Glaube in der Ökonomie

Finanzwirtschaft und Vergebung

Beim Handel ist es ähnlich wie beim Gottesdienst - einer steht vorn und predigt
Handelssaal der Pariser Börse im Mai 1988 © AFP / Cchristophe Simon
Christoph Fleischmann im Gespräch mit Ute Welty · 13.06.2015
Der Glaube an unendliches Wirtschaftswachstum, ein Markt, der sich trotz des Profitstrebens Einzelner selbst regelt zum Wohle aller: Ökonomisches Denken beruht auf Glaubenssätzen und teilt darum auch viele Begrifflichkeiten der Religion, sagt der Theologe und Buchautor Christoph Fleischmann.
Der evangelische Theologe Christoph Fleischmann hinterfragt ein Wirtschaftssystem, das ähnlich wie Religion auf Glaubenssätzen und Dogmen beruht und fordert die Kirchen auf, sich stärker an ihren eigenen Grundsätzen zu orientieren.
"Es gibt starke Glaubenselement in der Art, wie wir wirtschaften," sagte Fleischmann im Deutschlandradio Kultur über die Wechselbeziehungen zwischen Wirtschaftsdenken und Religion. Bereits die Begriffswelt der Ökonomen zeige eine große Nähe mit religiösem Vokabular, erläuterte der Journalist und Buchautor anlässlich der Internationalen Konferenz der Kulturstiftung des Bundes "Ihr aber glaubet", bei der sich an diesem Wochenende in Köln Fachleute und Vertreter aus Wirtschaft, Forschung und verschiedenen Religionen mit dem Verhältnis von Religion und Wachstumsdenken beschäftigen.
Theologische Legitimationsstrategien der Ökonomie
"Der Gläubiger in der Wirtschaft, das ist der der einen Kapitalvorschuss gibt und ihn in der Zukunft plus Gewinn zurückerwartet," sagte Fleischmann. Dieses wirtschaftliche Denken, das der christlichen Ethik zuwiderläuft, habe im Mittelalter und noch mit Beginn der Neuzeit bei Theologen für Entsetzen gesorgt. Allerdings habe die Ökonomie dafür Legitimationsstrategien gefunden: "Zum Beispiel für das Problem, dass die Menschen in einer kapitalgetriebenen Wirtschaft nur den eigenen Vorteil suchen, dass sie Profit suchen, ist legitimiert worden damit, dass man gesagt hat: Ja wenn alle das machen, dann geht das zum Wohle aller aus." Das Prinzip Angebot und Nachfrage regele also, obwohl alle nur nach dem eigenen Vorteil strebten, das Markt-Geschehen letztlich doch für alle Beteiligten zum Guten. Bis heute werde diese Argumentation zur Einführung von Marktmechanismen genutzt, "eine Hoffnung, die sich aber bei weitem nicht in allen Fällen erfüllt", kritisierte Fleischmann.
Die Kirche ist in Widersprüche verwickelt
Christlich Glaubende sieht der Autor des Buches '"Gewinn in alle Ewigkeit. Kapitalismus als Religion" in einer Gegentradition, bei der der Gebende im Unterschied zu einem Kreditgeber nicht mehr, sondern sogar weniger zurückerwarten sollte. Allerdings leide die Kirche immer wieder am Widerspruch, Erbe einer Tradition zu sein, die sagt >sei selbstlos< und dem Leben in einer Welt, die nach anderen Prinzipien funktioniere. So gebe es trotz der Stimmen kirchlicher Wachstumskritiker widersprüchliche Signale aus der Kirche, denn auch die Finanzverwalter von Kirchenvermögen erwarteten für kirchliche Pensionsfonds "dass das Geld wächst und damit auch die Wirtschaft wächst."
Warum wirbt die Kirche nicht stärker für einen Schuldenerlass für Griechenland?
Speziell angesichts der griechischen Schuldenkrise wundere er sich aber darüber, "dass die Kirche nicht stärker ihr Eigenes (...) betont. Das ist ja die Sündenvergebung und übertragen auf den wirtschaftlichen Bereich die Schuldenvergebung. Warum von den kirchlichen Akteuren nicht stärker für einen Schuldenerlass geworben wird, verstehe ich eigentlich nicht", kritisierte Fleischmann, der sich als freiberuflicher Journalist und Moderator seit langem mit dem Thema Geld und Religion beschäftigt und auf der Konferenz unter anderem ein Gespräch zwischen dem ehemaligen Deutsche Bank-Vorstandsvorsitzenden Josef Ackermann und dem Schweitzer Wirtschaftswissenschaftler und Wachstumskritiker Christoph Binswanger zum Thema "Geldpolitik" moderiert.
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Glaubst du noch oder verdienst du schon? In Köln wird derzeit intensiv über das Verhältnis von Religion und Wirtschaft nachgedacht: Ist der Glaube an Wachstum an die Stelle des Glaubens an die Dreifaltigkeit getreten, oder folgen Christus und Kapital womöglich denselben Prinzipien? Dazu äußern sich heute der ehemalige Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, und der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler und Wachstumskritiker Christoph Binswanger, und moderiert wird dieses Gespräch von Christoph Fleischmann, Theologe, Journalist und Autor des Buches "Gewinn in alle Ewigkeit", das unter anderem die Karriere der Habgier beschreibt, von der Todsünde bis hin zur Wirtschaftstugend. Guten Morgen, Herr Fleischmann!
Christoph Fleischmann: Guten Morgen!
Welty: Ist Kapitalismus eine Religion mit umgekehrten Vorzeichen oder wäre das zu einfach?
Nähe zwischen Begriffen der Religion und der Wirtschaft
Fleischmann: Na ja, es gibt schon starke Glaubenselemente in der Art, wie wir wirtschaften. Das macht sich ja zum Beispiel auch sprachlich fest. Es gibt eine große Nähe zwischen Begriffen der Religion und zwischen den Begriffen der Wirtschaft: Der Gläubiger in der Wirtschaft, das ist derjenige, der einen Kapitalvorschuss gibt und den dann in der Zukunft plus Gewinn zurückerwartet. Da würden wir vielleicht sagen, na ja, Gott, das ist ja ein ganz normaler Vorgang, aber wenn Sie in die Zeit zurückgehen, als die ersten Kapitalvorschüsse sozusagen gegeben wurden – das war im Mittelalter, als man damit Handelsschiffe auf die Reise geschickt hat –, dann können Sie noch gucken, dass das für die Leute damals ein höchst irritierender Vorgang war. Die Theologen waren entsetzt: Da rechnet auf einmal jemand mit der Zukunft, mit dem Bereich des Unverfügbaren, der doch eigentlich nur Gott zusteht. Noch bei Martin Luther können Sie dieses Entsetzen schriftlich niedergelegt finden, und im Prinzip hat sich das ja nicht geändert. Die Zukunft, das haben wir in der Finanzkrise gemerkt, ist immer noch der Bereich des Unverfügbaren für den Menschen. Alle Sicherungsmechanismen reichen nicht aus, um das unverfügbare Element auszuschalten.
Welty: Und was unterscheidet den Glaubenden vom Gläubiger?
Fleischmann: Na ja, eigentlich ist der, ich sag jetzt mal, der christlich Glaubende natürlich einer, der einer Gegentradition angehört, die ihm nämlich sagt, er soll Nächstenliebe üben. Der Kreditgeber erwartet immer noch etwas hinzu zu dem, was er gegeben hat. Er gibt weniger und erwartet dieselbe Summe plus x, plus Gewinn zurück. Das ist nach Ausweis einer alten Gerechtigkeitsvorstellung eigentlich ungerecht – man soll Gleiches gegen Gleiches tauschen. Und die christliche Tradition toppt das ja noch, indem sie sagt, eigentlich sollst du weniger zurückerwarten, als du gegeben hast. Aber dieses selbstlose Handeln wird natürlich in einer Wirtschaft, die auf Kapitalvorschuss basiert, immer schwieriger.
Welty: Religion lebt ja auch über die Rituale – mit welchen Ritualen zelebriert der Kapitalismus sein quasi religiöses Moment?
Legitimationsstrategien: Angebot und Nachfrage führen zum Wohle aller
Fleischmann: Ja, ich weiß nicht, ob man da von Ritualen sprechen kann, er hat aber Legitimationsstrategien gefunden. Zum Beispiel dieses Problem, dass eben die Menschen eigentlich nur ihren eigenen Vorteil suchen in einer kapitalgetriebenen Wirtschaft, dass sie auf Profit aus sind, ist mit der Vorstellung legitimiert worden, dass man gesagt hat, ja, wenn alle das machen, dann geht es zum Wohle aller aus. Der Unternehmer macht seinen Gewinn durch die Konkurrenz, wird er aber sozusagen auf einen günstigen Preis gedrückt, das heißt, auch der Konsument bekommt einen vorteilhaften Preis, obwohl alle nur nach ihrem Vorteil geguckt haben, durch den Mechanismus von Angebot und Nachfrage geht es zum Wohle aller aus. Und das ist aber natürlich eine Hoffnung, die zwar immer wieder auch bis heute als Begründung für die Einführung von Marktmechanismen genannt wird, eine Hoffnung, die sich aber natürlich bei Weitem nicht in allen Fällen erfüllt.
Welty: Der Kirchentag, der gerade in Stuttgart zu Ende gegangen ist, der hat ja sehr deutlich gezeigt, wie ambivalent das Verhältnis ist. Auf der einen Seite wurde sehr viel Wachstumskritik deutlich, auch in Zusammenhang mit der Diskussion über das Freihandelsabkommen TTIP, auf der anderen Seite ist Pharmamanager Andreas Barner Präsident der Kirchentage bis 2019. Wohin führt uns dieser Prozess zwischen diesen beiden, ja, Wegmarkungen?
Fleischmann: Ja, also ich glaube, die Kirche leidet immer wieder an diesem Widerspruch, dass sie eben einerseits ...
Welty: Ja, liegt in der Natur der Sache, glaube ich.
Widersprüchlichen Signale der Kirche
Fleischmann: Ja, dass sie einmal Erbe eben einer Tradition ist, die etwas anderes sagt, die eben sagt, sei selbstlos, und dass sie aber andererseits natürlich in einer Welt leben muss, die nach anderen Prinzipien funktioniert. Und das äußert sich dann an solchen widersprüchlichen Signalen, dass man sich eigentlich nicht so ganz auf die eine wie auf die andere Seite schlagen will, wahrscheinlich auch, weil man dann mit eigenen Widersprüchen konfrontiert wäre. Natürlich gibt es die in der Kirche, die sich um Wachstumskritik bemühen,, aber die müsste man dann mal ins Gespräch bringen mit den Finanzchefs der Kirchen, die natürlich auch viel Geld für die Pensionen zurücklegen und erwarten, dass dieses Geld wächst und damit auch die Wirtschaft wächst.
Welty: Oder wenn Sie sich so was anschauen wie bei den Katholiken der Ablasshandel, der ja auch im Grunde genommen eine kapitalistische Form mit Religion ist.
Fleischmann: Ja, das ist ein Beispiel dafür, dass im Prinzip das kapitalistische Denken dann tatsächlich auch, oder man könnte vielleicht sagen ein gewisses merkantilistisches Denken voll auf den religiösen Bereich übertragen wurde. Das ist dann schon nicht mehr nur ein Kompromiss.
Welty: Glaube kann ja bekanntlich Berge versetzen, aber kann Glaube auch helfen, beispielsweise die griechische Finanzkrise zu lösen?
Sündenvergebung übertragen auf Schuldenvergebung
Fleischmann: Na ja, ich persönlich wundere mich, dass die Kirchen nicht stärker sozusagen ihr Proprium, ihr eigenes, betonen – das ist ja die Sündenvergebung und übertragen auf den wirtschaftlichen Bereich die Schuldenvergebung. Warum also von den kirchlichen Akteuren nicht stärker für einen Schuldenerlass geworben wird, verstehe ich ehrlich gesagt nicht.
Welty: Also Sie plädieren eindeutig dafür?
Fleischmann: Die Schulden von Griechenland sind in der Summe, die wir da vor Augen haben, sind die nicht tragbar, das kommt früher oder später.
Welty: Der Theologe und Autor Christoph Fleischmann, er nimmt an der Konferenz "Ihr aber glaubet" in Köln teil. Fachleute und Macher aus Wirtschaft, Forschung und Religion beleuchten das Verhältnis von Religion und Wachstumsdenken, und dazu äußern sich heute auch der ehemalige Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, und der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler und Wachstumskritiker Christoph Binswanger. Und ich glaube, es gibt noch Karten für diese Veranstaltung, oder, Herr Fleischmann?
Fleischmann: Ja.
Welty: Und mit in Köln dabei ist auch Zaid El-Mogaddedi, Gründer und Inhaber der einzigen Islamic Finance Unternehmensberatung im deutschsprachigen Raum. Ihn hören Sie dann morgen nach 14:00 Uhr hier in Deutschlandradio Kultur dann zum Thema "Islam und Bankwesen – ist das vereinbar und wie ist das vereinbar?".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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