Grüne Menschenrechtlerin Marieluise Beck

„Das Parlament ist ein wunderbarer Ort“

33:53 Minuten
Die Grünen-Politikerin und frühere Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck. (Archivbild von 2017)
30 Jahre in der Politik: Marieluise Beck. Im Sommer wird sie 70 Jahre alt. © imago / Jakob Hoff
Moderatorin: Annette Riedel · 01.02.2022
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Sie zog mit den ersten Grünen 1983 in den Bundestag ein und war rund 30 Jahre lang Abgeordnete: Marieluise Beck - Fraktionssprecherin, Ausländerbeauftragte, Staatssekretärin. Bis heute engagiert sie sich für Demokratie und Menschenrechte.
Marieluise Beck hat viel erlebt: die Anfänge der Grünen, Häme gegen Frauen im Bundestag, Alphatiere wie Joschka Fischer, Otto Schily oder Gerhard Schröder. Politik, sagt die Grüne, die im Sommer 70 Jahre alt wird, sei ein aggressives Geschäft.
„Was ich unerträglich finde, ist, mit welcher Chuzpe und Härte Konkurrent*innen innerhalb der eigenen Gruppe zur Seite geschubst werden.“ Aber sie schaut mit Wohlwollen auf das, was ihre Partei in all den Jahren erreicht hat. „Wir haben eine Phase hinter uns mit zwei Parteivorsitzenden, die immer wieder dafür geworben haben, den Kompromiss als etwas Demokratisches anzusehen. Und das finde ich sehr, sehr wohltuend.“
2017 scheidet Marieluise Beck aus dem Bundestag aus. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Grünen-Politiker Ralf Fücks, mit dem sie seit 39 Jahren zusammenlebt, gründet sie das „Zentrum Liberale Moderne“. Eine Art Denkwerkstatt, die sich für Freiheit und Demokratie besonders in Osteuropa einsetzt.

Aufwachsen in der Großfamilie

Die Politik wurde ihr nicht in die Wiege gelegt. Der Vater war zwar politisch interessiert, sprach aber mit Frauen nie über Politik. „Er hatte das unglückliche Schicksal, dass er zwar eine große Familie hatte, sieben Kinder, aber nur einen Sohn und sechs Töchter“, erzählt Marieluise Beck. „Deswegen wurde mit uns nicht über Politik gesprochen, sondern wenn die Verehrer der Töchter kamen, um meine älteren Schwestern abzuholen, dann nagelte mein Vater sie fest. Und meine Schwestern standen mit Augen `gen Himmel in der Tür und warteten, dass mein Vater die Verehrer freigab.“
Die nationalsozialistische Vergangenheit des Vaters ist in der Familie nie ganz geklärt worden. Marieluise Beck glaubt und hofft, dass er nicht an Gräueltaten beteiligt war. Aber, bedauert sie: „Das ist der entscheidende Punkt: Wir haben nicht gefragt.“

Alles selbst gestrickt

Ihr Interesse für Politik wird als Schülerin durch die Jugendarbeit in der Evangelischen Kirche geweckt. Später engagiert sich Marieluise Beck in der Hochschulpolitik, erst im „braven“ Bielefeld, wo sie mit einem Lehramtsstudium für Deutsch und Geschichte beginnt und es dann in Heidelberg fortsetzt.
Natürlich lebt sie in einer WG, liest die einschlägige linke Literatur. Aber, erzählt die spätere Grünen-Politikerin, „dieses Heidelberg mit der Härte der Auseinandersetzung war mir extrem unheimlich, ich war total unglücklich. Ich wollte eigentlich ein geordnetes bürgerliches Leben leben. Es fand sich ein zweiter Trotzkist, der ähnlich dachte wie ich, und wir beide sind dann eineinhalb Jahre später geflohen in eine Anstellung als Lehrer in das auch wohlgeordnete Pforzheim.“
Seit 1980 ist sie Mitglied der Grünen; drei Jahre später wird sie in den Deutschen Bundestag gewählt. Rückblickend amüsiert sich das Mitglied der ersten Grünen Fraktion: „Wenn man die ersten Jahre in den Bundestag blickt: alles selbst gestrickt.“ Bis heute ist das Parlament für sie „ein wunderbarer Ort“.

Nie wieder Krieg?

Entscheidend für Marieluise Becks Denken sind die Kontakte zu Menschen während des Kosovokrieges. Die Blauhelme dürfen sie nicht schützen, das Embargo verhindert, dass sie sich selbst verteidigen. „Ich habe verstanden, dass zu dem ‚nie wieder‘ die Frage gehört: Wie schützen wir die, die angegriffen werden? Das ist für mich auch für Osteuropa der zentrale Punkt geblieben.“
Als sie 1995 für den Nato-Einsatz im Kosovokrieg stimmt, bringt ihr diese Einstellung viel Kritik ein. Sie habe sich von der Pazifistin zur „Birkenstock-Bellizistin“ gewandelt. „Die Grünen waren nie eine pazifistische Partei", sagt Marieluise Beck. „Wir waren eine Anti-Nato-Partei. Wir waren damit stärker antiwestlich, als uns vermutlich bewusst gewesen ist. Und wir haben den zweiten Teil nicht mitgedacht: Wie muss vorgebeugt werden, auch im Falle, dass andere den Krieg eröffnen und Ungeschützte überfallen? Da können wir nicht vor der Verantwortung weglaufen und sagen: Nie wieder Krieg.“
(svs)

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