räumte ihr Landsmann Liu Cixin mit seinem atemberaubenden Hard-SF-Epos "Die Drei Sonnen" in der Kategorie bester Roman ab.

Hao Jingfangs Dankesrede bei den Hugo Awards:

Die deutsche Ausgabe von "Peking falten" schmückt ein Vorwort des großen China-Erklärers Kai Strittmatter, ein Porträt Jingfangs das so ähnlich 2016 bereits in der Süddeutschen Zeitung erschien. Es ist nicht der raffinierteste Text des China-Korrespondenten. Aber er wirft einen erhellenden Blick auf die Autorin: Abschluss in Physik, Doktor in Wirtschaftswissenschaften, Mitglied einer Denkfabrik, die sich mit der neuen Supermetropole Jing-Jin-Jin beschäftigt, die rings um Peking entstehen soll.

Science Fiction als politischer Kommentar?

Nutzt Chinas intellektuelle Elite also SF-Parabeln, um das Regime der Partei zu kritisieren? Liu Cixin lässt - zumindest öffentlich - politische Interpretationen seines Werks ins Leere laufen. Jingfang lässt Strittmatter immerhin wissen: "Im Genre Science Fiction ist die Freiheit noch am größten. Das läuft unter dem Radar. Da kann man sich mehr trauen." Allerdings nur um nachzuschieben, politische Rebellion sei "ein zu großes Klischee."
Entsprechend fehlt es Jingfangs Figuren an revolutionärem Geist. Bei seinem Besuch im paradiesischen Ersten Sektor verspürt Lao Dao "keinerlei Neid und keine Verbitterung". Der Ort habe schließlich nichts mit ihm zu tun. Und ein Bürger des Ersten Sektors erklärt dem Arbeiter: "Vieles im Leben können wir eben nicht ändern, wir können es nur hinnehmen und erdulden." Die Schicksalsergebenheit der Figuren ist bei Jingfang gleichzeitig Masche - und Selbstkritik.

Stoff für einen großen Roman

Die einzige Schwäche des Texts ist seine Kürze. Das Ende enttäuscht. Es ist zu platt, kommt zu schnell und wird Jingfangs Idee nicht gerecht. Das gefaltete Pekings und dessen politische Strukturen haben das Zeug zu einem großen, wirklich großen Roman.
Gebannt verfolgt man, wie sich Wolkenkratzer schütteln, drehen und in Hohlräume pressen. Wie Pekings Führung versucht, in Zeiten der Automatisierung den arbeitslosen Massen Herr zu werden: "Man beschränkt die Zeit, in der bestimmte Gruppen der Bevölkerung am Leben teilhaben, und gibt den Leuten etwas zu tun." "Peking falten" schmeckt wie die Kostprobe eines Gourmetköchin, der man zurufen möchte, sie solle doch bitte endlich ein 5-Gänge-Menü zaubern.

Hao Jingfang: Peking falten
Aus dem Englischen von Jakob Vandenberg
Elsinor, Coesfeld 2017
84 Seiten, 13 Euro

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