Redaktion: Gerhard Schröder
Regie: Stefanie Lazai
Technik: Alexander Brennecke
Sprecherin: Ilka Teichmüller
Sprecher: Robert Frank und Robert Levin
Gefangenenarbeit
Häftlinge können zur Arbeit verpflichtet werden. Arbeitnehmerrechte genießen sie nicht. © picture alliance / Armin Weigel / dpa / Armin Weigel
Lohndumping hinter Gittern
30:11 Minuten
Mehr als die Hälfte aller deutschen Gefängnisinsassen macht eine Ausbildung oder arbeitet. Auftraggeber sind auch private Firmen. Der Lohn liegt bei maximal drei Euro pro Stunde. Ob das zulässig ist, entscheidet demnächst das Bundesverfassungsgericht.
Vor dem Büro von Meister Torben Klopsch steht ein Metalldetektor, drinnen zwei Schreibtische, eine Sitzecke mit Kaffeemaschine, vergitterte Fenster. An einer Wand hängt das ausbruchsrelevante Werkzeug: Eisensäge, Feile, Metallbohrer, Cutter-Messer, außerdem gibt es Flex und Tigersäge. „Wenn das rausgenommen wird, müssen die Gefangenen Namensschilder hinhängen und Bescheid sagen: Wir nehmen das mit“, sagt Klopsch. Nachher werde das Werkzeug auf Vollzähligkeit überprüft.
Klopsch ist stellvertretender Betriebsleiter der Instandhaltung in der Justizvollzugsanstalt Neumünster in Schleswig-Holstein. In seine Werkstatt gelangt man durch eine Tür im Erdgeschoss. 460 Haftplätze gibt es in den mehrgeschossigen Klinkerbauten. Neumünster ist die zweitgrößte Anstalt in Schleswig-Holstein und die zentrale Ausbildungsstätte hinter Gittern. Die Inhaftierten sitzen zwischen einem und acht Jahren ab.
Ausbildung und Resozialisierung
„Wir arbeiten viel in der Anstalt“, sagt Yvonne Radetzki. Sie ist Vorsitzende der Bundesvereinigung der Anstaltsleiter und Anstaltsleiterinnen im Justizvollzug und leitet die JVA Neumünster. „Hier finden Klempnerarbeiten statt, Bastelarbeiten. Wir haben unsere Abkantbank, die Blechschere, unsere großen Bohrmaschinen.“ Meist handele es sich dabei um Auftragsarbeiten von außen. „Das können Sie auch. Zum Beispiel, wenn Sie sagen, Sie möchten eine Schornstein Einfassung haben, dann müssen Sie das hier beantragen. Dann schicken Sie eine Zeichnung mit. Dann wird das hier von unseren Leuten gebaut.“
Auf dem Weg zu den Betrieben kommt ihr gerade eine Gruppe Gefangener aus der Schlosserei entgegen. Es ist Mittagspause. Die Gefangenen rücken zum Essen aus. Vorher werden alle mit einem Metalldetektor überprüft. „Hier sind jetzt die neueren Werkstattgebäude – und hier ist überall Ausbildung“, zeigt Radetzki. Schlosserei, Maschinenbau, Tischlerei. „Dann haben wir da hinten noch Trockenbau und Maurer.“
Gefangene gelten nicht als Arbeitnehmer
In Deutschland arbeiteten zum Stichtag 31. März 2020 mehr als 34.000 Inhaftierte. Das ist mehr als jeder zweite Gefängnisinsasse. Offiziell befinden sie sich in einer Resozialisierungsmaßnahme und gelten daher nicht als Arbeitnehmer, auch wenn sie rund 30 Stunden pro Woche arbeiten. Das heißt, die Arbeit wird ihnen zugewiesen. Einen Arbeitsvertrag bekommen sie nicht. Die einschlägigen Schutzrechte gelten für sie nicht.
„Wir testen jeden Gefangenen oder führen ein Profiling am Anfang der Haft durch und gucken, was er bisher gemacht hat“, erklärt Anstaltsleiterin Yvonne Radetzki. „Wenn er keinen Schulabschluss hat, dann würden wir gucken, dass er hier einen Schulabschluss absolvieren kann. Hat er einen Schulabschluss oder vielleicht auch schon eine Ausbildung, dann würde er wahrscheinlich in einem der Betriebe eingesetzt werden.“
Als Subunternehmer für externe Unternehmen
Es gibt verschiedene Arten von Betrieben hinter Gittern, zum Beispiel Hausbetriebe, die sich um die Instandhaltung des Gefängnisses kümmern – wie der von Torben Klopsch. Auch die Küche und die Wäscherei zählen in der Regel dazu. Außerdem gibt es die Eigenbetriebe. „Da werden Gefangene eingesetzt, um zum Beispiel für die Anstalt oder auch für externe Unternehmen etwas herzustellen.“ Das heißt, als Subunternehmer für ein externes Unternehmen. „Vorwiegend ist es aber eher so, dass wir für uns fertigen – also nicht nur für die Anstalt, sondern auch für andere JVA im Land oder auch in anderen Bundesländern, zum Beispiel Haftraummobiliar.“ Je nach Bundesland stellen die Gefangenen Möbel für sämtliche Behörden in einem Bundesland her.
Dann gibt es noch die sogenannten Unternehmerbetriebe. Das sind häufig ganze Werkhallen, in denen die Gefangenen für private Unternehmen arbeiten. Ein beliebtes Beispiel für Schleswig-Holstein ist die Herstellung der Plopp-Verschlüsse der Flensburger Flaschen.
Knapp zwei Euro Lohn pro Stunde
Auch Sascha war in der JVA Neumünster inhaftiert. Ich treffe ihn im Juni 2020 in der Resohilfe Lübeck, einer Hilfseinrichtung für Haftentlassene. Er war wenige Monate zuvor entlassen worden und fand danach keine Wohnung. Er kam bei der Resohilfe unter, um nach der Haft in Ruhe sein Leben zu sortieren. In der JVA Neumünster hatte er als Werkzeugschleifer gearbeitet. „Ich weiß, dass in der Schlosserei ganz viele Grills hergestellt werden aus Edelstahl. Ich nehme an, dass da auch viele private Bestellungen sind“, erzählt er. „Ansonsten haben wir auch für ortsansässige Metallverarbeitungsbetriebe, auch für anderen Schlossereien produziert: verschiedenste kleine Teile, ganz unterschiedlich.“
Sascha hat mir seine Lohnscheine aus der JVA Neumünster gezeigt. Für die Arbeit in dem Gefängnisbetrieb hat er pro Minute 3,32 Cent verdient. Bei einem im Gefängnis üblichen Arbeitstag von sechseinhalb Stunden kommt er mit Zulagen auf knapp 19,50 Euro. „Ich weiß natürlich nicht, wie die Gesamtbilanz des Betriebes in der JVA aussieht“, sagt er. „Aber ich für meinen Teil kann sagen: Ich habe genauso engagiert gearbeitet wie draußen und konnte auch mit den Maschinen genauso viel schaffen wie draußen.“
Mindestlohn gilt für Häftlinge nicht
Der Mindestlohn lag während seiner Haftzeit bei 9,35 Euro. Doch der gilt nicht für Gefängnisinsassen. Sascha bekam knapp zwei Euro pro Stunde. Warum verdient ein Facharbeiter in Haft für die gleiche Arbeit so wenig? „Es ist schwierig zu vergleichen mit draußen“, sagt Sascha. Ich habe ganz am Anfang die Einstellung gehabt, dass das ein Hungerlohn ist. Es ist ja noch nicht mal Minimallohn. Das kriegen Leute, die draußen irgendwie Müll sammeln gehen als Zwangsmaßnahme – und das als Facharbeiter.“
Auch Florian, der in wenigen Wochen aus der JVA Neumünster entlassen werden könnte, verdient weniger als drei Euro pro Stunde. Er arbeitet während seiner Haftzeit im Betrieb von Torben Klopsch und macht dort neben der Arbeit seinen Meister. Er habe als Geselle einen Minutensatz von 3,41 Cent, also 2,70 Euro die Stunde. „Ich bin schon ein Gutverdiener“, sagt er, „weil ich Geselle bin und eine ziemlich hohe Prozentzahl habe, bin ich knapp bei 420, 440 Euro netto im Monat.“
Das ist weniger, als der Regelsatz bei Hartz 4. Würde jemand draußen für diesen Lohn ohne Vertrag rund 30 Stunden arbeiten, wäre das vermutlich ein Fall für das Arbeitsgericht. Doch für Gefängnisse ist das gesetzlich so festgelegt. Laut den Strafvollzugsgesetzen der Bundesländer erhalten Inhaftierte neun Prozent der sogenannten Eckvergütung, einem Durchschnittswert der Rentenversicherung. Er wird aus den Einkommen aller Versicherten berechnet.
Immerhin – etwas Sinnvolles machen
Heraus kommen Stundenlöhne zwischen einem und drei Euro, je nach Qualifikation. Viele Gefangene sind dennoch froh, arbeiten zu können, so wie Sascha. „Die Arbeit hat mir einfach geholfen, den Tag schnell rumzukriegen. Ich habe etwas Sinnvolles gemacht. Ich habe noch Geld dazuverdient, wenn es auch nicht viel war. Das war so mein Hauptziel.“
Tatsächlich sind Inhaftierte, die tagsüber keiner Arbeit nachgehen, größtenteils in ihrer Zelle eingeschlossen, sagt Anstaltsleiterin Radetzki, „und was ist denn die Alternative? Muss man ja auch mal ganz ehrlich sagen. Soll der Gefangene, ich sage es jetzt mal ganz unverhohlen, auf dem Haftraum verschimmeln? Das will man ja auch nicht. Er soll ja sinnvoll den Alltag gestalten. Darum geht es ja. Er soll ja auch sinnvoll lernen, dass man mit normaler Arbeit, ohne dass man eben vielleicht illegale Geschäfte tätigt, auch seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.“
Zwangsarbeit ist im Gefängnis erlaubt
Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum Gefangene zu Niedriglöhnen arbeiten: Sie haben keine Wahl. Zwangsarbeit im Gefängnis ist laut Grundgesetz ausdrücklich erlaubt. In zwölf Bundesländern sind Gefangene gesetzlich zur Arbeit verpflichtet. Weigern sich die Gefangenen, können die Gefängnisse Disziplinarmaßnahmen verhängen. Dann ist zum Beispiel der Fernseher für ein paar Wochen weg.
Arbeit ist aus Sicht des Staats das wichtigste Resozialisierungsinstrument hinter Gittern. Die Idee: Wer in Haft gelernt hat zu arbeiten oder es wenigstens nicht verlernt hat, der kann auch nach seiner Entlassung für seinen Lebensunterhalt aufkommen – und wird nicht wieder straffällig. Sascha hätte das nicht gebraucht, sagt er. „Was den Job angeht, da ging es drinnen wie draußen weiter, genauso wie vorher auch. Aber, ob ich jetzt im Knast gearbeitet hätte oder nicht, das war völlig unabhängig von meinem Willen, nicht wieder straffällig zu werden.“
In der Begründung für das schleswig-holsteinische Resozialisierungsgesetz steht, die Arbeit in Haft solle den Gefangenen den Wert von Arbeit vermitteln. Kann das gelingen, zumal bei dem Lohn? Die Leiterin der JVA Neumünster, Yvonne Radetzki, ist skeptisch. „Wenn jemand arbeitet und merkt, dass er am Ende des Monats nur wenig Geld bekommt, dann wird er sich das über kurz oder lang überlegen, ob er dann dieser Arbeit weiter nachgeht oder ob er lieber etwas wählt, womit er mehr Geld verdient. Das können auch gleich wieder illegale Dinge sein.“
Ob Arbeit den Gefangenen bei der Resozialisierung hilft, lässt sich nur schwer überprüfen. Studien dazu gibt es nicht. Wie viele Entlassene hinterher einen Job bekommen, weiß auch Yvonne Radetzki nicht. Sascha hatte sich schon aus der Haft heraus auf Stellen beworben. Er wollte wieder in seinem alten Beruf als Zerspanungsmechaniker arbeiten. Da habe es aber überall Absagen gegeben. „Ich habe auch ganz viele Adressen vom Arbeitsamt bekommen, wo ich mich gemeldet habe: 99 Prozent Absagen, weil ich in meinem Lebenslauf stehen habe, dass ich inhaftiert war, weil ich einfach offen damit umgehen möchte. Ich möchte mir nicht irgendeine Geschichte ausdenken für diese Lücke im Lebenslauf. Wenn es später rauskommt, werde ich rausgeschmissen. Davon habe ich auch nichts.“
„Eine finanzielle Strafe“
Über eine Treppe nach unten und durch mehrere Türen gelangt man zum Besucherraum der bayerischen JVA Straubing. Die JVA Straubing ist ein Hochsicherheitsgefängnis. Hier sitzen Männer zum Teil lebenslängliche Haftstrafen ab. Auf dem Gelände befinden sich nicht nur mehr als 800 Haftplätze, sondern auch große Werkhallen, in denen Großkonzerne wie BMW und der Turbinenhersteller MTU Gefangene für sich arbeiten lassen. Ein Bediensteter führt in einen fensterlosen Besuchsraum mit Holztisch.
Durch eine zweite, gegenüberliegende Tür mit Sichtfenster wird Peter Roth hereingeführt. Der 62-Jährige Glatzkopf reicht zur Begrüßung die Hand und legt einen vollen Aktenordner auf dem Tisch ab. Vier Jahre hat Roth für MTU gearbeitet. „Sie müssen sich vorstellen: eine riesige Halle, in der große Fertigungsmaschinen stehen. Fräsmaschinen, Drehmaschinen, Schleifmaschinen“, erzählt er. „Dann gab es in einem separaten Bereich Schweißereiarbeiten. In einem anderen separaten Bereich war die Werkzeuginstandsetzung, da wurden Bohrer geschliffen. Das ganze Betriebsgelände, das nach meiner Zeit immer vergrößert und erweitert wurde, das sind bestimmt einige 1000 Quadratmeter.“
Gefängnisleben sei nicht billig
Gute Arbeit hätten er und seine Kollegen in den Werkshallen geleistet, zu einem Stundenlohn von nicht einmal zwei Euro. Das empfindet er zusätzlich zum Freiheitsentzug als eine weitere Strafe, zu der er nicht vom Gericht verurteilt wurde. „Das ist eine finanzielle Strafe. Wir haben ja diese Schuldenregulierung oder diese Opferentschädigung oder Unterhaltsleistungen zu zahlen. Wir wollen auch hier im Gefängnis ganz normal leben können.“ Denn das Gefängnisleben sei nicht billig. „Wenn wir einkaufen dürfen, dann gibt es nur einen Anstaltskaufmann. Der ist meist über Jahre hinweg in der Anstalt vorgesehen.“ Dieser habe ein Monopol.“
Dinge des täglichen Bedarfs müssen sich Gefangene selbst kaufen. Dafür bekommen sie vom sogenannten Anstaltskaufmann eine Liste mit Produkten, die sie bestellen können. In den meisten Gefängnissen in Deutschland bestellen die Gefangenen bei der Firma Massak. Die habe jetzt, im Zeitpunkt von September bis 2018 bis April 2022 ihre Preise um 16 Prozent erhöht. „In der Zeit sind die Gefangenenlöhne um acht Prozent gestiegen, 1,06 Euro.“
Peter Roth hat gegen den niedrigen Lohn geklagt. Erst vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts in Straubing, dann in nächster Instanz vor dem Oberlandesgericht in Nürnberg. Als beide Gerichte seine Beschwerde ablehnten, wandte er sich an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Justizvollzug ist Minusgeschäft
Es ist nicht seine erste Verfassungsbeschwerde. Die Aktenzeichen seiner sechs Verfahren in Karlsruhe kann er aufsagen, ohne einen Blick in den dicken Ordner neben ihm zu werfen. Einige Verfahren hat er gewonnen. Das aktuelle könnte sein größtes sein. „Die Firmen zahlen auch ordentlich. Nur die Anstalt gibt eben nichts her.“, sagt er. „Wenn dieses Geld an uns fließen würde, dann hätten wir ordentliches Geld. Dann könnten wir auch für alle anderen Kosten aufkommen. Aus dem Grund, denke ich, war diese Verfassungsbeschwerde dringend nötig.“
Zuständig für eine Lohnerhöhung bei den Strafgefangenen sind die Bundesländer und ihre Justizministerien. Doch dort sah man bislang offensichtlich keinen Anlass zum Handeln. Die Gefängnisse sind für die Landeshaushalte jetzt schon Minusgeschäfte. Der Justizvollzug koste das Land Bayern im vergangenen Jahr rund 500 Millionen Euro, teilt das Justizministerium in München mit. Demgegenüber stünden Einnahmen von knapp 35 Millionen Euro, die die Gefängnisse mit der Gefangenenarbeit erzielen.
Eine Lohnerhöhung lehnt das Ministerium aus einem weiteren Grund ab. Die Gefangenen hätten weniger Ausgaben als jemand draußen. Sie müssten zum Beispiel keine Miete zahlen. „Man könnte jetzt natürlich sagen: Das ist ja schon eingepreist in dem niedrigen Arbeitsentgelt“, sagt dazu Kirstin Drenkhahn. Sie ist Professorin für Strafrecht und Kriminologie an der Freien Universität Berlin und forscht zum Strafvollzug. „Aber andererseits ist es eben draußen auch so, dass ich von meinem Gehalt das erst einmal abführen muss. Mein Arbeitgeber behält nicht die Miete ein oder so etwas. Wenn ich mit Geld umgehen können soll, dann zählt eben auch dazu, dass ich weiß: Wie viel verdiene ich im Monat? Welche Ausgaben habe ich davon zu berappen?“
Sind Gefangene weniger produktiv?
Gefangene seien weniger produktiv als Menschen, die draußen die gleichen Jobs verrichteten, argumentiert das bayerische Justizministerium. Es beruft sich dabei auf eine Studie aus den 90er-Jahren, wonach die Produktivität der Gefangenen im Vergleich bei lediglich 15 bis 20 Prozent liege. Die wenigsten Gefangenen seien hochqualifiziert. Dazu kämen immer häufiger Sprachprobleme.
Peter Roth will das Argument, dass Gefangene weniger produktiv seien, nicht gelten lassen. Die teils jahrzehntelange Zusammenarbeit zwischen Gefängnissen und privatwirtschaftlichen Auftraggebern beweise das Gegenteil. „Wenn die Firma BMW, die hier Teile verpacken lässt, bei der Ausgabe der Teile ständig Reklamationen hätte, weil die zu wenig sind oder falsch gepackt oder vertauscht, dann würde so ein Premium-Hersteller wie BMW sagen: Meine Herren, tut mir leid, das geht nicht mehr! Das können wir uns nicht leisten, als hochqualifizierter Fahrzeughersteller so schlechte Qualität zu liefern.“ Das sei aber nicht der Fall. „Diese Firma ist seit vielen, vielen Jahren hier, einfach deshalb, weil wir gute Arbeit machen.“
Manche Bundesländer werben mit dieser guten Arbeit auf ihren Websites um private Unternehmen. Baden-Württemberg zum Beispiel und auch Bayern und Schleswig-Holstein preisen ihre Gefängnisbetriebe als verlängerte Werkbank an, mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Mehr als ein Drittel der Gefangenen in Baden-Württemberg, Niedersachsen oder dem Saarland arbeitet für ein privatwirtschaftliches Unternehmen. In Bayern kommen auf einen Insassen in Ausbildung vier Inhaftierte, die für ein Unternehmen arbeiten.
Weiterbildung statt einfacher Tätigkeiten
Dass es auch anders geht, zeigen die Beispiele aus Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern oder Bremen. Dort arbeitet nicht einmal jeder zehnte Gefangene für ein privates Unternehmen. Hier liegt der Schwerpunkt stärker auf Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Das zeigt eine Statistik des Bundesjustizministeriums.
Es sei bedenklich, wenn es einen hohen Anteil an Arbeit in Unternehmerbetrieben gebe, sagt die Kriminologin Kirstin Drenkhahn, „weil das ganz häufig einfache Verpackungsarbeiten und so weiter sind. Von denen hat man nichts als Person, die das macht.“
Um Firmenaufträge werben
Auch in Sachsen bewerben sich Gefängnisse aktiv um Aufträge aus der Privatwirtschaft. Im Oktober 2020 lädt das sächsische Justizministerium mit einem regionalen Unternehmerverband zum Unternehmenstag in die JVA Dresden ein. Nach einem Vortrag zu den Angeboten der JVA werden die Besucherinnen und Besucher durch hohe Werkshallen geführt.
Neben den Firmenvertreterinnen ist auch die sächsische Justizministerin Katja Meier von den Grünen zu dem Rundgang gekommen. „Es gibt einige Kooperationen mit Unternehmen von außerhalb in mehreren Anstalten. Das wollen wir aber auf jeden Fall auch ausbauen“, sagt sie. „Die Anstalt hier in Dresden hatte die meisten Kooperationen mit Unternehmen, die von außerhalb hier fertigen lassen. Genau solche Unternehmenstreffen sollen natürlich dazu dienen, einerseits auch eine Hemmschwelle zu nehmen und eben auch zu zeigen, was es hier für Möglichkeiten gibt.“
Schätzungsweise 1000 Firmen kooperieren
Die sächsischen Gefängnisse geben sich unternehmerfreundlich. Nur reden sie nicht gerne darüber, mit welchen Unternehmen sie zusammenarbeiten. Welche Firmen hinter den Mauern tätig sind, diese Information erfährt auch die Opposition im Landtag nur mit Zustimmung der Unternehmen. „Das sind ja auch Unternehmen, die hier ganz klar in der Region angesiedelt sind. Es ist natürlich für den Mittelstand vor Ort auch eine Möglichkeit, vor Ort zu fertigen und eben nicht in andere Länder outzusourcen. Es ist schon auch für die sächsische Wirtschaft eine Win-win-Situation.“
Mehr als 1000 Firmen lassen schätzungsweise in deutschen Gefängnissen Menschen für sich arbeiten. Die Namen der Firmen wollen fast alle zuständigen Landesjustizministerien geheim halten, um sie nicht zu verschrecken. Sie befürchten außerdem, dass die Unternehmen bei einer Lohnerhöhung abspringen könnten.
Die Firma V.D. Ledermann & Co. GmbH ist eine dieser Firmen. In der sächsischen JVA Bautzen lässt sie Stifte der Marke Edding verpacken und geht damit ganz offen um. Eine Sprecherin schreibt in einer Mail: „Wir, als V. D. Ledermann & Co. GmbH, sehen uns in der sozialen Pflicht, Menschen mit Behinderung als auch Menschen im Strafvollzug im Alltag zu unterstützen. Dies erfolgt über die Vergabe von Konfektionierungsaufträgen. Darunter verstehen wir das Packen von verschieden aufwendigen Sets.“
Das Verpacken gebe den Inhaftierten eine „gewisse Verantwortung und Routine“, heißt es weiter in der Mail. Auf Nachfrage teilt das Unternehmen mit: Eine Lohnerhöhung für die Gefangenen sei für die Firma kein Grund, ihren Vertrag zu kündigen. „Eine angemessene Erhöhung der Löhne für Insassen würde unsererseits keine Auswirkungen auf die Zusammenarbeit haben. Hier überwiegen andere Vorteile, wie die örtliche Nähe – auch hinsichtlich unseres CO2-Abdruckes –, die sehr gute und langjährige Zusammenarbeit, als auch die Unterstützung der Insassen bei ihrer Resozialisierung.“
Alternative zum Outsourcen
Ein Spielzeughersteller aus Süddeutschland, der in mehreren Haftanstalten Gefangene beschäftigt, schreibt auf Anfrage: Könnte er nicht in den JVAs produzieren lassen, müsste er Arbeitsschritte ins Ausland verlagern – und könnte nicht mehr das Qualitätssiegel „Made in Germany“ auf seine Spielwaren kleben. Ein Sprecher des Waschmaschinenherstellers Miele bestätigt, dass es günstiger sei, bestimmte Arbeiten in niedersächsischen und nordrhein-westfälischen Gefängnissen ausführen zu lassen als im Ausland, zum Beispiel Kommissionieren, Verpacken, Waschen. Die Gefängnisse seien günstiger als reguläre heimische Zulieferer, teilt der Miele-Sprecher mit.
Die Konditionen, zu denen die Gefängnisse die Arbeit ihrer Inhaftierten anbieten, und oft auch die Namen der Vertragsfirmen zählen nach Angaben der meisten Justizministerien zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. “Das heißt, was da wirklich bei rausspringt, kann man eigentlich nicht sagen“, schlussfolgert die Kriminologin Kirstin Drenkhahn. Aber, was man sagen könne: „Unternehmerbetriebe, die im Vollzug produzieren lassen, das sind auch kapitalistische Betriebe, das sind keine gemeinnützigen Vereine, die irgendwie mit einer schwarzen Null arbeiten oder durch Spenden finanziert werden, sondern das sind ganz große Unternehmen. Die machen das nicht, weil die Vorstandsvorsitzenden so gute Menschen sind.“
Monotone Tätigkeiten
Auf Antrag nach dem Informationsfreiheitgesetz gibt die Berliner JVA Heidering einen geschwärzten Vertrag mit der Firma Steep heraus. Die Firma verkauft Dienstleistungen und Produkte aus dem IT- und Logistikbereich, darunter auch Radarsysteme. Sie ist laut ihrer Website in mehreren Anstalten aktiv, nicht nur in der Fertigung, sondern auch im Betrieb von Gefängnissen.
In der JVA Heidering beschäftigt sie laut Vertrag bis zu 280 Gefangene. Einer von ihnen ist Jens S.*. Er sollte dort Schrauben in vorgestanzte Löcher drehen, erzählt er am Telefon. Irgendwann habe er die monotone Arbeit nicht mehr ausgehalten. „Wenn das jetzt wie ein Ehrenamt wäre, wo wir etwas richtig Sinnvolles machen, das wäre wenigstens ein bisschen etwas“, sagt er – Senioren betreuen oder Blumen gegen das Bienensterben pflanzen. „Aber das ist ja total sinnlos. Die verhelfen nur einem reichen Unternehmen dazu, noch reicher zu werden.“
230 Euro hätte er im Monat bekommen, wenn er jeden Tag hingegangen wäre. Für einige sei das im Haftalltag zu wenig. Vor allem, wenn das meiste Geld für Kaffee, Zigaretten und Drogen draufgehe. „Die meisten machen es so, dass sie sich Drogen reinschmuggeln lassen, die hier drinnen verkaufen, um dann irgendwie ein bisschen an Geld zu kommen. Was genau das Gegenteil von dem ist, was der Knast eigentlich machen sollte“, sagt S..
Schuldenberg nach Haftstrafe
Die Vorsitzende der Anstaltsleiter-Vereinigung, Yvonne Radetzki, war im April bei einer Anhörung am Bundesverfassungsgericht. Es ging um das Verfahren von Peter Roth. Radetzki hat sich vor den Richterinnen und Richtern für einen höheren Lohn ausgesprochen. Denn jeder, der aus der JVA Neumünster entlassen werde, nehme im Durchschnitt einen Schuldenberg von 50.000 Euro mit in die Freiheit, sagt sie. Eine große Gefahr. „Natürlich wird auch ein höheres Arbeitsentgelt nicht dazu führen, dass Gefangene diese Schuldenlast tilgen können. Aber sie können vielleicht schon einen größeren Teil tilgen.“
Auch Kirstin Drenkhahn hält einen höheren Lohn für essenziell, um die Startchancen nach der Haft zu verbessern. „Im besten Fall ist eine Folge, dass Verwandte draußen besser unterstützt werden können. Das ist wahnsinnig wichtig für die Resozialisierung, weil das eben das soziale Umfeld ist, in das man zurückkehrt und das auch unterstützt. Wenn da die Stimmung gut ist, dann ist das natürlich besonders hilfreich.“
Wie viel Geld bei einer Lohnerhöhung für die Gefangenen bleibe, hat Drenkhahn am Beispiel des Mindestlohns vorgerechnet. Selbst wenn die Gefangenen für Unterkunft und drei Mahlzeiten am Tag zahlen müssten, blieben ihnen bei einem Mindestlohn von aktuell zwölf Euro pro Stunde noch mehr als 12.600 Euro im Jahr übrig. Es würde immer noch Jahre dauern, um die durchschnittliche Schuldenlast abzubauen, aber es wäre nicht mehr ganz aussichtslos.
Ganz anders rechnen die Gefängnisse: Wird der Stundenlohn um einen Euro erhöht, stiegen die Ausgaben der Haftanstalten um rund 49 Millionen Euro pro Jahr. Würden die Inhaftierten gar den gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro bekommen, entstünden Zusatzkosten von mindestens 440 Millionen Euro.
Diese Mehrkosten müssten die Bundesländer zahlen. Im Falle einer Lohnerhöhung haben einige Bundesländer bereits angekündigt, einen Haftkostenbeitrag von den Gefangenen erheben zu wollen. Das heißt, die Gefangenen müssten für die Unterbringung bezahlen. Das wäre jedoch ein großer bürokratischer Aufwand, sagt Radetzki. „Das Land muss dann mehr dafür aufwenden und der Steuerzahler eben auch. Uns muss es das dann wert sein, dass wir wollen, dass Gefangene wieder resozialisiert werden. Letztendlich ist es dann so!“
Bundesverfassungsgericht entscheidet
Sascha, der ehemalige Gefangene aus der JVA Neumünster, arbeitet mittlerweile wieder als Fachkraft an einer automatisierten Werkzeugmaschine, einer sogenannten CNC-Maschine. Nach seiner Entlassung hatte er zunächst in einer Zeitarbeitsfirma angefangen. „Da gab es dann für zehn Euro so ein Produktionshelfer-Job, aber das war für mich okay.“ Zehn Euro seien schließlich besser als ein Euro die Stunde im Knast. „Dann hatte ich das Glück, dass ich nach sechs Wochen tatsächlich durch Mundpropaganda an den Chef geraten bin, wo ich jetzt arbeite und halt als CNC-Dreher sehr berufsnah wieder eingesetzt werde.“
Darauf hoffen auch Peter Roth und alle arbeitenden Gefangenen in den Haftanstalten. Sie hoffen aber auch, dass sie für ihre Arbeit im Gefängnis ordentlich bezahlt werden. Das Bundesverfassungsgericht wird in wenigen Wochen darüber befinden. Ob sich die obersten Richter den Argumenten der Gefangenen oder denen der Justizministerien und Gefängnisse anschließen, ist auch nach einer Anhörung im April dieses Jahres völlig offen.
*Der Nachname ist der Redaktion bekannt