György Konrad kritisiert "dünne Demokratie" in Orbáns Ungarn

02.04.2013
Der ungarische Autor György Konrad, der heute 80 Jahre alt wird, verlangt von Bundeskanzlerin Merkel und anderen EU-Politikern mehr Strenge gegenüber der ungarischen Regierung.
Nana Brink: Was ist das Schönste an Europa? Dass wir unbehelligt arbeiten, kommen und gehen können und dass wir im gesamten europäischen Raum Rechtssicherheit genießen. So kann nur ein überzeugter Europäer schwärmen, und ein solcher ist der ungarische Schriftsteller György Konrad, Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, bis 2003 Präsident der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg.

Heute wird er 80 Jahre alt und wenn er allerdings an die Zustände in seinem Heimatland denkt, das Zurückdrängen von demokratischen Grundrechten, dem wachsenden Antisemitismus, die Europafeindlichkeit gerade unter den jungen Menschen, dann, ja dann könnte er um den Schlaf gebracht sein. Trotzdem einen schönen guten Morgen, Herr Konrad.

György Konrad: Guten Morgen.

Brink: Sie wurden 1933 ja in eine jüdische Familie hineingeboren, die knapp der deutschen Vernichtungsmaschinerie entkam, hatten dann – wir machen jetzt einen großen Sprung – zehn Jahre Publikationsverbot im kommunistischen Ungarn und jetzt das, dieses Ungarn heute. Hat die Regierung Orbán schon den Boden der Demokratie verlassen?

Konrad: Es gibt eine ständige Beschränkung der Demokratie, aber ich sitze hier und ich kann meine Sachen veröffentlichen, ich kann herausfahren, und das ist doch ein Unterschied mit dem Regime vor 89, weil damals meine grundlegende Limitierung war, dass ich nichts veröffentlichen konnte, was ich geschrieben habe, und ich konnte nicht ohne Genehmigung ausreisen. Aber das ist eine dünne Demokratie, die es hier noch gibt, nur ein Sender, ein Radiosender und eine Fernsehanstalt. Und die sind auch in Schwierigkeiten, gehen sie vorwärts, und alles, was öffentlich-rechtlich, das heißt staatlich ist, ist Regierungspropaganda.

Brink: Macht Sie das als ehemaliger Dissident und jemand, der seine Heimat ja sehr liebt und dafür auch sehr gekämpft hat, für deren Demokratisierung, macht Sie das nicht fassungslos?

Konrad: Hoffnungslos macht es mich nicht. Ich hoffe, dass es stürzen wird, dieses Regime, und wenn nicht morgen, dann übermorgen. Das ist die Gesetzmäßigkeit in der Geschichte. Und solche Regime, die keine äußerliche Unterstützung, grundlegende Unterstützung bekommen, dass sie in dieser Richtung gehen, werden wahrscheinlich gegen die Regierenden kehren. Und diese Partei, die heute herrscht, hieß Verband der Jungen Demokraten, und jetzt muss sie erleben, dass eine nächste Generation, weil diese Partei ist schon um die 50, und die nächste Generation wiederholt jetzt als Zitate sehr genau die ursprüngliche Phraseologie dieser Partei, der Fidesz, die heute die Demokratie unterdrückt. Und es gibt eine Bewegung der jüngeren Generation, die intelligent und diszipliniert sind.

Brink: Sie haben Ungarn kürzlich ein "europafeindliches EU-Mitglied” genannt. Kann Ungarn noch weiterhin Mitglied der EU sein?

Konrad: Es ist natürlich eine Frage von beiden Seiten. Ich will nicht, dass Ungarn so herausgestoßen ist von der Europäischen Union. Man kann natürlich eine Regierung strafen, ohne das Volk bestraft zu sehen. Das heißt, ich wünsche nicht, dass die Ungarn ärmer sein sollen, nur darum, weil sie noch dieses Regime dulden. Aber man kann fast zur Null die Beziehungen mit Politikern abkühlen, die die gemeinsamen Werte und Regeln der Union verletzen.

Brink: Also Sie meinen, Europa müsste mehr in diese Richtung agieren, zumindest das politische Europa?

Konrad: Das politische Europa, die Kollegen von Herrn Orbán, sollen strenger sein gegenüber ihm, und Frau Merkel soll mit härteren Wörtern ihre Meinung ausdrücken. Und wenn es im Europäischen Parlament eine Resolution gibt, die Herrn Orbáns Regierung kritisiert … denn bisher haben die Volksparteien ihn ständig verteidigt, und die CDU ist eine Volkspartei. Aber jetzt scheint es so, dass es eine Wende gibt in dieser Haltung, und Deutschland und Holland und auch einige skandinavische Länder, Finnland auch, wünschen von der Europäischen Union und von dem Parlament und von dem Präsidenten eine härtere Haltung, eine klare Haltung in den Fragen der grundlegenden Menschenrechte und in den Fragen des Rechtsstaats. Das ist notwendig und das wünscht man und man hat es mit Briefen und mit öffentlichen Deklarationen ausgedrückt, dass die ungarische ehemalige demokratische Opposition, die vor 89 schon diese Arbeit erfüllt hat, zurückkehrt. Wir haben auch geschrieben, dass man in den politischen Wertfragen härter und strenger sein muss, aber wir wünschen, dass das Volk davon nicht leiden soll.

Brink: Wäre das etwas, was Sie sich für Ihren 80. Geburtstag wünschen würden?

Konrad: Was ich für mich wünsche? Einen Sonnenschein und einen schönen Frühling und die Möglichkeit, noch einige gute Sätze zu formulieren.

Brink: Das wünschen wir Ihnen auch. Herzlichen Dank. Der ungarische Schriftsteller György Konrad. Schönen Dank, dass Sie mit uns gesprochen haben.

Konrad: Danke sehr.


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