Generation "Sandwich"

Zwischen Kinderbetreuung und Altenpflege

28:32 Minuten
Eine jüngere Frau schiebt auf einer Gartenterrasse einen Rollstuhl, in dem eine ältere Frau sitzt.
Was tun, wenn ein Elternteil pflegebedürftig wird - aber die eigenen Kinder noch nicht aus dem Haus sind? © imago images / Photocase / David Pereiras
Von Catalina Schröder · 15.07.2019
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Die Kinder sind noch nicht erwachsen, die Eltern bereits hilfsbedürftig: Die Generation "Sandwich" muss sich um beide kümmern – und nebenher auch noch arbeiten. Wie lässt sich diese Dreifach-Belastung stemmen?
Susanne Heyer: "Na Mama, bist du wach? Guten Morgen."
Marieta Heyer: "Guten Morgen."
Susanne Heyer: "Wie geht es dir?"
Marieta Heyer: "Och ja, geht so. Hab meine Sprays jetzt genommen."
Susanne Heyer: "Tabletten hast du schon genommen?"
Marieta Heyer: "Tabletten hab ich schon genommen. Machst du mir einen Kaffee und ein bisschen was zu trinken?"
Susanne Heyer: "Okay. Und du ziehst dich in der Zeit an, ja?"
Marieta Heyer: "Ja, mach ich."
Susanne Heyer: "Ich lass die Tür aber offen, dass du rufen kannst, falls was ist, ja?"
Marieta Heyer: "Ja, na klar."
Susanne Heyer: "Gut. Bis später."
Marieta Heyer: "Okay, mein Kind, bis später."
Es ist Freitagmorgen, kurz nach sieben Uhr, als Susanne ihre Mutter Marieta weckt. Marieta lebt seit sechs Jahren im Haushalt ihrer Tochter und wird von ihr gepflegt. Die 64-Jährige leidet an COPD, einer chronischen Lungenerkrankung, im Endstadium.
"Da ist es dann so, dass die Patienten immer häufiger Lungenerkrankungen beziehungsweise Lungenentzündungen haben und das irgendwann später im Krankenhaus endet. Meistens sterben die Leute dann im Koma, weil die Ärzte die Patienten ins Koma verlegen müssen, damit sie überhaupt irgendwie überleben. Aber meistens können sie die aus dem Koma dann nicht mehr rausholen, weil einfach die Lunge zusammenfällt, Multi-Organversagen nennt man das auch und dann sterben die Patienten. Also es ist selten, dass sie anders sterben."

Überforderung und Überbelastung

Die Krankheit von Marieta verläuft in Schüben. Zurzeit geht es ihr gut. In den vergangenen Jahren war sie aber schon mehrere Male mit heftigen Lungenentzündungen im Krankenhaus. Einmal lag sie für einige Tage im Koma und sogar die Ärzte waren überrascht, dass sie überlebte. Zuletzt war sie Anfang des Jahres für mehrere Wochen bettlägerig.
Autorin: "Wie sieht Euer Tagesablauf aus? Wann stehst Du morgens auf? Wann geht es los?"
Susanne: "Im Moment zieht sie sich alleine an und wäscht sich auch, aber es gibt natürlich auch Phasen wie im Januar, da stehe ich morgens früh um sechs auf, mach mich erstmal fertig, trinke einen Kaffee, damit ich erstmal auf der Höhe bin und dann ist angesagt: waschen, anziehen, eincremen, Frühstück machen, Kaffee machen, Tabletten stellen. Da schafft sie es dann auch nicht aufzustehen. Da sitzt sie dann auf dem Bett, das ist das höchste der Gefühle gewesen."
Für Susanne sind diese Phasen besonders anstrengend, denn sie kümmert sich nicht nur um ihre Mutter, sondern auch um ihre beiden Kinder: Ihr Sohn Danny ist 15, Tochter Luiza ist vier Jahre alt. Zur Familie gehören außerdem Susannes Mann Lukas und dessen 16-jährige Tochter aus einer früheren Beziehung, die die meiste Zeit bei ihrer leiblichen Mutter lebt.
Geht es ihrer Mutter besonders schlecht, kommt Susanne an ihre Grenzen, so wie Anfang des Jahres.
"Also, zu dem Zeitpunkt ist mein Mann dann auch noch auf Seminar gefahren für zwei Wochen. War natürlich der Oberhammer, weil meine Kleine dann zu dem Zeitpunkt auch krank war. Ich bin zwischen Wohnzimmer, wo ich die Kleine deponiert hab, zu Mama gerannt. Nebenbei musste ich noch arbeiten. Ich glaube, ich könnte gar nicht mehr arbeiten gehen, wenn Sie wirklich diesen Zustand permanent hat oder hätte."
Aber auch in guten Phasen kostet die Pflege der Mutter viel Zeit: Susanne wäscht ihre Wäsche, kocht für sie und passt auf, dass die Mutter im Bad nicht ausrutscht, wenn sie sich wäscht. Sie putzt ihr Zimmer, fährt sie zu Ärzten, kümmert sich um sämtliche Anträge an die Pflege- und Krankenkasse, und kauft ein, was für den Alltag nötig ist: vom Rollator bis zum Pflegebett.

Eingeklemmt zwischen Verpflichtungen

Soziologen zählen Menschen wie Susanne zur "Generation Sandwich": Sie sind buchstäblich eingeklemmt zwischen den Verpflichtungen für ihre pflegebedürftigen Eltern und den Bedürfnissen ihrer eigenen, oft noch minderjährigen, Kinder. In den kommenden Jahren wird die Zahl dieser Menschen weiter wachsen.
Die Hauptgründe dafür sind, dass viele immer später Kinder bekommen, während alte Menschen auf Grund des medizinischen Fortschritts immer länger leben und häufig irgendwann pflegebedürftig werden. Dadurch gibt es eine Phase von zehn, 15 Jahren, in der Dinge zeitlich zusammenfallen, die früher getrennt waren.
Inzwischen ist es 7:30 Uhr und bei Susannes Familie ist der Alltag in vollem Gange. Die Familie lebt in einem Einfamilienhaus mit Garten im Speckgürtel von Berlin. Sohn Danny ist schon auf dem Weg zur Schule. Vater Lukas zieht oben im Kinderzimmer Tochter Luiza an. Marieta hat sich mit einem Stapel Kreuzworträtsel auf die Terrasse verzogen und ihre Tochter Susanne steht in der Küche:
Susanne Heyer: "So, warte mal, ich muss mich mal ganz kurz konzentrieren, sonst komm ich durcheinander."
Heyer füllt die Tabletten ihrer Mutter für die nächsten Tage in eine Box. Für jeden Tag gibt es vier Fächer: morgens, mittags, abends und nachts.
Tabletten in einer Plastikbox mit vier Fächern
Große Verantwortung: Das Bestücken der Tablettenbox mit Medikamenten für morgens, mittags, abends und nachts.© imago images / Rene Traut
Autorin: "Was sind das für Medikamente?"
Susanne Heyer: "Sie nimmt auf jeden Fall für die Luft, damit die Lunge sich erweitert, das sind Daxas. Sie nimmt gegen zu hohen Puls Tabletten, zwei Stück. Sie nimmt Magentabletten, sie nimmt harntreibende Tabletten, weil sie im Körper manchmal Wasser ansammelt, und das kann natürlich für die Lunge gefährlich werden. Sie nimmt für die Schilddrüse, weil sie eine Schilddrüsenunterfunktion hat. Das war es. Aber das sind insgesamt fünf Tabletten pro Tag."
Autorin: "Das ist schon eine ziemlich große Verantwortung, die du da hast, oder?"
Susanne Heyer: "Ja, genau."
Autorin: "Wenn du da was falsch machst…"
Susanne Heyer: "Genau, genau. Deswegen dauert das ja auch. Also Viertelstunde, 20 Minuten muss ich mir dafür schon Zeit nehmen, um wirklich zu gucken: Okay, hat sie jetzt alle? Sind die alle korrekt? Ich zähle die dann auch nochmal nach. Deswegen mache auch nur ich es. Also, mein Mann nicht, mein Sohn nicht, keiner, nur ich. Weil ich das sonst nicht verantworten kann, wenn da irgendwas schief geht. Das funktioniert ja nicht."

Zeitdruck ist Normalität

Susanne ist unter Zeitdruck, wie jeden Morgen. Sie betreibt seit zwei Jahren eine kleine Hauswirtschafterfirma mit einer Angestellten: Sie reinigen Büros, kümmern sich aber auch für alte Menschen um den Einkauf oder andere Besorgungen. Gleich muss sie los zu ihrem ersten Kunden.
Susanne: "Also, ich hab eine Hauswirtschafterfirma, schon seit zwei Jahren. Ich hab mich dann selbstständig gemacht, weil ich mir das einfach auch besser einteilen kann. Ich bin natürlich A mein eigener Chef und kann auch mal sagen: Okay, ich komm mal irgendwie einen Tag später oder ich komm mal anders. Ist zwar auch nicht gerade optimal, aber kann man im normalen Job nicht machen."

Wenn Susanne arbeitet, ist ihr Mann Lukas zu Hause und kümmert sich um die Mutter. Alleine gelassen haben sie Marieta schon seit Jahren nicht mehr. Susannes Mann ist als Konditor in einer Großbäckerei angestellt. In der Regel geht er am Nachmittag aus dem Haus und kommt zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens zurück.
Bevor Susanne an diesem Morgen zu ihrem ersten Kunden aufbricht, schaut sie noch kurz bei Tochter Luiza vorbei, die inzwischen im Wohnzimmer auf dem Fußboden sitzt und in einem Notenheft malt. Vater Lukas wird sie gleich in die Kita bringen.
Susanne Heyer: "Na Puppi?"
Luiza: "Mama, guck mal."
Susanne Heyer: "Was hast du denn da gemacht?"
Luiza: "Ich hab da gemalt."
Susanne Heyer: "Guck mal, mein Schatz. Du kannst auch mal an den Tisch gehen. Guck mal, da bist du noch ein bisschen zu klein für. Die Noten, die hier auf der zweiten Zeile sind: also eins, zwei…. die sind blau. Die Note, die auf der ersten Zeile ist, die ist gelb. Und die Note, die unter der ersten Zeile ist, mit dem Stab hier drinnen, die ist rot. Und so musst du die Noten aufmalen, mein Schatz. Guck mal, wie ist die?"
Luiza: "Ja?"
Susanne Heyer: "Was ist das?"
Luiza: "Weiß ich nicht."
Susanne Heyer: "Was ist denn das für eine Farbe?"
Luiza: "Gelb."
Susanne Heyer: "Was ist denn das für eine Farbe hier?"
Luiza: "Blau!"
Susanne Heyer: "Na also!"

Deutschlands größter Pflegedienst

Den Bedürfnissen ihrer Kinder, der eignen Mutter und ihrem Job gleichermaßen gerecht zu werden, fällt Susanne oft schwer.
Autorin: "Gab es schon mal einen Moment, wo du gedacht hast: Ich kann nicht mehr?"
Susanne Heyer: "Na klar, einmal pro Woche mindestens. Besonders dann abends, wenn die Kleine nicht schlafen will. Da merkt man dann schon, dass es ganz schön an die Nerven geht. So in dem Sinne schläft sie ganz gut, aber sie ist abends manchmal noch so aufgekratzt, weil sie nicht ausgelastet ist oder ich gar nicht die Zeit hatte, sie auszulasten. Da kommt man dann schon so an seine Grenzen. Da krieg ich dann auch ein schlechtes Gewissen, weil ich für meine Tochter gar nicht so da sein kann, wie ich es sollte oder wünsche."
Susanne ist mehr oder weniger freiwillig Mitarbeiterin in Deutschlands größtem Pflegedienst: Etwa 4,7 Millionen Menschen – meistens Frauen - kümmern sich regelmäßig um einen pflegebedürftige Angehörigen. Rund 1,8 Millionen sind wie Heyer ganz auf sich gestellt und pflegen ohne professionelle Unterstützung.
Wer das über viele Jahre hinweg macht, leidet irgendwann selbst darunter: Manche bekommen Rückenschmerzen, wenn sie den Pflegebedürftigen häufig heben müssen. Und viele leiden psychisch, weil sie sich vor lauter Sorge um den pflegebedürftigen Angehörigen kaum noch um sich selbst kümmern.
"Das ist auch so ein bisschen, liegt auch so ein bisschen in der Natur der Sache, dass die Menschen, die bereit sind, sich um jemand anderen zu sorgen, sich in dem Moment auch selber ein bisschen zurückstellen. Und deswegen für sich selbst zuletzt sorgen, leider", sagt Imke Wolf.
Sie ist Psychologin und hat 2011 die Online-Beratung "Pflegen und Leben" gegründet. Mit vier Kolleginnen unterstützt sie pflegende Angehörige: in Gesprächen per Videochat oder im schriftlichen Austausch per Mail.
Die Psychologinnen sind "für alle Pflegenden Angehörigen erreichbar, die im Umgang mit ihren Pflegebedürftigen vielleicht Sorgen haben oder Befürchtungen oder auch komische Gedanken", erklärt Imke Wolf: "Und die sich einfach mal schriftlich oder auch per Videochat austauschen möchten, ohne das Haus zu verlassen. Und dann helfen wir dabei, eine neue Sichtweise auf die Probleme zu entwickeln. Indem wir den Ratsuchenden dazu einladen, auch mal dahin zu gucken, wo sie bisher vielleicht noch nicht hingeguckt haben. Wir haben oftmals zum Beispiel Menschen, die jahrelang ihren Partner zu Hause gepflegt haben, oder auch die eigene Mutter oder den eigenen Vater zu Hause pflegen und dann aber irgendwann an diesen Punkt kommen, dass sie merken: Das geht nicht mehr zu Hause. Und wir erlauben den Ratsuchenden zu Hause einfach mal zu durchdenken: Was passiert denn, wenn ich mir den Gedanken erlaube, meine Mutter oder meinen Vater vielleicht doch in einer Senioreneinrichtung betreuen zu lassen? Und alleine dadurch, dass wir erlauben, so etwas auch mal zu denken, helfen wir im Entscheidungsprozess, geben aber keine Ratschläge dabei."

Pflegende Angehörige sind unverzichtbar

Lange Zeit spielten Gesundheit und Wohlbefinden pflegender Angehöriger in der öffentlichen Wahrnehmung und für die deutsche Gesundheitspolitik kaum eine Rolle. Was diese Menschen durchmachten, blieb ihre Privatsache. Das verändert sich nun ganz langsam, denn der Fachkräftemangel in der Pflege ist inzwischen so groß, dass ohne die Arbeit der Angehörigen nichts mehr geht. Auf sie kann die Gesellschaft nicht mehr verzichten, deshalb wird auch ihre Gesundheit immer wichtiger.
In Greifswald läuft ein Pilotprojekt, bei dem Angehörige, die mit einer pflegebedürftigen Person zum Hausarzt gehen, automatisch auch zum eigenen Gesundheitszustand befragt werden. Andreas Westerfellhaus, der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, will darüber hinaus auch den Einstieg in die Pflege eines Angehörigen erleichtern.
"Pflegebedürftigkeit ist ja häufig was, was ganz plötzlich eintritt, so nach dem Motto: Ich besuche meine kranke Mutter im Krankenhaus und der Oberarzt sagt mir: Gut, dass Sie da sind. Nehmen Sie Ihre Mutter mit, Sie können einen Pflegegrad sicherlich beantragen. Dann bin ich von jetzt auf gleich in diese Situation hineingeworfen. Meine Idee daraus ist gewachsen, gerade den Menschen, die plötzlich von Pflegebedürftigkeit betroffen sind, eine Art Co-Pilot an die Seite zu stellen, der genau für diesen Fall denn dann da ist. Ich bin da, um euch durch diesen Dschungel zu begleiten: Wie komm ich jetzt an mein Geld? Wo bekomme ich Unterstützung? Wie komme ich an die Medikamente und so weiter?"

Eine sinnvolle Idee. Aber ob und wann sie Realität werden könnte, ist bislang noch völlig unklar.
Damit Eltern wie Kinder besser auf eine plötzliche Pflegebedürftigkeit vorbereitet sind, rät Westerfellhaus Familien, möglichst früh darüber zu sprechen.
"Was wollen denn meine Eltern, meine Angehörigen, wenn der Fall der Pflegebedürftigkeit denn dann eintritt? Das kann ja auch sehr individuell unterschiedlich sein. Menschen, die sagen: Ich ziehe mich zurück, ich möchte das für mich selbstbestimmt entscheiden. Und andere, die selbstverständlich auf die Unterstützung der Familie setzen. Also, ich will damit nur sagen: Die Möglichkeit einer Pflegebedürftigkeit muss in der Familie diskutiert werden und ich sollte als möglicher Betroffener dann auch artikulieren, was würde ich mir in einem solchen Fall denn dann wünschen und wie können Lösungen aussehen, solange wie ich dann auch noch auf diese Lösungen einwirken kann?"
Andreas Westerfellhaus sitzt bei einer Tagung vor einem Mikrofon
Möglichst früh mit den eigenen Eltern sprechen, rät der Bevollmächtigte der Bundesregierung für Pflege Andreas Westerfellhaus.© picture alliance / dpa / Andreas Gora

Pflegeheim oder Pflege zu Hause?

Susanne: "Hallo Püppi, hallo Püppi!"
Lukas: "Schon wieder der halbe Tag vorbei."
Susanne: "Sag mal, hat es geregnet, oder warum bist du nass?"
Luiza: "Nein, hat nicht geregnet."
Lukas: "Morgen muss ich noch Medikamente abholen, alles haben sie nicht gehabt. Hab ich jetzt erstmal bestellt."
Inzwischen ist es kurz nach 15 Uhr und Susannes Ehemann Lukas kommt mit Tochter Luiza nach Hause. Auch Susanne ist von ihren Kunden zurück.
Autorin: "Was ist der Plan für heute Nachmittag? Was hast du alles auf dem Zettel?"
Susanne Heyer: "Ich trink jetzt meinen Kaffee aus, da ist auch nicht mehr viel drin. Dann geh ich jetzt die Wäsche machen. Ich hab oben schon sortiert, aber es ist noch nicht weggeräumt und manchmal steht es dann auch einen Tag. Ich denk auch: Oh, es ist schon wieder nicht weggeräumt."
Marieta Heyer: "Meine Kiste ist auch schon wieder voll."
Susanne Heyer: "Ja, siehst du – so ist es nämlich. Dann geh ich nochmal durchs Haus und gucke, ob ich was aufzuräumen habe. Also, im Wohnzimmer hab ich schon gesehen, die Decke von der Kleinen liegt noch da und die anderen müssten zusammengefaltet werden. Dann wird das Auto reingefahren, mein Mann mäht Rasen, du machst hier Pool und ich mach mit der Kleinen dann das Auto sauber, das sieht nämlich auch aus wie Sau."
Zeit, um mit ihrer Tochter zu spielen, bleibt an diesem Nachmittag nicht. Der 15-jährige Sohn Danny hat sich wie so oft dem Trubel entzogen und ist mit einem Freund in die Stadt gefahren.
In den vergangenen Jahren wurde der Pflegebedarf von Marieta immer weiter hochgestuft: Insgesamt gibt es fünf Pflegegrade. Marieta hat Pflegegrad 4, der als "schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit" definiert ist. Ihre Mutter in ein Pflegeheim zu geben, ist für Susanne trotzdem unvorstellbar.
"Das ist selbstverständlich, dass ich meine Mutter aufnehme und pflege. Ich verlange es natürlich von meinen Kindern später nicht. Aber die sehen natürlich, dass ich das mache und ich erhoffe mir, dass die sich so ein bisschen ein Beispiel daran nehmen. Aber sie hat mich 18 Jahre lang großgezogen. Das ist selbstverständlich, dass ich das auch mache. Auch wenn es Windeln wechseln ist."

"Pflegeheime wollen sparen"

Dass ein Heim nicht infrage kommt, liegt auch daran, dass Susanne damit so ihre eigenen Erfahrungen gemacht hat.
"Also, ich bin selber gelernte Altenpflegerin, hab auch in Heimen gearbeitet und hab da echt viel mitgekriegt. Ob jetzt nun ambulante Pflege oder Heim, dass ich dachte: Nein, das mach ich nicht. Also, da ich weiß, wie es da abgeht. Das kommt für mich nicht infrage."
Autorin: "Kannst du das für jemanden, der das nicht kennt, erklären? Was ist da so schlimm?"
Susanne Heyer: "Also, erstmal die Zeit, aber das liegt nicht nur daran, dass die keine Zeit haben, weil kein Personal da ist, sondern weil die Pflegeheime sparen wollen. Umso mehr Personal die einstellen, umso mehr Kosten haben sie, ist ja logisch. Also werden die Zeitpläne straff gehalten."
Marieta ist froh, dass ihre Tochter sich so selbstverständlich um sie kümmert.
"Hier fühle ich mich wohl und geborgen und aufgehoben. Man sorgt für mich, ich kann mich nicht beklagen. Ob das im Altersheim, ob das da alles so wäre? Also, ich kann mich glücklich schätzen, dass ich so eine Familie habe."
728 Euro bekommt Susanne jeden Monat von der Pflegekasse dafür, dass sie ihre Mutter zu Hause pflegt.
Autorin: "Gäbe es da irgendwas, wo du sagen würdest: Wenn man das und das verbessern würde, das wär echt eine Hilfe?"
Susanne Heyer: "Würde es mehr Geld geben, könnte ich auch sagen: Ich schraub meine Selbstständigkeit so weit runter, dass ich vielleicht nur noch meine Mitarbeiter arbeiten lasse, und ich nicht mehr arbeite oder vielleicht wirklich nur noch zwei Kunden pro Woche - oder irgendwie sowas habe. Ich glaube, damit wär mir am meisten geholfen."

Müsste sie weniger arbeiten, hätte sie nicht nur mehr Zeit für ihre Mutter, sondern auch für ihre Kinder – besonders für die vierjährige Luiza.

Pflege von Angehörigen als Armutsrisiko

Um all ihren Verpflichtungen einigermaßen gerecht zu werden, arbeitet Susanne nur so viel, wie unbedingt nötig – häufig nur am Vormittag. Was das später mal für ihre Rente bedeutet, ist für sie schon jetzt ein Thema.
"Ich versuche, mir immer Geld zur Seite zu legen für später, beziehungsweise auch zu überlegen mit meinem Mann: Wie machen wir das dann später? Aber es ist natürlich schwierig, es funktioniert nicht immer."
Die jahrelange Pflege von Angehörigen gilt neben der Kindererziehung als einer der größten Risikofaktoren für Altersarmut. Besonders für Frauen, denn Männer pflegen und erziehen noch immer deutlich seltener.
Susanne Heyer: "Meine Mutter kriegt jetzt auch nicht so viel Rente, also im Endeffekt zahlen wir auch viel drauf. Aber ich denke immer: Ich hab auch nur eine Mama, das ist halt so. Wer weiß, wie lange sie noch lebt und…"
Marieta Heyer: "Ja, ja, ich hab sieben Leben. Weißt du doch, denk dran."
Autorin: "Ja. Aber du bist ja auch noch jung, oder? Wie alt bist du?"
Susanne Heyer: "Genau, ich werde 34."
Autorin: "Okay. Da hast du ja noch ein bisschen bis zur Rente."
Susanne Heyer: "Ja, ich kann noch einiges aufholen. Es ist jetzt nicht so, dass da nichts mehr geht. Ich geh ja davon aus, dass ich auch irgendwann die Stunden mal wieder hochschraube, wenn, ja, wie sagt man das so schön: Wenn Mama es geschafft hat. Klar trauert man um den Menschen, aber ich sehe ja auch, wie sie sich jeden Tag so ein bisschen quält. Also, ein bisschen ist gut. Wo ich dann sage: Oh, vielleicht hast du es bald geschafft."
Autorin: "Das ist schon auch Thema bei euch, oder?"
Susanne Heyer: "Ja, es muss Thema sein. Wir versuchen, uns schon seit Jahren drauf vorzubereiten, aber ich glaube, vorbereiten kann man sich gar nicht."
Marieta Heyer: "Haha, und wenn ich mit dem Thema anfange, sagst du immer: So schnell wird nicht gestorben, hör auf."
Susanne Heyer: "Naja, weil ich dir ja auch irgendwie wieder positive…"
Marieta Heyer: "Na, das ist aber eine Tatsache, dass ich irgendwann gehen muss."
Susanne Heyer: "Ja klar, natürlich musst du irgendwann gehen."
Marieta Heyer: "Ich will auch keine 90 werden, sag ich dir ganz ehrlich."

Wenn das Familienleben leidet

Krankheit und Pflegebedürftigkeit haben die beiden Frauen zusammengeschweißt. Selbstverständlich ist das nicht. Häufig leiden pflegende Angehörige so stark unter der Verantwortung und der Belastung, die sie tragen, dass die Beziehung zu ihrem Angehörigen Schaden nimmt. So war es auch bei Annalena Bock. Sie heißt im wahren Leben anders, ist Mitte 40 und lebt mit ihrem Mann und ihrem fünfjährigen Sohn in Norddeutschland.
Bis vor wenigen Wochen hat sie ihre Schwiegermutter gepflegt. Die alte Dame wohnte seit April vergangenen Jahres mit Bocks Familie in einem Haus, wenn auch in einer eigenen Wohnung. Vorher lebte sie mehrere hundert Kilometer entfernt. Schon bei ihrem Einzug war die Schwiegermutter deutlich hilfsbedürftiger, als die Bocks erwartet hätten.
"Was überhaupt nicht mehr ohne Hilfe ging, war Treppensteigen. Was auch nicht mehr ohne Hilfe geht, war so Essenszubereitung, also Kochen, selbst Brot schmieren war schon schwierig, weil sie ihre rechte Hand quasi nicht mehr benutzen konnte und die linke auch völlig überlastet war. Und da sie Rechtshänderin ist, war mit Links natürlich auch vieles schwierig. Und das fing an mit Flaschenöffnen oder auch eine Dose öffnen. Selbst wenn man jetzt sagt: Derjenige kann nicht mehr Kartoffeln schälen, naja, dann macht er sich halt eine Dosensuppe. Nein, sie hat die Dosen nicht mehr aufgekriegt. Brot schmieren, wenn die Butter hart ist, ging nicht. Solche Dinge, das war einfach schwierig, oder Fleisch schneiden – ging auch nicht mehr. Und was dann natürlich auch zunehmen schwieriger wurde, waren so Sachen wie selber anziehen. Hose zumachen, Schuhe zumachen, waren alles Dinge, die schwierig waren."
Gab es anfangs die Absprache, dass die Schwiegermutter ab und zu mit Annalena Bock und ihrer Familie zusammen isst und hin und wieder zu Besuch kommt, wurde sie sehr schnell zum Dauergast. Das hatten sich nicht nur Bock und ihr Mann, sondern auch die Schwiegermutter anders vorgestellt.
"Sie hat große Hoffnungen in den Umzug gesetzt, dass, wenn sie erstmal hier ist, sie uns helfen kann und für uns kochen, und hat dann aber relativ schnell gemerkt: Nein, geht nicht, und auch der Arzt hier kann ihr zwar ein bisschen helfen mit Schmerzmitteln, mit Physiotherapie, aber kann auch nicht zaubern. Und dadurch ist sie in ein großes Loch gefallen und ist in eine ganz schwere Depression gefallen. Und das hat dann die ganze Situation einfach noch verschärft, weil wenn man dann jemanden hier hat, der wirklich ganz viel weint und ganz viel Ängste hat, was alles verständlich ist, aber man kann in dem Moment nicht helfen. Ich konnte ihr die Ängste nicht nehmen. Sie hat eigentlich die ganze Zeit darauf gewartet, dass irgendeiner ihr eine Tablette gibt oder doch nochmal eine OP macht oder was auch immer, und danach ist die Welt wieder in Ordnung."

Die Nerven liegen blank

Sobald sie ihren fünfjährigen Sohn geweckt und angezogen hatte, ging Annalena Bock jeden Morgen als erstes zu ihrer Schwiegermutter rüber – was ihr zunehmend schwer fiel.
"Es war so, dass ich jeden Morgen einmal negative Energie gleich gekriegt habe und das hat bei mir irgendwann tatsächlich auch zu so einer Haltung geführt, dass ich gemerkt habe: Ich will gar nicht mehr nach nebenan, ich will da jetzt nicht rüber."
Annalena Bock war froh, dass sie wegen Rationalisierungsmaßnahmen in dieser Zeit von ihrem Job in einem großen Konzern freigestellt war. Die Doppelbelastung aus Pflege und Kindererziehung war Arbeit genug.

"Da bin ich überhaupt nicht stolz drauf, aber, ich hab tatsächlich viel an meinem Kind ausgelassen und das war eben, als ich das dann irgendwann gemerkt hab, hab ich gesagt: Moment mal, das geht nicht. Ich hab dann angefangen, mein Kind anzubrüllen, weil ich von nebenan kam und schon wieder völlig überfordert war von dem, was ich nebenan gerade alles regeln musste, und der Zwerg dann mit irgendwas dazwischen geschossen ist und mal wieder irgendwas nicht so gemacht hat, wie er soll, was bei fünfjährigen Kindern einfach so ist. Aber ich konnte dann in dem Moment nicht mehr und dann ist es irgendwie auch passiert, dass ich ihn dann angebrüllt habe. "
"Natürlich hat er sich zwischendurch beschwert, dass er gesagt hat: Mama, du schimpfst immer so viel – oder: Mama, schrei mich nicht an. Und das ist schon, das ist schon heftig, wenn man dann irgendwie als Mama gesagt bekommt: Hör auf, mich anzuschreien."
Auch ihre Ehe litt unter Situation.
"Das ist jetzt nicht so, dass wir hier im letzten Jahr die super-harmonische Ehe geführt haben, um das mal kurz zusammenzufassen. Wenn er dann nach Hause gekommen ist, dann hab ich natürlich von ihm auch erwartet: Jetzt kümmere du dich mal, weil: Ich hab schon den ganzen Tag. Und er hatte den ganzen Tag Stress auf der Arbeit und hat dann auch selber gesagt: Ich muss erstmal irgendwie eine halbe Stunde runterkommen. Da hat es auch mehrmals natürlich geknallt."

Spannungen können eskalieren

Schweren Herzens beschlossen Annalena Bock, ihr Mann und auch die Schwiegermutter, dass es so nicht weitergehen kann. Seit einigen Wochen lebt die alte Dame in einem Pflegeheim.
"Eigentlich möchte sie natürlich hier zu Hause sein. Ja, und das ist für sie und für uns unglaublich traurig, dass es halt nicht mehr geht."
Annalena Bock ist zwar erleichtert, kämpft aber hin und wieder auch mit einem schlechten Gewissen.
"Ich weiß halt auch: Es ging nicht mehr und am Ende muss ich auf mich achten und ich bin erstmal für meinen Zwerg verantwortlich und nicht für meine Schwiegermutter."
Annalena Bock hat sich rechtzeitig Hilfe gesucht und damit die Situation für alle Beteiligten entschärft. Simon Eggert vom Berliner Zentrum für Qualität in der Pflege weiß, wie wichtig es ist, bei der Pflege eines Angehörigen für sich persönlich eine Grenze zu ziehen, wenn man merkt: Ich kann nicht mehr. Spannungen können auch schnell eskalieren und in Gewalt in beide Richtungen münden. Eggert forscht mit seinem Team unter anderem zum Thema Gewalt in der Pflege.
Insgesamt dominiert die psychische Gewalt in der Pflege, das heißt es geht um verbale Entgleisungen, Erniedrigungen, Anschreien, Einschüchtern zum Beispiel.
Nur ein Teil von dem, was in der Pflege als Gewalt verstanden wird, ist letztlich auch rechtlich verboten. Das heißt, nicht zulässig ist ein Schluss von dem Begriff Gewalt in der Pflege auf Straftaten oder ähnliches zu ziehen.

Zwölf Prozent haben körperliche Gewalt ausgeübt

In einer Befragung, die Simon Eggert und seine Kollegen durchgeführt haben, gab knapp ein Drittel der pflegenden Angehörigen an, in den vergangenen sechs Monaten mindestens einmal psychische Gewalt angewandt zu haben. Zwölf Prozent hatten sogar körperliche Gewalt ausgeübt und elf Prozent sagten, dass sie ihren Angehörigen vernachlässigt hatten. Simon Eggert geht davon aus, dass diese Zahlen noch deutlich zu niedrig sind.
"Wir haben das da eigentlich aus Forschungssicht mit einem unheimlichen Dunkelfeld zu tun. Es ist auch ein Tabufeld, denn, wenn sie Menschen fragen: Hast du dieses oder jenes getan und Sie ahnen schon: Na, das ist vielleicht nicht so ideal gelaufen, dann haben Sie natürlich auch Sorge, das überhaupt so anzugeben. Und dann bekommt man Ergebnisse, die eigentlich nicht das widerspiegeln, was in der Realität so abläuft."
Ausgeübt wird Gewalt nicht nur von Angehörigen gegenüber Pflegebedürftigen – sondern auch andersherum. Besonders groß ist die Gefahr dafür, wenn der Pflegebedürftige unter Demenz leidet, dadurch häufig verwirrt ist und seinen Angehörigen beispielsweise zeitweise nicht mehr wiedererkennt. Pflegende Angehörige finden in solchen Situationen Hilfe bei Krisentelefonen und spezialisierten Beratungsstellen. Nach Postleitzahlen sortiert sind die beispielsweise in der Beratungsdatenbank des Zentrums für Qualität in der Pflege zu finden.

"Ich hab schon seit Jahren Schlafstörungen"

Susanne Heyer: "Na Mama, liegst du schon im Bettchen?"
Marieta Heyer: "Ja."
Susanne Heyer: "Guckst du noch ein bisschen was?"
Marieta Heyer: "Ja, ich guck noch eine Stunde Fernsehen. Machst du mir noch eine Stulle, Kind?"
Susanne Heyer: "Ja. Brauchst du noch was zu trinken?"
Marieta Heyer: "Nein, hab ich noch, aber du könntest da mal gucken, ob mein Wasser da noch reicht."
Susanne Heyer: "Gut, dann mach ich dir noch eine Stulle. Und umgezogen bist du ja schon, hast du ja schon alleine geschafft."
Marieta Heyer: "Ja. Und ob Lukas mir nachher mal den Eimer, den mal rausbringt."
Susanne Heyer: "Ja, sag ich ihm Bescheid. Gut, ich komm dann gleich, ich geh kurz hoch zu Luiza und bring ihr noch was und dann komm ich runter und mach dir dein Essen, ja?"
Marieta Heyer: "Ja, okay, danke dir."
Für Susanne ist die Arbeit noch nicht ganz vorbei.
"Ich mach ja abends noch Büro, wo ich mich dann auch mit den Kunden noch befassen muss und das und das und das. Rechnungen schreiben, Pläne machen, wie wird gearbeitet. Und dann leg ich mich ins Bett und dann guck ich tatsächlich abends noch ein bisschen Fernsehen. Also das brauch ich, um runterzufahren."
Autorin: "Was guckst du so?"
Susanne Heyer: "Ich weiß nicht, 'Dr. House' – sagt dir das was? Da bin ich voll der Fan von, ich hab echt viel von dem gelernt."
Spätestens um halb neun, kurz nachdem ihre Tochter eingeschlafen ist, macht Susanne dann das Licht aus. Ehemann Lukas ist um die Zeit noch bei der Arbeit in der Konditorei. Als erholsam empfindet Susanne die Nächte schon lange nicht mehr.
"Ich hab schon seit Jahren Schlafstörungen. Also, ich steh auch morgens auf, als wenn ich gar nicht geschlafen hab."
Zu viele Dinge gehen ihr am Abend durch den Kopf.
"Hab ich heut alles erledigt? Hab ich daran gedacht? Hab ich daran gedacht? Früh morgens stehe ich dann schon wie mit so einem PC auf: So, jetzt machst du erstmal das, dann musst du das, dann musst du das machen. Dann hast du noch den Kunden, den darfst du nicht vergessen. Also man funktioniert eigentlich nur noch, so…"
Spätestens um sechs Uhr beginnt für Susanne am nächsten Morgen ein neuer Tag.

Autorin: Catalina Schröder
Sprecher: Adam Nümm
Ton: Andreas Krause
Regie: Frank Merfort
Redaktion: Martin Hartwig

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