Gay Talese/Phil Stern: "Frank Sinatra Has a Cold"

Hommage an eine Sternstunde des Journalismus

06:04 Minuten
Frank Sinatra mit dem Rücken zur Kamera auf einer leeren Bühne im Scheinwerferlicht
Keine Szene aus einem "Film Noir", sondern der Entertainer Frank Sinatra bei der Probe zur Amtseinführungsfeier des damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy. © © Phil Stern Estate, Courtesy of the Fahey/Klein Gallery, Los Angeles and TASCHEN.
Von Eva Hepper · 03.08.2021
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Vor 55 Jahren schrieb der US-Journalist Gay Talese seine berühmteste Story: "Frank Sinatra Has a Cold". Ein prächtiger Bildband inszeniert die Reportage nun gemeinsam mit den Fotografien von Phil Stern. Schlichtweg hinreißend!
Dieses Storyboard gleicht einem Kunstwerk. Der Text ist mit farbigen, japanischen Pinselstiften schwungvoll aufs Papier gesetzt: Mal erscheint ein ganzer Absatz in Blau, Rot, Grün oder Braun, mal wechselt die Farbe innerhalb eines Satzes.
Viele Zeilen sind zudem unterstrichen, manche eingerahmt, andere durch Pfeile miteinander verbunden, wieder andere durch gestrichelte Linien voneinander abgerückt.
Storyboard und Buchcover zu "Frank Sinatra Has a Cold" von Gay Talese
"Beste Geschichte aller Zeiten"? Jedenfalls soll "Frank Sinatra Has a Cold" Gay Taleses Meisterstück sein. In der Neuedition sieht man auch sein Storyboard dazu.© © 2015 and courtesy of Gay Talese and TASCHEN
Die Komposition stammt von dem großen Journalisten und Autor Gay Talese, und sie zeigt den Bauplan seiner berühmtesten Geschichte. "Frank Sinatra Has a Cold" (Frank Sinatra ist erkältet) erschien im April 1966 über – heute geradezu sagenhaft anmutende – 55 Seiten hinweg in dem US-amerikanischen Magazin Esquire.

"Beste Geschichte aller Zeiten"

Talese wurde damit quasi über Nacht bekannt, und die Story Jahrzehnte später "zur besten Geschichte aller Zeiten" gekürt; wegen ihrer Beschreibungskunst und Eleganz, aber auch wegen der Entstehungsgeschichte.
Dean Martin, Peter Lawford, Frank Sinatra, Sammy Davis, Jr. und Joey Bishop auf der Bühne
Das Rat Pack, 1960 in Las Vegas: Dean Martin, Peter Lawford, Frank Sinatra, Sammy Davis, Jr. und Joey Bishop.© © Phil Stern Estate, Courtesy of the Fahey/Klein Gallery, Los Angeles and TASCHEN
Tatsächlich hatte Gay Talese alles daran gesetzt, Frank Sinatra persönlich zu sprechen. Ein fest verabredeter Termin, zu dem der Autor bereits nach Los Angeles geflogen war, wurde immer wieder verschoben. Doch statt aufzugeben, nahm Talese das Umfeld des Sängers ins Visier.
Er blieb Wochen vor Ort und interviewte schließlich über 100 Leute; darunter Schauspieler, Musiker, Plattenproduzenten, Restaurantchefs, Bedienstete, auch Freundinnen und Freunde, ja sogar Familienmitglieder.

Üppiges Buch in limitierter Auflage

Zum hundertsten Geburtstag des US-Entertainers Frank Sinatra (1915-1998) widmete der Taschen Verlag dem legendären Porträt ein üppiges Buch in limitierter Auflage. Es präsentierte Taleses Artikel gemeinsam mit faksimilierten Seiten von Storyboard und redigierten, maschinengeschriebenen Rohfassungen sowie Erläuterungstexten und Briefen.
Als besonderes Extra zeigte der Band zudem die nicht minder legendären Fotografien, die Phil Stern von Frank Sinatra gemacht hatte. Nun gibt es das Buch – 55 Jahre nach Erscheinen des Artikels – als unlimitierte Ausgabe.

Offenbart sämtliche Facetten Sinatras

Noch heute ist es der reine Genuss, Gay Taleses Porträt des großen Entertainers zu lesen. Zeile für Zeile offenbart die Story sämtliche Facetten Sinatras. Mal erscheint er als erkältete Diva, mal als knallharter Geschäftsmann, dann als Padrone mit ergebener Entourage, später als launischer Tyrann, der jedoch charmant, liebevoll und großzügig sein kann – tatsächlich porträtiert Talese den ganzen Sinatra-Kosmos.
Frank Sinatra beim Essen am Tisch mit fünf anderen Männern
Auch ein Star muss essen: Sinatra während einer Drehpause zu "Guys and Dolls" (1955 in Los Angeles)© © Phil Stern Estate, Courtesy of the Fahey/Klein Gallery, Los Angeles and TASCHEN
Das tat auch der Fotograf Phil Stern, der Sinatra über 40 Jahre lang begleitet hatte. Seine Aufnahmen ergänzen den Band aufs Schönste.

Ein Fest des amerikanischen Entertainments

Sie zeigen den Sänger in verschiedensten Situationen: auf Proben, beim Dinner, zu Hause, mit seinen Kindern oder mit Kollegen wie Dean Martin, Sammy Davis Jr., Harry Belafonte oder Nat King Cole. Auch die weltberühmten Aufnahmen von der Amtseinführung des damaligen US-Präsidenten John F. Kennedys, bei der Sinatra auftrat, sind hier zu sehen.
Das Buch ist ein Fest – es feiert nicht nur Gay Talese, Phil Stern und Frank Sinatra, sondern auch die Zeit des amerikanischen Entertainments und die große Kunst des literarischen Journalismus.

Gay Talese/Phil Stern: "Frank Sinatra Has a Cold"
Übersetzung: Sky Nonhoff, Clara Drechsler und Harald Hellmann
Taschen/Köln 2021
250 Seiten, 50 Euro

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