Evangelischer Kirchentag

Ethisch fundierte Unternehmenspolitik

Evangelischer Kirchentag
Heute beginnt der Evangelische Kirchentag in Stuttgart. © dpa / picture alliance / Daniel Naupold
Andreas Barner im Gespräch mit Dieter Kassel  · 03.06.2015
Christliche Ethik kann ein guter Rahmen für unternehmerisches Handeln sein, sagt Andreas Barner, Präsident des Evangelischen Kirchentags. So könne sich eine Kultur des Zuhörens entwickeln, getragen von Respekt und gegenseitiger Wertschätzung.
Der Präsident des Evangelischen Kirchentags, Andreas Barner, hat sich für eine stärkere Berücksichtigung christlicher Grundsätze in der Unternehmensführung ausgesprochen. Christliche Ethik könne einen guten Rahmen für unternehmerisches Handeln abgeben, sagte er im Deutschlandradio Kultur. Das gelte besonders für den Bereich des Umgangs mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Der Vorsitzende der Unternehmensleitung des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim und Leiter des Bereichs Pharmaforschung und Medizin verwies auch auf die dort angewandten Prinzipien:
"Ein guter Umgang, ein Kümmern um soziale Belange. Aber auch einfach die Frage, wie man miteinander umgeht: Mit Respekt, mit gegenseitiger Wertschätzung. Dass man sich gegenseitig zuhört und gegenseitig die Ideen und Vorschläge aufnimmt."
Wenn man etwa die Familienunternehmen im Stuttgarter Raum betrachte, könne man eine langfristige Ausrichtung beobachten, äußerte Barner:
"Natürlich, Familienunternehmen wollen das Unternehmen von einer Generation zur nächsten weitergeben. Aber sie sehen eben auch ein sehr stark ethisch fundiertes Verhalten, das, glaube ich, in gewisser Weise im Widerspruch steht zu dem, über was wir häufig in der Öffentlichkeit reden. Wir reden naturgemäß häufiger über die Probleme und weniger über das, was gut läuft."
Deutschland stehe im Vergleich zur gesamten unternehmerischen Welt besser da, sei stärker sozial orientiert, betonte Barner:
"Ich denke, dass die wirklich schwierige Frage sein wird: Wie können wir sicherstellen, dass alle Unternehmen, auch solche, die nicht in Deutschland ihren Hauptsitz haben, mit den gleichen vernünftigen, sorgfältigen Leitplanken arbeiten? Da gibt es noch offene Fragen."
Hier erhoffe er sich auch Signale vom heute in Stuttgart beginnenden 35. Evangelischen Kirchentag. Möglicherweise könnten dazu auch Resolutionen verabschiedet werden.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Unter dem Motto "Damit wir klug werden" beginnt heute in Stuttgart der 35. Deutsche Evangelische Kirchentag. Präsident dieses Kirchentags ist Professor Andreas Barner. Er ist im Hauptberuf Vorsitzender der Unternehmensleitung des Pharmakonzern Boehringer-Ingelheim. Und er ist Leiter des Bereichs Pharmaforschung, Entwicklung und Medizin bei diesem Unternehmen. Schönen guten Morgen, Herr Barner!
Andreas Barner: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Kann man tatsächlich ein so großes – Boehringer-Ingelheim ist der zweitgrößte Pharmaproduzent Deutschlands – ein so großes Pharmaunternehmen nach christlichen Grundsätzen leiten?
Barner: Ich denke, ja. Ich denke, dass man große Unternehmen, kleine Unternehmen, Familienunternehmen gut nach gut durchdachten Prinzipien leiten kann, und die christliche Ethik ergibt, glaube ich, einen guten Rahmen.
Kassel: Was heißt das in Ihrem Alltag konkret?
Barner: Das hat zum einen damit zu tun, wie man mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgeht, bei Boehringer-Ingelheim beispielsweise. Das passt dann gut zu dem, was ich vertreten kann. Seit der Gründung im Jahr 1885 ist eigentlich das Prinzip ein guter Umgang, ein Kümmern um soziale Belange. Aber auch einfach die Frage, wie man miteinander umgeht, mit Respekt, mit gegenseitiger Wertschätzung, dass man sich gegenseitig zuhört und gegenseitig die Ideen und Vorschläge aufnimmt.
Ausrichtung von Forschungszielen
Kassel: Was heißt das aber: Sie haben ja quasi eine Doppelfunktion, seit einer Weile schon sind Sie Vorstandssprecher, aber noch länger sind Sie Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung – was heißt das auch in diesem Bereich, gerade in der Pharmaindustrie?
Barner: Das heißt für uns, und da bin ich eigentlich sehr glücklich, dass wir versuchen, unsere Forschungsziele ganz bewusst danach auszurichten, was medizinisch notwendig ist, wegen der langen Dauer der Forschung und Entwicklung von mehr als zehn, zwölf Jahren heißt das, sehr lange in die Zukunft zu denken. Was wird denn in ein paar Jahren wirklich wichtig sein, wirklich relevant sein? Und diese medizinischen Bedürfnisse versuchen wir dann anzugehen. Ich denke, ein ganz schönes Beispiel bei uns ist die HIV-Forschung. In die sind wir früh hineingegangen. Und sind auch dort geblieben, als ganz viele Unternehmen auch wieder rausgegangen sind.
Kassel: Ein ganz unschönes Beispiel sind immer Medikamente für die sogenannten Zivilisationskrankheiten, wo viele Pharmaunternehmen ständig neue herausbringen, die keinerlei Nutzen haben, aber viel Geld kosten. Wie können Sie sich das scheinbar erlauben, eben nicht nur auf den Profit zu achten?
Barner: Ich denke, wenn Sie sich den Zugewinn an Lebenserwartung anschauen in den meisten Staaten der Welt, von denen die Hälfte häufig auf das Konto der pharmazeutischen Industrie geschrieben wird, dann ist das schon ein enormer Beitrag. Boehringer-Ingelheim hat sich aber immer ganz klar dank seines Leitbildes dazu bekannt, dass es wirklich Forschung und Entwicklung betreiben will zum Wohle der Menschheit.
Das klingt jetzt sehr hochtrabend, aber das ist wirklich so auch von den Eigentümerfamilien und von der Unternehmensleitung im Leitbild so festgehalten und wird auch so gelebt. Und damit haben Sie natürlich eine langfristige Ausrichtung. Und weil Boehringer-Ingelheim ein Familienunternehmen ist, auch um vielleicht mehr Stabilität, Forschungsprojekte wirklich langfristig anzusetzen, auszurichten und zu Ende zu bringen.
Unternehmen als "Bürger im Staat"
Kassel: Das klingt für mich so, als sei in Ihren Augen eine der Ursachen für das Problem, dass es nicht überall so zugeht, wie Sie es aus Ihrem Unternehmen beschreiben, auch die Tatsache, dass große Unternehmen heute häufig Aktiengesellschaften sind, die eben keiner Familie mehr verantwortlich sind, was Profit und andere Dinge angeht, sondern Controllern, Aktionären?
Barner: Nicht unbedingt. Es gibt eine ganze Reihe großer Unternehmen, die das wirklich sehr gut heute hinbekommen. Ich glaube auch, dass sich in den letzten fünf Jahren sehr viel gewandelt hat, was man vielleicht noch nicht so wahrnimmt und noch nicht so sieht.
Viele Unternehmen fragen sich heute mehr: Was ist die langfristige Erhaltbarkeit des Unternehmens, was müssen wir langfristig tun, und was sind denn die richtigen Haltungen, was sind die richtigen Prinzipien, um ein Unternehmen eben nicht nur wirtschaftlich erfolgreich werden zu lassen, sondern es eben auch als guten, sagen wir mal, Bürger im Staat aktiv werden zu lassen. Und da geschieht sehr viel mehr, wenn man die Unternehmen betrachtet, als wir das vielleicht noch vor fünf, zehn Jahren gedacht haben.
Kassel: Viele Menschen in Deutschland haben aber doch trotzdem immer mehr den Eindruck, es ginge nur noch um den Profit. Soziale Verantwortung, Rücksicht auf die Mitarbeiter, das sei für die großen Unternehmen längst kein erstrebenswertes Ziel mehr. Ist das alles nur eingebildet?
Barner: Wenn ich hier, und das hat mich sehr beeindruckt, gerade hier in Stuttgart, jetzt, wo der Kirchentag stattfindet, die ganzen Familienunternehmen betrachte, kleine, mittlere, große, dann sehen Sie dort eine langfristige Ausrichtung. Natürlich, Familienunternehmen wollen das Unternehmen von einer Generation zur nächsten weitergeben. Aber Sie sehen eben auch ein sehr stark ethisch fundiertes Verhalten, das, glaube ich, in gewisser Weise im Widerspruch steht zu dem, über was wir häufig in der Öffentlichkeit reden. Wir reden naturgemäß häufiger über die Probleme und weniger über das, was gut läuft.
Wenn Sie mal nach Stuttgart kommen und sich anschauen, was hier in dem württembergischen Raum passiert, aber auch in anderen Bereichen Deutschlands, dann, glaube ich, beginnt man das Bild zu verändern. Es gibt leider natürlich immer wieder die sehr eklatanten und sehr zu Recht auch öffentlich gemachten Ausnahmen, aber ich glaube, im Großen und Ganzen ist die Situation eigentlich besser als wir sie wahrnehmen.
Kapitalismus und Christentum
Kassel: Ich glaube aber, dass gerade aufgrund der, wie Sie es nennen, Ausnahmen, die Sie gerade erwähnt haben, es immer mehr Menschen gibt – und ich bin mir ziemlich sicher, diese Menschen werden Ihnen und uns auch auf dem Kirchentag in Stuttgart begegnen, die regelrecht sagen: Kapitalismus und Christentum seien gar nicht vereinbar. Und es gehe deshalb für sie nicht mehr darum, den Kapitalismus zu bändigen, zu verändern, sondern ihn abzuschaffen. Was sagen Sie denen?
Barner: Ich glaube, dass bisher niemand eine wirklich gute Idee hatte, was eine Alternative ist, die tragfähig wäre, zur Sozialen Marktwirtschaft. Wenn wir die Soziale Marktwirtschaft wirklich als Soziale Marktwirtschaft betrachten, dann glaube ich, dass diese Wirtschaftsform viele Möglichkeiten hat. Man hat auch viele Möglichkeiten von der Politik her, aber auch von den Unternehmen her, Leitplanken guter Prinzipien einzuziehen.
Ich glaube, dass das ein ganz starkes Prinzip ist. Der Mensch neigt dazu, glaube ich, selbst etwas machen zu wollen, erreichen zu wollen, und deswegen ist die Soziale Marktwirtschaft sozusagen die Form, in der auf der einen Seite das Machen-Wollen des Unternehmers mit dem "Wo sind die Grenzen, was wollen wir gemeinsam als Gesellschaft erreichen?" zusammenkommen.
Kassel: Aber diese Leitplanken, von denen Sie gesprochen haben, die die Politik da einziehen soll, muss – zieht die deutsche Politik diese Leitplanken richtig ein, gerade auch die christlichen Parteien?
Barner: Ich denke, dass wir insgesamt, wie ich schon gesagt habe, in Deutschland eigentlich in der unternehmerischen Welt besser dastehen, stärker sozial orientiert sind, als das häufig verstanden wird. Ich denke, dass die wirklich schwierige Frage sein wird, wie können wir sicherstellen, dass alle Unternehmen, auch solche, die nicht in Deutschland ihren Hauptsitz haben, dass Unternehmen in anderen Ländern mit den gleichen vernünftigen, sorgfältigen Leitplanken arbeiten? Ich glaube, da gibt es noch offene Fragen.
Signale des Kirchentags
Kassel: Kann denn ein evangelischer Kirchentag Signale aussenden, die von der Wirtschaft, die vielleicht sogar in den Vorstandsetagen der DAX-Unternehmen gehört werden?
Barner: Ich denke, ja. Ich denke, gerade, was die evangelische Kirche, aber auch die katholische Kirche zum Unternehmertum gesagt hat - vor wenigen Jahren unter Bischof Huber einerseits, zum anderen zu Beginn des letzten Jahres auch in der Katholischen Kirche aus Rom heraus. "Zum Unternehmer berufen!" – Ich glaube, diese Signale werden gehört, und gerade der Kirchentag hat die große Chance, das sehr differenziert diskutierend, aber eben konstruktiv auch einzubringen. Ich könnte mir auch durchaus vorstellen, dass es die eine oder andere Resolution dazu geben wird.
Kassel: Andreas Barner, Vorsitzender der Unternehmensleitung des Pharmakonzerns Boehringer-Ingelheim und Präsident des heute beginnenden evangelischen Kirchentags in Stuttgart. Herr Barner, vielen Dank für das Gespräch!
Kassel: Wir werden über diesen Kirchentag, der bis Sonntag dauert, natürlich in unserem Programm immer wieder berichten, haben mehrere Kollegen vor Ort. Wir werden das in verschiedenen Sendungen tun, in den Ausgaben von "Studio 9", aber nicht nur da. Eine Übersicht darüber finden Sie im Internet unter deutschlandradiokultur.de.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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