Gehirnforschung

Selbstdisziplin und das lässig-gute Leben

Ein Stück Torte steht auf einem Teller.
Freiheit ist, nicht jeder Versuchung nachgeben zu müssen, sagt der Autor Joachim Bauer. © Jan-Martin Altgeld
Von Susanne Billig · 21.04.2015
Impulse zu spüren, ihnen aber nicht nachgeben zu müssen: Das ist für den Neurobiologen, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer Freiheit. In seinem Buch "Selbststeuerung - Die Wiederentdeckung des freien Willens" führt er Forschungsergebnisse dieser Disziplinen zusammen - allerdings teilweise etwas holprig.
Die Fähigkeit, sich selbst zu disziplinieren, ist nicht der Feind des lässig-guten Lebens. Das Gegenteil arbeitet der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer in seinem neuen Buch "Selbststeuerung" überzeugend heraus: Momente gelungener Selbstlenkung – eine Prüfung zu bestehen, ein sportliches Ziel zu erreichen – bergen nicht nur einen hohen Lustfaktor, sie bilden sogar den Kern positiver Selbsterfahrung und Sinnhaftigkeit. Unfrei sind Menschen und Kulturen nicht, wenn sie verzichten können, sondern wenn sie jeder Versuchung nachgeben müssen.
Sein Thema spielt Joachim Bauer auf vielen Ebenen durch. Zunächst zeigt er, wie stark die Architektur des Gehirns Selbststeuerung und Empathie miteinander verschränkt – beides gehört zusammen. Kinder sind darauf angelegt, Selbststeuerung zu erwerben, gelingen kann dies aber nur in sozialen Situationen.
Weitreichende Auswirkungen auf die Lebensfreude
Gern nutzt der Autor Gelegenheiten zur sozialpolitischen Kritik: Wer Kinder abspeist mit den Instant-Gratifikationen der Warenwelt, wer Kindertagesstätten so schlecht ausstattet, dass einzelne Kinder kaum noch persönliche Aufmerksamkeit erfahren, betrügt sie tatsächlich darum, die biologischen Strukturen des Gehirns auszubilden, die später dafür notwendig sind, die Möglichkeiten des Lebens umfassend auszuloten. Denn genau darin besteht für Joachim Bauer Freiheit: Impulsives Begehren und kreative Impulse, an denen nichts Schlechtes ist, spüren zu dürfen und zu können und gleichzeitig in der Lage zu sein, sie mit übergeordneten eigenen Zielen und den Vorstellungen seiner Mitmenschen in ein dynamisches Gleichgewicht zu bringen.
In dieser Weise führt Joachim Bauer neurobiologische Forschungsergebnisse aus der Isolation heraus, in die einige Hirnforscher das Fach manövriert haben, und webt sie wieder gründlich in eine Wissenschaft vom ganzen Menschen ein, in Psychologie und Soziologie. Wie fruchtbar das ist, zeigt der Reichtum seiner Überlegungen, die sich leicht und natürlich aus dieser Haltung ergeben. Das reicht bis hin zu Medizin und Gesundheitssystem: Die Fähigkeit zur Gestaltung der inneren psychischen Landschaft hat nicht nur weitreichende Auswirkungen auf Lebensstil, Lebensfreude und Lebenserwartung, sie spielt auch eine entscheidende Rolle für die von der Schulmedizin so sträflich vernachlässigte psychische Kompetenz von Patienten, Krankheiten zu bewältigen.
Sachbuch, Ratgeber und Essay
Auch sein jüngstes Buch präsentiert Joachim Bauer mit der ihm eigenen wunderbaren sprachlichen Klarheit. Dass er seine Fachliteratur gründlich studiert hat, zeigt sich an dem umfangreichen Fußnotenapparat, in den er spannende fachliche Erörterungen auslagert. Leider lässt der Wunsch nach Verständlichkeit das Buch in etlichen Passagen allzu luftig und wenig geschlossen erscheinen. Auch die vielen Genrewechsel – Sachbuch, psychologischer Ratgeber, philosophischer Essay – gelingen streckenweise eher holprig. Vielleicht wäre dieser ansonsten hervorragende Autor, dessen inhaltliches Anliegen nur unterstützt werden kann, gut damit beraten, etwas seltener, dafür präziser zu publizieren.

Joachim Bauer: Selbststeuerung. Die Wiederentdeckung des freien Willens
Blessing Verlag, München 2015
240 Seiten, 19,99 Euro

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