Lyrik-Hörbuch

Legendäre Lesungen

Der Kölner Thomas Kling; Aufnahme vom April 1997 anlässlich der Verleihung des Peter-Huchel-Preises
Der Kölner Thomas Kling; Aufnahme vom April 1997 anlässlich der Verleihung des Peter-Huchel-Preises © picture-alliance / dpa
Von Michael Opitz  · 11.05.2015
Die Bühnenauftritte des 1957 geborenen Thomas Kling waren besonders. Wer ihn hörte, dem prägte sich seine Stimme ein. Das Hörbuch "Die gebrannte Performance" gibt Zeugnis von der Vortragskunst des früh verstorbenen Lyrikers.
Als "geformte Performance" bezeichnete Thomas Kling das Hörbuch. Im Hörbuch – so der Autor – trenne sich "kurz und schmerzlos" die Spreu vom Weizen. Deshalb solle den Mund halten, "wer nicht 'vorlesen' kann, oder zu faul zum Üben ist". Thomas Klings Aufmerksamkeit galt dem Artikulationsraum der Sprache: Den Mund und den Mundraum erkundete er in seiner ganzen Breite und Tiefe.

Thomas Kling liest:
"Manhattan Mundraum

die stadt ist der mund
raum. die zunge, textus;
stadtzunge der granit:
geschmolzner und wieder aufgeschmo-
lzner text. beiseite-
gesprochen, abgedun
kelt von der hand: die
ruinen, nicht hier, die
zähnung zählung der
stadt! zu bergn, zu ver-
bergn! die gezähltn"

Als Thomas Kling dreizehn war, fing er an, sich für Gedichte zu interessieren. Mit 14 begann er, Lyrik zu schreiben und als Zwanzigjähriger, im selben Jahr, als er Abitur machte, legte er unter dem Titel "der zustand vor dem untergang" seinen ersten Gedichtband vor. Er nahm sich nicht vor, Schriftsteller zu werden, sondern er war es bereits, als die Frage anstand, was er werden wolle.
Als Dichter war Thomas Kling ein Sprachinstallateur. Seine von ihm vorgetragenen Gedichte erfüllen als Klanginstallationen für einen Moment den Raum. Ihre verblüffende Klangfülle zeigen sie, wenn der Rhythmus der Verse Fühlung mit der Bedeutung der Worte aufnimmt.

Thomas Kling liest:

"notgrabun’

den sprechern volksliedsprechern
fallen fallen, gerottweilertes nebst
fallerhäuschn aus den mündern. goldener
oktobermünder weinzwang. geöffnet di
nahe, der rhein überm geöffnetn zufluß;
mündung endung schlehen, winters, di
im luftzug stehen als höbe sich etwas
ab: überflogener, beabsichtigter sprach-
raum, dem, zugesprochn, schattn, aller
schattn, herausgeröntgt gehört. auf-
gerissne sprachräume, alte pflanznkupfer;
notgrabungen in achtsam sich umblätter
umblätternder luft."

Unmissverständlich bringt Thomas Kling in seinem Essay "Die gebrannte Performance" zum Ausdruck, wogegen er ansprach: "Wir wollen hier nicht das knarrend-geschmeidige Burgtheaterdeutsch zurück; die geschriebene wie die gesprochene Sprache müssen beide auch eine Spur Straßendreck unter den Nägeln haben."

Thomas Kling liest:

"bläue

anläufe; anläufe, es ans laufn
zu kriegn; diese blindanläufe für
leitmotive, für handzeichn. reanimations-
versuche am themen-, am textkadaver wobei
dizungnspitze sichtbar wird: di helfer-
zungn zungnhelfer beim hantieren; dies
handfläche auf handrückkn pumpm pumpm bis
di rippm knakkn. helfershelferzungn. was
di leistn beim überm herzaas hantieren.
ein schaun, ein schaum in di runde; ein
zukkn mittn schultern, mit den zungn in
stillem, ständig wiederkehrendem licht."

Thomas Kling: Die gebrannte Performance - Lesungen und GesprächeHrsg. v. Ulrike Janssen und Norbert WehrLilienfeld Verlag, Düsseldorf 20154 CDs, 260 Minuten, 24,90 Euro

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