Halloween in Salem

Progressive Hexen kapern eine Stadt

Stimmungsvoll-gruselige Aufnahme von Kürbissen und dem Todenschädel eines Tieres.
Ein Hexenritual zu Halloween. Glücklicherweise geht es in Salem etwas weniger gruselig zu. © freestocks.org/Unsplash
Von Nora Sobich · 31.10.2018
Im 17. Jahrhundert war Salem im US-Bundesstaat Massachusetts Schauplatz der puritanischen Hexenprozesse. Heutzutage feiert sich die Stadt zu Halloween einen ganzen Monat lang als Hexenhauptstadt und schwingt mit dem Hexenbesen drohend Richtung Trump.
Die erste Hexe steht gleich am Eingang zur Fußgängerzone: Drei junge Frauen, die ganz aus St. Louis an die neuenglische Ostküste gereist sind, schießen Selfies vor der bronzenen "Samantha"-Statue, Amerikas berühmtester Fernsehhexe aus der 70er-Kultserie "Bewitched".
"Wir sind gerade auf einem kleinen Ausflug Richtung Maine – und, naja, es ist Oktober. Wir mussten einfach nach Salem!"
In dem historischen Kolonialstädtchen, das im 17. Jahrhundert Schauplatz der puritanischen Hexenprozesse war, wird den gesamten Oktober über herbstlicher Horror gefeiert. Zur Halloween-Nacht kommen in die Stadt mit ihren 45.00 Einwohnern mehr als doppelt so viele Besucher.
"Eine tolle Nacht: viele Leute, viel Energie. Jeder ist verkleidet ... und alle sind freundlich. Naja, die meisten jedenfalls..."

Seit den Fünfzigern steigt das Interesse an Hexen

Die Verkäuferinnen eines Touristenshops in der Fußgängerzone können kaum Durchatmen. Hexen-Gimmicks und Glaskugel-Magie verkaufen sich in Salems unzähligen Hexenläden wie warme Semmeln.
Gleich mehrere Privatmuseen beleuchten den historischen Hexenwahn Salems. Mehr Hexen gibt’s wohl nirgends. Rachel Christ ist Historikerin des "1692 Salem Witch Museum", dessen lange Jahre laufende Show sie gerade etwas faktengetreuer aktualisiert hat. Es befindet sich in einer ehemaligen, stilecht gespenstisch, neo-gotischen Kirche.
Ein altes Kirchengebäude, das zu einem Museum umgewandelt wurde.
Auch bei sommerlichen Temperaturen beeindruckend: das "Salem Witch Museum".© imago stock&people
Noch bis in die Fünfzigerjahre, meint Rachel Christ, war der Hexenwahn in Salem kein Thema. Erst als Arthur Millers sozialkritisches Theaterstück "Hexenjagd" rauskam, in dem der Dramatiker die Kommunistenhetze und Paranoia der McCarthy-Ära in die Zeit der puritanischen Hexenverfolgung verlegte, erwachte in Salem das Interesse an seiner Geschichte und auch an "witchcraft" – Hexerei.
Salem, wo inzwischen 20 Prozent der Bewohnerinnen selbsterklärte Hexen sein sollen, wurde zum doppelten Titelträger: Amerikas Hexen- und Halloween-Hauptstadt:
"Daraus wurde dann dieses wirklich niedliche Stadtfest, das den ganzen Monat anhält. Für die Wirtschaft ist das exzellent."

Salems Hexen protestieren gegen Trump

Die bedenkliche Renaissance, die der Begriff "witch-hunt", Hexenjagd, gerade als populistische Kampfansage in Washington feiert, ist freilich auch in Salem keinem entgangen. Kaum ein Tag, an dem der derzeitige US-Präsident nicht einen "witch-hunt"-Tweet losließe, um jede Art Kritik zu diskreditieren.
Gegenwind kriegt Washingtons Angst schürende Politik von Salems "Hexengemeinde", einer auch in anderen US-Städten zunehmend wachsenden Bewegung, dem sogenannten "Witch Movement" oder der "Witch Wave". Vor allem junge Frauen bekennen sich hier selbstbewusst widerständisch zum Hexensein.
Eine von ihnen ist Erica Feldmann. Dass sie die gängigen Hexenklischees nicht erfüllt, weiß sie selbst am besten. Ihr Laden "HausWitch" ist spinnenwebenfrei, licht, modern. Sich als Hexe zu bekennen, ist für Erica Feldmann vor allem auch politisch gemeint:
"Es ist wirklich nötig, dass wir uns zusammenschließen. Wegen dieser schrecklichen Person, die gerade unser Land führt." Und: "Was ist es denn, was weiße alte Männer – jedenfalls historisch betrachtet – fürchten?" Hexen.

Gelebte Toleranz

Dass inzwischen die halbe Stadt vom kommerzialisierten Hexenzauber lebt, stört sie nicht. Salem sei heute eine ausgesprochen progressive Stadt, die sozusagen ihre im 17. Jahrhundert angeschlagene Reputation wieder herzustellen versucht.
Der ältere Herr, der vor Salems Touristeninformation auf seine Frau wartet, scheint von solchen Ideen unbeeindruckt. Auf seinem T-Shirt steht in Großbuchstaben "AMERICA". Er ist aus Arizona. Der Hexentrubel interessiert ihn nicht. Er ist wegen der Herbstlaubfarben nach Neuengland gekommen.

Die Stadt wappnet sich

Im "Visitor Center" schaut man schon weit in die Zukunft: 2020, weiß ein graubärtiger Park-Ranger, wird Halloween auf einen Freitag fallen und es Vollmond geben. Besser geht's nicht.
2020 ist dann auch die nächste US-Präsidentschaftswahl. Und in Salem, das mit seiner hexenbeflügelten Counterculture nicht toleranter sein könnte, wünschen sich viele, dass der Spuk in Washington spätestens dann vorbei sein wird. Mit Witchcraft oder ohne.
"Das will ich doch hoffen. Gebt uns ein paar Jahre. Yeah."

Auf Instagram feiert sich die Stadt selbst. Eine kleine Auswahl mit schönen Eindrücken:
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