Löcher in der Wirklichkeit

01.04.2010
Die Stille nach frenetischem Beifall kann verstörend sein. Vom Beifall aber ist im Titel von Ron Winklers neuem Gedichtband "Frenetische Stille" nicht die Rede. Er spart das Wort, das sich für feste sprachliche Verbindung anbietet, fast anbiedert, einfach aus.
Wer bei ‚frenetisch’ an Beifall denkt, wird enttäuscht! So leicht macht es Winkler seinen Lesern nicht. Er stellt stattdessen eine Beziehung zwischen zwei Wörtern her, die eher zufällig zueinander gefunden haben. Doch die sich daraus ergebende Partnerschaft erweist sich als überaus spannungsreich. Vertrautes kommt nicht zueinander, und was zusammengefunden hat, bleibt sich fremd. Ein Titel als Programm: Frenetisch bedeutet ja so viel wie leidenschaftlich oder stürmisch, womit der allgemeinen Vorstellung von Stille widersprochen wird. Gerade solche Bedeutungswidersprüche, von denen die Jetztzeit übervoll ist, faszinieren den 1973 in Jena geborenen und in Berlin lebenden Ron Winkler.

In seinen neuen Gedichten, bisher sind von ihm die Lyrikbände "vereinzelt Passanten" (2004) und "Fragmentierte Gewässer" (2007) erschienen, werden Fügungen wie "unscharf genau", "schmerzhaft schön" oder "unbestimmtes Nein" verwendet. Damit einhergehende "grammatische Schwierigkeiten" sind einer Gegenwart geschuldet, die sich in rasender Geschwindigkeit in Zukunft verwandelt, noch bevor die Jetztzeitbewohner in der Lage sind, sich auf die permanent vergehende Zeit einen Reim zu machen. Diese schnelllebige Gegenwart reißt Löcher in eine Wirklichkeit, die Winklers "Passivträumer" als einen "Geheimnisse-Raum" erleben. Sie träumen Bedeutungen hinterher, die längst nichts mehr zu bedeuten haben und kennen sich mit Verlusterfahrungen besser aus als mit Zukunftsvorstellungen.

In "ZWEITES URBANES PANNEAU" artikuliert sich ein lyrisches Ich mit zaghaft vorgebrachten Forderungen wie: "sag wie", "sprich", "sag das". Und in "DIE IDEALE WELT" versucht sich ein Ich zu rechtfertigen, wobei die Erklärungen zu Entschuldigungen geraten: "es ging um" oder "im Wesentlichen ging es". Winklers "statisches Ich" kennt keine ideale Welt – von der hat es allenfalls gehört. Seine Aufmerksamkeit ist entschiedener auf das Mischungsverhältnis zwischen "Störgeistern" und "Geistesgestörten" gerichtet, womit atmosphärisch die in den Gedichten herrschende Großwetterlage benannt ist.

Ron Winklers Traumwandler (SOMNIA) erwecken Eindrücke, aber sie erwachen nur phasenweise aus Dämmerzuständen, in die sie wieder zurückfallen, um auf "Gegenträumer" zu treffen. In den melancholisch grundierten Gedichten wappnen sich Sprechende angestrengt "gegen die so genannte Sogenanntheit" und spüren, wenn sie ein "Lächeln formatieren", von welchen schwerwiegenden Verlusten sie umstellt sind. Das gehört zu den schönen Seiten von Winklers Gedichten – in ihnen wird nichts schön geredet und nichts kommt leicht daher, was schwer wiegt. Ein irrlichternder, verstörender und dennoch behutsamer Jetztzeitbefund, der "Schatten legt" ohne sie zu werfen.

Besprocchen von MIchael Opitz

Ron Winkler: Frenetische Stille
Berlin Verlag, Berlin 2010
96 Seiten, 16,80 Euro

Links auf dradio.de:

Ron Winklers Gedichtband "Fragmentierte Gewässer" von 2007
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