Pflege in Deutschland

Mobil im Alter durch die Hausgemeinschaft

Nahaufnahme von den Händen eines alten Mannes, der Schokolade über eine Papayahälfte raspelt.
Schmecken, fühlen, spüren: Die Aktivierung der Seniorinnen und Senioren steht im Pflegeheim Fehlatal an erster Stelle. © imago / Westend61
Von Uschi Götz |
Ein gemütlicher Wohn-Ess-Kochraum mit Kamin, ein Garten mit Beeten und einem Hasenstall: Das Pflegeheim Fehlatal unterscheidet sich stark von anderen derartigen Einrichtungen – weil es sich an den eigentlichen Bedürfnissen seiner Bewohner orientiert.
Was möchten Sie noch erleben? Was ist ihr größter Wunsch? Das sind die ersten Fragen, die ein Mensch hört, der in das Burladinger Pflegeheim Fehlatal auf der Schwäbischen Alb einzieht.
"Besuch von sieben Bewohnern, die unbedingt an den Bodensee wollten, nach Konstanz mit dem Schiff fahren wollten."
Noch mal auf einem Pferd sitzen. Und etwas ausgefallener: ein Fallschirmsprung. Alle diese Wünsche wurden erfüllt. Auch hat ein älterer Herr gelbe Turnschuhe bekommen. Mehr noch:
"Ich habe Dauerkarten beim VfB Stuttgart, im VIP-Bereich, exklusiv mit Essen und allem Drum und Dran. Bei jedem Heimspiel sind vier Plätze für uns reserviert. Da gehen die Mitarbeiter mit Bewohnern dahin. Sie glauben gar nicht, was das auslöst."

Ein Modell, das das Eigentliche ermöglicht

Kaspar Pfister ist Diplom-Verwaltungswirt und war früher bei kommunalen Trägern für den Bereich Soziales und Finanzen zuständig. Mit der Zeit wurde ihm klar: Die ganzen Vorschriften und Auflagen mögen wichtig sein, doch dabei bleibt das Eigentliche auf der Strecke:
"Wir neigen dazu, alles zu verkomplizieren. Je komplizierter, umso kompetenter. Und jetzt ist eigentlich die große Herausforderung, es einfach zu machen. Zu schauen, was brauchen eigentlich die Menschen, auf was kommt es an?"
Am Ende dieser Überlegungen hat er sein eigenes Unternehmen gegründet. Pflegeheime, die sogenannte Hausgemeinschaftsmodelle anbieten. Im Haus Fehlatal etwa gibt es vier Wohngruppen, insgesamt leben zurzeit 57 Bewohner dort, sie werden von rund 100 Mitarbeitern versorgt. Im Vergleich zu anderen Pflegeheimen ist dabei die Fachkraftquote höher.
Von Mitarbeitern begleitet, versorgt sich dabei jede Gruppe nahezu autark. Selbst die Wäsche wird vor Ort gewaschen. Lassen sich so überhaupt vorgeschriebene Hygienevorschriften einhalten? Das musste Pfister zunächst beweisen, er gab deshalb Gutachten in Auftrag. In der Praxis zeigt sich längst:
"Dass wir in dieser Struktur mit den multiresistenten Keimen viel besser klar kommen, als in den klassischen Strukturen."
Ganz nebenbei werden dadurch auch Kosten für einen externen Wäscheservice gespart. Allerdings braucht man entsprechend Mitarbeiter, die die Wäsche versorgen. Diese wiederum sind Ansprechpartner für die Bewohner:
"Dadurch entsteht natürlich eine höhere Personalpräsenz. Aber es ist das, was der Personalschlüssel hergibt. Und damit können wir eine ganz andere Qualität erzeugen."

Auch Sozialhilfeempfänger werden aufgenommen

Mittlerweile gibt es über 30 BeneVit Einrichtungen in fünf Bundesländern, auch ambulante Dienste finden sich darunter. Im Vergleich zu anderen Anbietern ist ein BeneVit -Pflegeheimplatz eher günstiger, auch Sozialhilfeempfänger werden aufgenommen. Entsprechend lang sind die Wartelisten.
Ida Diepold, 88 Jahre alt, liegt in ihrem Bett und strahlt. Was sie erzählt, ist allerdings weniger zum Lachen. Sie lebt schon länger im Haus Fehlatal und musste neulich mit einem Beckenbruch ins Krankenhaus. Dort hielt es die Dame mit den schneeweißen Haaren nicht lange aus:
"Ich war im Krankenhaus und habe mir nichts mehr gewünscht, als hierher zurückgekommen. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder?"
Das freut vor allem auch Dina Kljuco. Die Frau mittleren Alters ist Pflegedienstleitung in dem Haus, ursprünglich kommt sie aus einem Krankenhaus in Bayern. Von der akuten Pflege in die Altenpflege zu wechseln, das gilt meist als Rückschritt. Bei ihr war es eine bewusste Entscheidung. "Hier gibt es eine individuelle, bewohnerbezogene Pflege", sagt sie:
"Mehr Zeit für die Bewohner - auch durch unseren Personalmix, wo wir uns unterscheiden zu den anderen Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern."

Garten mit Beeten und einem Hasenstall

Draußen im Garten sind Gemüse- und Kräuterbeete zu sehen, eine Bewohnerin versorgt gerade die Hasen im Stall. Die Mitarbeiter hier werden alle übertariflich bezahlt, doch das Geld allein ist es nicht. Selbstkritisch geht die Krankenschwester mit ihrem Berufsstand ins Gericht:
"Wir jammern viel, sind aber nicht bereit irgendwelche Veränderungen selber zu finden. Man kann wirklich viel selber machen. Ich war wirklich lange in der Pflege, habe viel Erfahrung, aber so ein Konzept habe ich erst hier erfahren. Und dann fragt man sich als erfahrene Krankenschwester: Wieso haben wir das früher nicht auch so gemacht?"
Veränderungen im Bereich der Pflege seien durchaus möglich, sagt sie, doch in den Köpfen der Pflegenden müsse endlich auch ein Umdenken stattfinden.
Eine ältere Dame kommt den Gang entlang, es ist kurz vor elf Uhr, sie ist gerade erst aufgestanden. "Hier dürfen alle schlafen, so lange sie wollen", erklärt die Pflegedienstleiterin. Auf dem Weg in Richtung Wohngruppe Färberstüble bellt hinter einer Tür ein Hund.
"Bei uns dürfen Mitarbeiter oder Angehörige einen Hund mitbringen, wird auf Hygiene geachtet. Die Bewohner freuen sich."
Ein bisschen verrückt geht es hier schon zu. So steht ein Bobby-Car in einer Ecke, ein Vehikel für Kleinkinder. "Nein, das ist nicht für die Bewohner", sagt Dina Kljuco lachend und ergänzt: Die Mitarbeiter können jederzeit ihre Kinder mitbringen:
"Die Kinder dürfen mit den Bewohnern mitspielen, Essen, Fernsehgucken ..."

Wohn-Ess- und Kochraum als Herzstück der Wohngruppe

Das Herzstück einer jeden Wohngruppe ist ein großer Wohn-Ess- und Kochraum. Kuschelig eingerichtet mit einem großen Kaminofen in der Mitte.
Wohnzimmer im Pflegeheim Fehlatal mit alten Sesseln, Kronleuchter und Kaminholz
Alte Sessel, Kronleuchter und Kaminholz: Wohnzimmer im Pflegeheim Fehlatal© Uschi Götz
"Da hat Herr Pfister auch sehr lange gekämpft, bis es mit der Brandschutzverordnung ... , bis wir das alles durchgekriegt haben."
An drei großen Tischen sitzen einige Bewohner, auf der anderen Seite stehen Sessel, ein Sofa, auch ein großer Fernseher. Gleich daneben ein Schreibtisch. In direkter Nachbarschaft zu den Bewohnern erledigen die Pflegefachkräfte die Büroarbeit. Es gibt keine Stationszimmer.
"Heute gibt es bei uns Hackfleischtopf russischer Art mit Lauch und Schmand."
Eine jüngere Pflegehelferin kocht gerade. Dabei hat sie die ganzen Bewohner im Blick. Was gekocht wird, beschließt jede Wohngruppe für sich. Wer von den Bewohnern kann, geht dann zum Einkauf auf den Markt mit.
Überall riecht es jetzt nach Lauch. Schmecken, fühlen, spüren. Bei allem, was in dem Haus gemacht wird, geht es darum, die Bewohner zu aktivieren. Die letzte Lebensetappe soll nicht das Warten auf den Tod sein. Für diese bessere Welt muss Inhaber Pfister oft kämpfen. Es geht um Kaminöfen, um Wäschewaschen in den Wohngruppen, aktuell auch um die Größe der Zimmer in den Pflegeheimen. Bisweilen zieht er auch vor Gericht. Ein wenig Resignation klingt bei ihm deshalb durch:
"Es bleibt nur noch ein minimaler Gestaltungsspielraum, um tatsächlich neue Wege zu gehen. Alle finden diese stationären, klassischen Strukturen nicht gut, aber sie werden immer mehr zementiert. Und jetzt glaubt man, mit Quadratmetern und Zentimetern würde man Qualität erzeugen. Das ist der totale Irrsinn, es wird das Gegenteil erzeugt. Es wird dokumentiert, es wird genau gemessen, und man kümmert sich um die Strukturen und um den Prozess. Und um den Bewohner? Und um den Menschen? Der bleibt einfach auf der Strecke."
Mehr zum Thema