Vor der Fußball-WM in Katar

Steht die DFB-Elf für die ganze Nation?

05:59 Minuten
Deutschlands Nationalspieler Armel Bella-Kotchap, Ilkay Gündogan und Thomas Müller beim Fußball-Länderspiel in London
Stehen Nationalspieler wie Armel Bella-Kotchap, Ilkay Gündogan oder Thomas Müller für die ganze Nation? © picture alliance / dpa / Christian Charisius
Von Felix Lill · 23.10.2022
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Der in Deutschland beliebteste Sport galt einst als Arbeiterdomäne und schmückt sich heute mit seiner vermeintlichen Integrationskraft aller Schichten. Hat der Fußball diese Kraft wirklich?
Für Mario Götze war die Station beim PSV Eindhoven in den Niederlanden das erste Mal, dass er im Ausland lebte – die englische Sprache beherrschte er trotzdem fließend.
"For me, it was a very good decision. For my family, for myself, yea. I’m happy about that. For me that was the first time that I’ve been playing abroad." 
Anders als dem WM-Finaltorschützen von 2014 ging es einst Lothar Matthäus, dem Weltmeisterkapitän von 1990. Als Matthäus 1999 zu den New York Metro Stars wechselte, hatte er schon mehrere Jahre in Italien gespielt. Bei der Pressekonferenz aber gestand er: "My English is not very good … My German is better."

Götze und Matthäus als Typen repräsentativ

Auf eine Weise trennen die Weltmeister von 1990 und 2014 Welten. Götze ist Sohn eines Professors und hat Abitur, Matthäus verließ mit 14 die Schule. Und diese zwei Typen sind durchaus repräsentativ für ihre Generationen von Nationalspielern. Von den Siegern 1990 in Rom hatten nur zwei Abitur. Der jüngste Nationalmannschaftskader vom September 2022 bestand zu mehr als der Hälfte aus Spielern mit Hochschulreife.

Wohl auch deshalb erlebt das Publikum heute Nationalspieler, die sich gewählt und mehrsprachig ausdrücken, Bescheidenheit mimen und unangenehme Fragen notfalls umkurven können. Merkmale von Bildung. Gleichzeitig aber ist die Nationalmannschaft laut mehreren Umfragen immer weniger beliebt. Öfter wird ihr auch ein arrogantes Auftreten attestiert.

Harald Lange, Professor an der Universität Würzburg und Fanforscher, vermisst bei der DFB-Elf heute Authentizität:
"Ja, historisch gesehen war die Nationalmannschaft immer eine Möglichkeit für die Bevölkerung, sich zu identifizieren."

Sehr geringes Interesse Fußball der DFB-Elf

Lange beobachtet, wie die Nationalmannschaft diesen Status über die letzten Jahre eingebüßt hat. Das liege auch am Auftreten der Spieler neben dem Platz:
"Da spielen dann Figuren, die mehr oder weniger austauschbar sind, weil man sie nur noch als Fußballspieler wahrnimmt, aber nicht mehr als Persönlichkeit. Und Identifikation braucht eben auf der anderen Seite Persönlichkeit, an denen man sich reiben kann. Wir haben einige Studien zum Thema WM-Vorfreude gemacht. Und das Interesse am Nationalmannschaftsfußball ist unterirdisch schlecht. Mehr als 60 Prozent haben in diesen Studien angegeben, dass sie die WM überhaupt nicht verfolgen werden."

Warum Podolski fehlt

Typen, die frei von der Leber weg sprechen, wie einst Lukas Podolski oder auch Lothar Matthäus, fänden im von Sportinternaten und Werbeverträgen geprägten Fußball, in dem auch die Vereine die Statements der Spieler kontrollieren, immer weniger Platz: „Und solche Typen fehlen natürlich. Und das ist eine Folge der Kommerzorientierung.“

Dass die DFB-Elf auch gegenüber dem Nachwuchs den Vorbildstatus einbüßt, beobachtet zudem Julian Rabe, Schulkoordinator am Nachwuchsleistungszentrum von Hertha BSC. Beliebter als "Die Mannschaft" seien heute Einzelkönner, die sich nicht höflich-zurückhaltend, sondern auch mal glitzernd inszenieren: "Ob die Jungs wirklich am Konstrukt Nationalmannschaft interessiert sind oder an Einzelkönnern. Das Gefühl hab ich tatsächlich eher, wenn man dann die Jungs sieht mit CR7 auf den Schuhen und so."

Der DFB-Elf, so Rabe, eiferten vor allem diejenigen Jugendlichen nach, die selbst die Ehre haben, ihr Land zu vertreten: "Was ein großer Faktor ist, sind die U-Nationalmannschaften. Das kann man sagen. Der DFB hat ja aber die U15, U16, U17, U18, die Nationalmannschaftslehrgänge. Und da sind die Jungs auch wahnsinnig stolz, wenn da die Einladungen kommen, und der Nationaltrainer lädt ein, und die Jungs sind von dann bis dann auf einem Lehrgang …"

Fehlt der DFB-Elf Volksnähe?

Nur was ist mit denen, die nicht zu einer kleinen Nachwuchselite gehören, für die vor allem das Sportliche zählt? Könnte die DFB-Elf auch für alle anderen wieder beliebter werden, wenn sie nur volksnäher auftritt? Und hat das mit Bildung zu tun?

Dirk Mazurkiewicz, Professor für Sportmanagement an der Hochschule Koblenz und Vorsitzender des Amateurklubs Bonner SC, glaubt, dass ein anderes Auftreten allein nicht genügen würde: „Das Thema Nationalmannschaft ist noch viel komplizierter. Denn sie gilt meistens so als Abbild auf den DFB, wo ich denke: Mein Gott, da ist eine Mannschaft mit einem Staff von 40 bis 50 Leuten, die zu einem Turnier fahren. Wenn die gewinnen, dann soll die ganze Arbeit einer riesigen Community richtig sein? Und wenn die verlieren, war alles falsch.“

Fußball verbindet alle Schichten

Den Vorwurf des Elitären will Mazurkiewicz dagegen nicht gelten lassen. Schließlich verbinde Fußball wie kein anderer Sport alle Schichten der Gesellschaft. Fanforscher Harald Lange wiederum glaubt, dass der steigende Bildungsgrad im Fußball kein Problem für die Identifikation mit der Nationalelf sein müsse.
Er könne sogar Teil der Lösung sein: „Weil wir nämlich enorm begabte Spieler haben, und zwar nicht nur fußballerisch begabte Nationalspieler, sondern Nationalspieler, die ein Abitur schaffen, dass sie ein Studium beginnen, dass sie eine Berufsausbildung beginnen. Das sind ja alles Dinge, die Trend werden bei Nationalspielern. Und das zeigt doch, dass da Persönlichkeiten vorhanden sind.

Und da würde man von Nationalspielern erwarten, dass sie das auch öffentlich tun. Und das sieht man jetzt gerade an diesem Beispiel Katar und Menschenrechte, dass da relativ wenig kommt. Und Spieler, die dazu in der Lage wären, Spieler, die dazu ein Bedürfnis haben, die werden, so meine These, in diesem Fußballsystem schon vergleichsweise früh aussortiert.“

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Goretzka als Gegenbeispiel

Ein Gegenbeispiel ist hier wohl Leon Goretzka, der zur WM in Katar gesagt hat: „Grundsätzlich betonen wir immer wieder, für was wir hier beim DBF stehen möchten. In erster Linie konzentrieren wir uns aktuell darauf, das vorzuleben und das natürlich auch einzufordern. Ich glaube, dass in Zukunft bei solchen Vergaben auch mehr auf solche Dinge geachtet werden muss.“

Allerdings ist Goretzka bisher eher die Ausnahme. So mögen Deutschlands beste Fußballer im Schnitt zwar so gebildet sein wie noch nie. Wie mündige Bürger aber verhielten sie sich kaum. Wobei genau dies die Vorbildrolle der Nationalelf – und damit ihre Popularität – wieder stärken könnte.
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