Gianfranco Calligarich: "Der letzte Sommer in der Stadt"

Melancholischer Abgesang auf die Jugend

05:46 Minuten
Das Cover zeigt eine Schwarz-weiß-Aufnahme eines Mannes im Anzug und mit Sonnenbrille, der rauchend auf einem Treppengeländer sitzt, im Hintergrund sind antike Bauten der Stadt Rom zu erkennen. Das Ganze ist in gelb-bräunlichen Sepia-Farben gehalten, in schwarzer und weißer Schrift sind auf dem Foto Autorenname und Buchtitel zu sehen.
© Zsolnay Verlag

Gianfranco Calligarich

Aus dem Italienischen von Karin Krieger

Der letzte Sommer in der StadtZsolnay, Wien 2022

208 Seiten

22,00 Euro

Von Sigrid Löffler · 03.05.2022
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In diesem wiederentdeckten Roman will sich der fast dreißigjährige Leo als Autor in Rom durchschlagen. Doch der morbide Charme der Stadt und die Liebe verleiten ihn, sich ziellos treiben zu lassen bis die Magie von Frau und Ort verblasst. Ein Meisterwerk.
Der italienische Roman «Der letzte Sommer in der Stadt» erschien erstmals 1973 und verschwand danach aus den Buchläden. Jetzt wird er plötzlich wiederentdeckt und könnte seinem Autor, dem Journalisten und Drehbuchschreiber Gianfranco Calligarich, Jahrgang 1947, vielleicht endlich die Aufmerksamkeit sichern, die er verdient.
Der Roman spielt in den frühen 1970er-Jahren und erzählt eine doppelte Liebesgeschichte – die Liebe zu einer sehr jungen Frau und zu einer sehr alten Stadt: Rom. Der Icherzähler Leo ist erkennbar ein Alter Ego des Autors – ein junger Mann aus Mailand, der nach Rom driftet, in der vagen Absicht, sich dort als Autor durchzuschlagen. Doch der Einstieg als Werbetexter misslingt unverzüglich.

Morscher Zauber Roms schwächt Willenskraft

Der Grund für Leos Scheitern: Er infiziert sich von Anfang an mit dem morbiden Charme Roms und seiner exzentrischen Bewohner. Sein Büro lag in einer Villa, die einem verarmten Grafen gehörte. Dessen Lebensuntüchtigkeit, zur Schau getragen mit adeliger Noblesse, lieferte dem Untermieter Leo das Stilmodell, das er fortan imitiert: ein von Morbidezza angekränkeltes ärmliches Dandytum.
So schwelgt Leo im morschen Zauber Roms, der ihn zugleich berauscht und beglückt, aber auch zermürbt und seine Willenskraft schwächt. Antriebslos versinkt er in einem köstlich melancholischen Nichtstun.

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Er schließt sich einer Clique von ebenso orientierungslosen jungen Leuten an, die am liebsten an der Piazza Navona herumhängen und auch nicht recht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen – lauter gelangweilte Nichtstuer aus dem Halbschatten der urbanen künstlerischen Bohème, die sich durch das Nachtleben der Großstadt treiben lassen und tagsüber entweder faulenzen oder irgendwas mit Medien machen.
Leo liebäugelt damit, Autor oder Drehbuchschreiber zu werden, doch seine Energie erschlafft immer allzu rasch. Stattdessen zieht er es vor, nachts betrunken durch die Bars zu ziehen und die Tage milde verkatert zu vertrödeln.

Roter Faden On-Off-Beziehung

Milieu und Personal dürften Filmfans vertraut vorkommen: Wir kennen diese römische Faulenzer-Fauna aus Federico Fellinis Film "La Dolce Vita" von 1960. Calligarich hat dieses Ambiente 13 Jahre später nochmals in Romanform aufgerufen. Da hatte sich der Zeitgeist aber bereits gewandelt, das Dolce-Vita-Feeling war aus der Mode gekommen.
40 Jahre später liest man den Roman mit anderen Augen und erkennt, wie frisch er sich gehalten hat. Und dies vor allem dank der Liebesgeschichte. Wie ein roter Faden zieht sich die On-off-Beziehung mit einem Mädchen namens Arianna durch Leos römischen Sommer. Sie ist reich, kapriziös und labil. Er verfällt ihrer Jeunesse-dorée-Aura von Lockung und Unnahbarkeit.
Fasziniert von ihren Allüren, zieht er mit ihr durch die Nächte, folgt willig ihren verrückten Einfällen. Wie sich zeigt, verbirgt sich hinter Ariannas nervösem Hang zu unentwegter Selbstdramatisierung eine psychische Störung. Der Reiz ihrer extravaganten Aktionen wird schal, die Magie von Leos Verliebtheit in die Frau und die Stadt verblasst allmählich.

Wiederentdecktes Meisterwerk

Dass bei Leo der Zauberbann bricht, hängt auch mit einem magischen Datum zusammen: Leo wird gerade dreißig. Und das dreißigste Jahr hat eine symbolische Bedeutsamkeit. Der ganze Roman ist durchzogen von den Kommandos des Helden an sich selbst, doch endlich «Segel zu setzen» und sich aufzumachen, denn mit dreißig werde es Zeit, dem provisorischen Herumbummeln einen verbindlicheren Lebensentwurf folgen zu lassen.
Im Rückblick ahnt der Held: Es war der letzte Sommer seines Lebens, in der Dämmerung seiner Jugend. Das macht den Roman zu einer Hymne auf Rom und zugleich zu einem melancholischen Abgesang auf die eigene Jugend. Ein kleines Meisterwerk ist hier wiederentdeckt worden.
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