Gedichte

Ein Buchstabentor

Von Carola Wiemers · 18.12.2013
Ron Winkler spielt lustvoll mit der Sprache. Er macht Mut, auszuscheren aus festgefügten Denkschemata, rückwärts und seitlich gegen den Strome der "parole" zu sprechen.
Ron Winklers Gedichtband beginnt mit der Ankündigung einer radikalen Poetologie. Sein Eröffnungsgedicht "Prospekt" sagt der Werbung den Kampf an und ist in der darin vorgeführten absoluten Negation ein leidenschaftliches Plädoyer für die Sprache, die nichts sein kann und alles ist: Exaltation, Macht, intellektuelles Vergnügen, Eros und Tod:
"aber und ist eine Rose
und also mehr als eine Rose
und also zugleich keine Rose mehr. nicht mehr. und auch: nie
mehr: nie mehr
nicht."
Gertrude Steins bekannter Satz "A rose is a rose is a rose is a rose" erfährt durch Winkler keine neue Variation. Er nimmt ihn als Motor, um die Sprache und das Denken in ihr anzutreiben, damit neben der grammatischen Bedeutung eines Wortes auch die logischen Ebenen erkennbar werden. Das banale Wörtchen "und" wird dabei aus seinem funktionalen Abseits, nur eine nebenordnende Konjunktion zu sein, nahezu erlöst.
Hinter dem Eröffnungsgedicht, das dem Leser wie ein Buchstabentor Eintritt zum Winklerschen Universum gewährt, wird an etwas erinnert, das uns abhanden gekommen scheint: "die selbst verschuldete Mündlichkeit" ("Portal"). Denn in der veränderten Aufklärungsformel Immanuel Kants nimmt Winkler eine Korrektur vor, die sich nicht als Sprachspiel gefällt, sondern eine engagierte Unterweisung im Verlernen gängiger Sprechmodelle ist. Seine Textgebilde machen Mut, rückwärts, seitlich, gegen den mächtigen Strom der "parole" zu sprechen - das heißt, aus den festgefügten Denkschemata der Sprache auszuscheren.
In diesem Prozess des lustvollen Lossagens entstehen Verse, wo die Arbeit des Dichters selbst zum Gegenstand wird ("Serenade"):
"ich denke an die Flügel geflügelter Worte,
an die Engelszungen der Teufelskreise, denke
an die Form der Lungen eines langen Gedichts
und wie es auf dem Weg zum Ziel
von Zeit zu Zeit stehen bleibt:
um zu husten."
Im Teil "Capricen" - die von einer spielerischen Überschreitung der Norm künden - wird der Schreibende als ein "Fahrzeugprofessioneller im Beichtstuhl zu Babel" bezeichnet, der zwar "weitgehend der Form" entspricht, aber selbst seine eigene Sprache sprechen muss, denn man
"muss Lippen bleiben, natürlich. und ein Gefühl
dafür haben, wo der Asphalt einem zuträglich ist".
Neben poetischen Landschaften, die sich auf konkrete Orte zurückführen lassen ("Venezia non finito"; "An der Elbe, beinah"; "Buenos Aires Molochita"), geht es Winkler um Topographien der Ver-rückung. So nimmt der Leser im Gedicht "Erinnerungen auf Basis des bisher geleisteten Vergessens" an der De- wie Rekonstruktion von Vergangenem teil oder er findet sich in einer "Umgebung für Personen mit diskontinuierlicher Heimat" wieder. Dass neben "Solarlämmern" mitunter eine "Karawane von Einhörnern" in den Gedichten auftaucht, verweist ironisch-aufmunternd auf Paradoxien, die lebensnotwendig sind.

Ron Winkler: Prachtvolle Mitternacht
Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2013
100 Seiten, 18,95 Euro

Mehr zum Thema