Grundrechte für Geimpfte

"Wir müssen aufpassen, den Bogen nicht zu überspannen"

09:02 Minuten
Das Hinweisschild auf das noch geschlossenen Impfzentrum in der Sport- und Kongresshalle ist am frühen Morgen zu sehen.
Erst rein, mit mehr Rechten wieder raus? In Bayern brauchen Geimpfte keine Coronatests mehr vorlegen. © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Steffen Augsberg im Gespräch mit Nicole Dittmer · 28.04.2021
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Wieder volle Grundrechte für Geimpfte? Diese Frage hätte der Bund am Montag klären müssen, sagt der Jurist Steffen Augsberg. Jetzt sei eine gute Kommunikation wichtig, um die Solidarität in der Gesellschaft nicht zu gefährden.
Sollen Geimpfte ihre Rechte zurückbekommen? Diese Frage wurde beim Bund-Länder-Treffen am vergangenen Montag nicht geklärt. Die Debatte geht somit weiter, auch weil einzelne Bundesländer wie Bayern eigene Wege gehen.
Dafür sei auch der Bund verantwortlich, der die Möglichkeit verspielt habe, schon frühzeitig Regelungen zu verabschieden, sagt Steffen Augsberg, Mitglied im Deutschen Ethikrat. "Das hätte der Bundestag selbst in die Hand nehmen sollen. Das wäre die beste, sinnvollste und schnellste Option gewesen."

Geimpfte stellen ein "nahezu Nullrisiko" dar

Augsberg mahnt zudem an: "Wenn wir keinen Grund mehr für die Infektionsschutzmaßnahmen haben, dann müssen die alle aufgehoben worden. Jedenfalls dürfen sie individuell gegenüber diesen Personen nicht mehr gelten, die kein Risiko darstellen", so der Professor für öffentliches Recht an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Auffällig sei momentan, dass "eine geschickte Lobbyarbeit betrieben wurde", so der Jurist. Berufsgruppen wie Steuerberater und Rechtsanwälte würden mit Vorrang geimpft. Da könne "man sich schon fragen, was das eigentlich mit Verletzlichkeit und Exposition zu tun hat".
Eine solche Bevorzugung könne "Ungerechtigkeitsgefühle auslösen. Aber am Ende bleibt es dabei: Wer geimpft ist, ist ein 'Nahezu null'-Risiko."
Nun sei es angebracht, darüber nachzudenken, wer einem großen Infektionsrisiko ausgesetzt sei, sagt Augsberg: "Dann ist vielleicht der Busfahrer oder der Supermarktkassierer vor dem Hochschullehrer dran."

Maßnahmen besser erklären

In seinem Umfeld merke er bereits, "dass die Nerven einigermaßen blank liegen". Das liege auch daran, dass Maßnahmen nicht mehr nachvollzogen werden könnten. Augsberg mahnt deswegen, manches besser zu erklären – oder Maßnahmen sein zu lassen.
Denn: "Wir haben eine bewundernswerte Solidarität gehabt, vor allem von den Jüngeren, die im vergangenen Jahr gedacht haben, ihnen kann so gut wie nichts passieren. Trotzdem haben sie so doll mitgezogen. Gerade deswegen müssen wir sehr aufpassen, dass wir den Bogen nicht überspannen."
(rzr)
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