Gebete, schwülstig und schwarz

Der "Leidenschaftliche Leitfaden" ist die letzte rumänische Schrift, bevor E.M. Cioran in die französische Sprache seiner Wahlheimat wechselte. Ab 1944 entstanden, jetzt erstmals ins Deutsche übersetzt, sind diese Zeugnisse seiner Desillusionierung jedoch sehr üppig geraten.
Emil Cioran (1911-1984), Rumäne und Franzose, befand sich bereits als 22-Jähriger "Auf den Gipfeln der Verzweiflung" – so hieß sein zweites, preisgekröntes, Buch, das 1934 in Rumänien erschien. Da hielt er sich allerdings in Berlin auf, wo er sich von Hitler und vom unmenschlichen Vitalismus der Faschisten bereitwillig faszinieren ließ. Nach dem endgültigen (und langen) Abschied von dieser Ideenwelt, gab es für ihn eigentlich nichts mehr, das dem "Nachteil, geboren zu sein" (so eins seiner bekanntesten Werke aus den 1970er-Jahren) entgegen hätte stehen können. Nichts außer der Tatsache, dass die poetisch und luzide formulierten Gedanken über Selbstmord, Schlaflosigkeit und das Elend des Menschseins ihm ein nicht geringes Vergnügen zu bereiten schienen.

Seit 1937 lebte er in Paris, wo er für den Rest seines Lebens blieb. Ab etwa 1947 begann er französisch zu schreiben und nannte sich E.M. Cioran, was, wie er fand, nicht so nett klang wie das französische Émile. Der nun erstmals auf Deutsch vorliegende Text, entstanden vermutlich ab 1944 im Anschluss an den "Leidenschaftlichen Leitfaden I", dürfte der tatsächlich letzte Text sein, den er auf Rumänisch verfasst hat. Gefunden wurde er im Nachlass und erst 2003 in Frankreich veröffentlicht.

"Richtiggehend schlechte Poesie"
Der "Leitfaden" ist das Zeugnis eines fortwährenden Kampfs um Desillusionierung, um eine tapfere Nüchternheit angesichts der Leere. "Herr! In deinem All sehe ich nichts als Kälte." Cioran, Sohn eines orthodoxen Popen, tat sich schwer, Gott den intellektuellen Laufpass zu geben. Wie schwer, kann man in diesen üppigen, manchmal ziemlich schwülstig anmutenden, schwarzen Gebeten immer wieder nachlesen. "Gott - Hast du je einen im Bösen sanfteren Sohn gehabt?"

Die Notate (anschließend an den Leitfaden I von 70 bis 140 durchnummeriert) erreichen manchmal tatsächlich eine klare Nüchternheit, die wie eine traurige Erlösung stets am Ende von Ciorans Denkens zu stehen scheint. Aber meistens versinken sie in einem surrealistisch anmutenden Delirium, ausgebreitet in einer fast sakralen Sprache. "Gedrückt von der Unfruchtbarkeit unter allen Sonnen und unter allen Schatten... Ist das Seiende oder das Blut gestrauchelt? Oder was sonst?"

In seinen "Cahiers" urteilte er 20 Jahre später darüber: "Richtiggehend schlechte Poesie." Da diente ihm die französische Sprache mit ihrer Liebe zur Rhetorik und zu Abstraktionen schon als vorzügliche Distanzmaschine: Mit diesem "geliehenen Idiom" fand er zur Verfeinerung, Zuspitzung und intellektuellen Abkühlung. Und formulierte brillant seine späteren "Syllogismen der Bitterkeit".

Besprochen von Katharina Döbler

E.M.Cioran: Leidenschaftlicher Leitfaden II
Aus dem Rumänischen und mit einem Nachwort versehen von Ferdinand Leopold
Bibliothek Suhrkamp, Berlin, 2013
280 Seiten, 18,90 EUR
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