Debütalbum von Nova Heart

Lasziver Post-Punk-Pop aus Peking

Die chinesische Sängerin Helen Feng bei einem Auftritt von Nova Heart im westfranzösischen Rennes
Die chinesische Sängerin Helen Feng bei einem Auftritt von Nova Heart © AFP / Damien Meyer
Von Martin Risel · 05.10.2015
Über Underground-Pop aus China weiß man hierzulande wenig. Zwischen vor allem männlichen Protagonisten sticht Helen Feng heraus. Die Sängerin und Indie-Aktivistin war Moderatorin bei MTV China. Ihr aktuelles Projekt nennt sich Nova Heart.
Wen wundert's angesichts solcher Songs, dass man Helen Feng gerne als "Blondie of China" tituliert - oder als "Queen of Beijing Rock"? Die Sängerin von Nova Heart hat eine gehörige Portion von Blondie-Sängerin Debbie Harry in ihrer Stimme. Von Peking ist da nicht viel zu hören, ein kleiner Rest asiatischer Bubblegum-Pop klebt noch unter dem Schuh. Ansonsten ist Nova Heart eine bemerkenswerte Band von internationalem Format, die vor allem frühe New Wave-Sounds atmet - und eine Brise Bristol-Melancholie.
"Dieses Album ist eher dunkel und psychedelisch, es gibt mehr Live-Instrumente. Wir verstehen es als einen Soundtrack von dem, was in uns gerade als Krise des Lebens tobt."
Helen Feng kennt die Identitätskrise der jungen Generation in China ganz gut – auch aus ihrem eigenen Leben: Geboren in Beijing, aufgewachsen in den USA, immer wieder in der Heimat gewesen und dorthin vor einigen Jahren zurückgekehrt. Sie war Moderatorin im Radio und bei MTV China, bevor sie selbst als Musikerin begann, in der Seele ihrer Landsleute zu lesen:
"In China suchen gerade viele nach ihrer Seele – mit vielen Fragen: Wer sind wir, ... warum?... Man kann nicht zu allem nein sagen, man muss auch für etwas sein, aber für was? Man kann nicht alles verurteilen. Aber was soll man begrüßen, wenn sich alles falsch anfühlt?"
Laszivität statt Lautstärke
Sie singt eher lasziv als laut, zurückhaltend, aber ausdrucksstark. Und ihre Stimme nutzt Helen Feng neben dem Gesang vor allem als Aktivistin einer neuen Independent-Kultur, die in China noch gar nicht richtig existiert. Zwar gebe es keinen expliziten Unterschied zwischen Majors und Indies, erzählt sie, sondern einfach ein paar Labels, die im Markt bestehen. Viele Bands könnten inzwischen davon leben, dass es immer mehr Festivals gibt. Aber die Indie-Szene sei in China unterentwickelt, vor allem für Künstler, die es aus dem Land rauszieht.
"Chinas Musikszene war lange eine interne. Ich versuche mit Projekten seit ein paar Jahren, da mit neuen Methoden heraus zu kommen. Also hab ich versucht, ein paar interessierte Leute davon zu überzeugen, solchen neuen Ideen zu folgen. Und so starten wir jetzt dieses Label."
FakeLoveMusic bietet dabei mehr als ein herkömmliches Label: Man versteht sich als Service-Plattform vor allem für Künstler, die auf den internationalen Markt wollen, organisiert eigene Events und betreibt viele netzgestützte Aktivitäten. Nur von der alten Promotion-Art Payola lässt man die Finger:
"(Flüsternd) Ich erzähle ein Geheimnis. (Normale Lautstärke) Es wird für Radio-Airplay gezahlt. In China ist das nicht verboten. Radiostationen verkaufen solche Pakete. Wenn Du zum Beispiel einen neuen Song vermarkten willst, kaufst du ein Paket für 10.000 Euro und der Song läuft dann sechsmal mit Interview und sowas."
Hypnotische, hypermoderne Sounds
Bis auf diese kongeniale Coverversion von Patti Smiths "Dancing Barefoot" finden sich ausschließlich Eigenkompositionen auf diesem großartigen Debütalbum von Nova Heart. Hypnotische, hypermoderne Sounds mit hymnischen Hooks, Hybride zwischen Pop und Darkwave, zwischen Fernem Osten und immer präsentem Westen. Im Zentrum eine düster schimmernde Vorbild-Figur der chinesischen Indieszene, die die eigenen Idole Patti Smith und Debbie Harry nicht verleugnet und den eigenen Idol-Status kritisch reflektiert:
"Ich habe das Gefühl, dass wir nicht unbedingt Idole sind, sondern nur einen Moment der Zeit einkapseln. Die Leute projizieren auf Personen, die sie bewundern, ihre Vorstellungen von Zeit und Gesellschaft. Und sie machen diese Personen zur eigenen Geschichte und ihre Musik zu dessen Verkörperung."
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