Gedichtband "Tarnkappe"

Der mehrmals gehäutete Hans

Tarnkappe
Der Berliner Schriftsteller und Grafiker Christoph Meckel (Archivbild aus dem Jahr 2005) © dpa / picture alliance / Martin Schutt
Von Michael Opitz |
Er erinnert mit seinen Figuren an die Vergessenen, Außenseiter und Wehrlosen. Christoph Meckel gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Nachkriegslyrik. Zu seinem 80. Geburtstag erscheint nun ein Sammelband seines Werkes.
Wer sorglos seine Hand in die Bocca della Veritá, den römischen Wahrheitsbrunnen, steckt, weil ihn die Legende nicht schreckt, wonach die Hand verliert, wer als Lügner/als Lügnerin das Orakel herausfordert, der wird an den Gedichten Christoph Meckels keine rechte Freude finden. Der Wahrheit muss mit Respekt begegnet werden. Das etwa 2000 Jahre alte Relief findet sich auf dem Umschlag von Meckels 2000 erschienenem Gedichtband "Zähne". Ein Bild von programmatischer Bedeutung, denn der Wahrheit ist Meckels Lyrik unbedingt verpflichtet.
Pünktlich zu seinem 80. Geburtstag legt der Hanser Verlag nun den Band "Tarnkappe" vor. Er enthält die bisher 29 Lyrikbände des Autors und dazu noch 74 "Wiedergefundene Gedichte". Nicht von Gewissheiten, eher von Zweifeln ist in Meckels Lyrik die Rede, in denen sich angesichts von Hoffnungslosigkeit Hoffen als ein unverzichtbarer Halt erweist.
"Wie willst du / leben ohne die Hoffnung an deinem Denken / zu beteiligen, den Schmerz unter seiner / Last von Menschen, gezählt oder nicht gezählt - // Unmöglich zu leben, ohne sich zu vergessen", heißt es in dem Gedicht "Wo immer du bist" aus dem 1974 erschienenen Gedichtband "Wen es angeht".
Wörter, "die Leben und Dasein vernichten"
Meckel versteht sich als Anwalt von Außenseitern, Wehrlosen und Übersehenen. Er erinnert an die zu Unrecht Vergessenen. Als ein "Jasein der Sprache unter jeder Bedingung" hat er das Gedicht bezeichnet. Aber zum Wortschatz des Dichters gehört auch das "Neinsein", er verwendet dieselben Wörter wie die, "die Leben und Dasein vernichten".
Meckel, der 1956 mit dem Gedichtband "Tarnkappe" debütierte, gehört zu den wichtigsten Vertretern der deutschen Nachkriegslyrik. Häufig denkt er in der Lyrik darüber nach, was in einem Gedicht zur Sprache kommen muss. Seine Poetologie ist seinen Gedichten eingeschrieben. In "Gedicht in Ermangelung eines Besseren" heißt es:
Der, der ohne Nachruf verschwindet
Das Gedicht "handelt von dem, der nicht ankommt. / Es sucht den Mann, der nicht auf der Party erscheint / und den Namen dessen, der ohne Nachruf verschwindet / in jeder Gesellschaftsordnung, im letzten Loch – / der nicht einverstandene Peter, der unversöhnliche Klaus, / der aussortierte, mehrmals gehäutete Hans".
Diesem Anspruch ist Meckel über die Jahre treu geblieben. Bereits in "Rede vom Gedicht" aus dem Jahre 1974 heißt es:
"Das Gedicht ist der Ort der zu Tode verwundeten Wahrheit. / [...] // Das Gedicht ist nicht der Ort, wo der Engel geschont wird.“
In Meckels vorerst letztem Gedichtband "Gottgewimmer" (2010) findet sich das Gedicht mit dem Titel "Gedicht für später". In einem alt gewordenen Gedicht kommt das lyrische Ich "zur Not" unter – das Gedicht als Ort, in dem es warten kann. Meckels Gedichte warten darauf, gelesen zu werden. Der Band mit seinen "Gesammelten Gedichten" lädt dazu ein.

Christoph Meckel: Tarnkappe. Gesammelte Gedichte
Herausgegeben von Wolfgang Matz
Carl Hanser Verlag, München 2015
957 Seiten, 34,90 Euro

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