Fußball und Menschenrechte

WM-Boykott in Kneipen

06:52 Minuten
Ein großer Ball mit der Jahreszahl 2022 steht auf einer Verkehrsinsel mit Kreisverkehr vor dem Trainigsgelände Al-Shamal sports Club in der Hafenstadt Al Ruwais.
Die WM in Katar steht wegen der Menschenrechtslage im Gastgeberland seit Jahren in der Kritik. © picture alliance / dpa / Christian Charisius
Von Claudia Hennen · 20.09.2022
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Im November wird in Katar die Fußball-WM angepfiffen. Laut Amnesty International sind bereits 15.000 Gastarbeiter beim Bau der neuen Stadien gestorben. Deshalb entscheiden sich hierzulande Kneipen dagegen, die Spiele zu zeigen, zum Beispiel in Köln.
FC-Fans beim Public Viewing in der „Lotta. Über dem Eingang der kultigen Kneipe in der Kölner Südstadt hängt ein Transparent, darauf steht in Großbuchstaben „Boycott Qatar“.
Rolf-Peter Zimmermann gehört zum Kollektiv der Kneipe, er nennt die Gründe für den Boykott:
„Dass die WM vergeben worden ist aus rein finanziellen Gründen. Dann natürlich die Menschenrechtsverletzungen in Katar. Die Berichte, die es gegeben hat von mehreren Tausend toten Arbeitern beim Bau von den Stadien. Verfolgung von Schwulen und Lesben, Frauenrechte – und ausgerechnet in so einem Land soll eine WM stattfinden. Und da haben wir gesagt: Da haben wir keinen Bock drauf!“
Bereits im Mai hatte das 14-köpfige Kollektiv der „Lotta“ entschieden, die WM-Spiele im November nicht zu zeigen. Ein paar Kneipen in der Nachbarschaft schlossen sich an – und verkündeten ihren Boykott auch in den sozialen Medien.
Rolf-Peter Zimmermann: „Wir wissen es von der Kneipe gegenüber, die ‚Torburg‘, die werden es nicht zeigen, das ‚Chlodwig-Eck‘ zeigt es nicht. Es hatten sich auch einige bei uns gemeldet, auch Kneipen, die sonst immer Fußball gezeigt haben, aber es wird eine Minderheit sein, da gehe ich schon davon aus, dass das jetzt nicht die große Masse ist.“
Mittlerweile hat auch die große Kölner Brauerei Mühlen Kölsch sich dem Boykott angeschlossen, ihre sechs Gaststätten werden die Spiele nicht zeigen. Bei diesem Gast in der „Lotta“ kommt die Entscheidung gut an: „Es ist eigentlich eine gute Idee, denn das was da passiert, kann man nicht unterstützen."
Die Fußball-WM in Katar steht wegen der Menschenrechtslage seit Jahren in der Kritik. Laut einer aktuellen Umfrage würde fast die Hälfte der Deutschen einen Verzicht des DFB-Teams auf die Endrunde im Gastgeberland befürworten.
Der Deutsche Fußballbund aber setzt auf Dialog statt auf Boykott. Arbeitsrechtlich habe sich vieles verbessert, hieß es Anfang Juli, als sich der Sportausschuss des Bundestages mit dem Thema befasste.
DFB-Generalsekretärin Heike Ullrich kündigte an, man werde versuchen, Nichtregierungs- und Wanderarbeiterorganisationen vor Ort zu unterstützen.
„Uns ist wichtig, dass aus unserer Sicht ein Boykott nicht hilfreich ist“, erklärt sie. „Sondern dass es wichtiger ist, mit gemeinsamer Stimme und gemeinsamen Fragestellungen vor Ort Dinge voranzubewegen und den Menschen vor Ort zu helfen, denn darum geht es ja schlussendlich.“

Sportereignisse verbessern Menschenrechtslage nicht

Wolfgang Maennig ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Hamburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt Sportökonomik. Er glaubt nicht, dass große Sportereignisse dazu beitragen können, die Menschenrechtslage zu verbessern.
„Wir hatten zum Beispiel auch gehofft, dass man durch die Vergabe der Olympischen Spiele 2008 nach China die Menschenrechte und die Pressefreiheit verbessern würde. Es gibt dazu meines Erachtens bislang keine wissenschaftliche Untersuchung“, sagt er. „Wir sitzen tatsächlich gerade an einer dran und die Ergebnisse deuten darauf hin, dass man hier keine große Wirkungen nachweisen kann.“
Für einen Boykott sei es eigentlich zu spät, sagt Maennig. Die Vermarktung der WM, ein Milliardengeschäft, sei in vollem Gange.
„Die Verträge sind längst geschlossen, das Geld der Sponsoren ist auf den Konten drauf, die Fernsehanstalten haben das ausgerichtet, die Organisatoren haben das mehr oder weniger in trockenen Tüchern, erklärt er. „Da ist wenig Unsicheres, wenig Varianz. Das heißt, bei Katar wird da sehr wenig ankommen. Es ist allenfalls so, dass die FIFA, wenn sie sich in Zukunft Austragungsorte anguckt und auswählt, ein gewisses Warnsignal hat. Dass auch Konsumenten sagen können, nee, das gefällt uns nicht.“
Mit einem Boykott schadeten die Kneipen vor allem sich selbst, so Maennig.

Denn viele der Fans werden in andere Kneipen gehen und dort das Spiel sehen. Das heißt, ihnen wird Umsatz entfallen. Das ist bei allen Boykotten so, dass man sich ins eigene Fleisch schneidet, das sehen wir ja auch an den Sanktionen gegen Russland. Man zahlt also einen Preis für die Überzeugung.

Wolfgang Maennig, Professor für Wirtschaftspolitik

 "Ich muss irgendwie überleben"

Ein Preis den die allermeisten Kneipen nicht bereit sind zu zahlen, schon gar nicht nach zwei Jahren Pandemie. Şahin Erdoğan ist Besitzer der Sportbar „Point One“ im Kölner Multikulti-Viertel Ehrenfeld.
„Die Kosten laufen immer weiter, da muss man gucken, dass man funktioniert“, sagt er. „Wenn du über 3000 Euro Fixkosten hast, musst du gucken, dass du das am Stehen hältst. Die letzten zwei Jahre haben wir hier kein Geld verdient. Das ist auch ein Faktor, weshalb wir im Winter Fußball zeigen müssen. Mir gefällt das auch nicht, aber ich muss überleben, irgendwie.“
Problembewusstsein gibt es bei Şahins‘ Stammkunden durchaus, aber wenn es konkret ums WM-Gucken geht, dann ist das zweitrangig:
„Ja, ich glaub, ich bin da eher meinem sozialen Umfeld untergeben. Es sind total viele meiner Freunde Fans und ich gucke es auch gerne. Ich finde den Boykott gut, bezweifle aber, dass das was bringt! So viel Einfluss auf die Quoten wird das wohl nicht haben!“ 
Rolf Peter Zimmermann vom Kölner Kneipenkollektiv „Lotta“ ist sich bewusst, dass der Boykott nicht viel ausrichten kann. Dass der Protest noch an Fahrt aufnimmt, glaubt er nicht. Doch für ein gutes Gewissen nehmen er und seine Mitstreiter fehlende Einnahmen in Kauf.
„Finanziell würde das schon was bringen, wenn wir das zeigen, aber wir wollen das einfach nicht“, sagt er.

Wir wollen eine Art Alternativprogramm zeigen, ein Kickerturnier, ein Fußballquiz und natürlich auch eine Veranstaltung, wo wir den Boykott erklären. Wir haben uns nicht zu viele Gedanken gemacht, ob uns das schadet oder nicht, wir haben einfach keine Lust, das zu zeigen!

Rolf Peter Zimmermann, Kneipenkollektiv „Lotta“

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