NS-Aufarbeitung

Welche Rolle der deutsche Fußball in der Nazizeit spielte

06:01 Minuten
Deutsche Fußballer beim Hitler-Gruß - um 1935.
Deutsche Fußballer beim Hitler-Gruß in den 30er-Jahren. © dpa / picture alliance / Brandstaetter Images
Von Stefan Osterhaus · 09.04.2023
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Lange hat sich der Deutsche Fußball-Bund schwergetan, die NS-Zeit aufzuarbeiten. Erst im Jahr 2006 setzte sich der Historiker Nils Havemann in der Studie "Fußball unterm Hakenkreuz" mit der Rolle des deutschen Fußballs in der Nazizeit auseinander.
Vergangenes aufzuarbeiten, ist ein komplizierter Prozess. Im Prinzip ist er nie wirklich abgeschlossen. Denn es können neue Erkenntnisse hinzukommen, die den Blick auf die Geschichte verändern.
Geht es um den Deutschen Fußball-Bund und seine Rolle während des Nationalsozialismus, so fällt eines auf: Es dauerte Jahrzehnte, bis sich der deutsche Fußball den unbequemen Fragen zu seiner Rolle stellte.

Auseinandersetzung über NS-Zeit bis heute

Und die Auseinandersetzung dauert bis heute an. Sie ist mittlerweile auf der Ebene der Landesverbände angekommen. Hier ist der Berliner Fußball-Verband gewissermaßen in der Poleposition: Zwar hat Hertha diesen Schritt schon gemacht, doch nun zieht auch der Landesverband mit einer großen, umfassenden Studie nach.

Für Bernd Schultz, den Vorsitzenden des Berliner Fußball-Verbandes, ist dies ein notwendiger Schritt:

Ich glaube auch, dass die Sondersituation in der Stadt Berlin, gerade auch mit der jüdischen Bevölkerung, die wir in Berlin immer hatten und jetzt erfreulicherweise wieder haben, dass das auch ein Thema ist. Warum wir uns damit beschäftigen? Es sind damals Vereine aus dem Verband ausgeschlossen worden. Wir wollen das einfach mal in Ruhe aufarbeiten.

Bernd Schultz, Präsident des Berliner Fußball-Verbandes

Dabei dauerte es lange, bis diese Aufarbeitung in Gang kam. Impulse von außen waren in der Vergangenheit nötig. 1975, zum 75-jährigen Jubiläum des DFB, hatte der prominente Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens, seinerzeit wohl Deutschlands intellektuellster Fußballfan, den Funktionären die Leviten gelesen.
Sein Fazit gefiel dem DFB nicht:

„Nichts über das Echo in den eigenen Reihen: die Anpassung und die Verweigerung.“

Lange passierte nichts

Danach aber geschah lange nichts. Zum 100-jährigen Jubiläum gab der DFB eine Festschrift heraus. Das Kapitel über die Rolle des deutschen Fußballs während des Nationalsozialismus wurde dem als konservativ geltenden Publizisten Karl Adolf Scherer angetragen.
Scherers Urteil sorgte seinerzeit für Verwunderung, er bezeichnete die Rolle der Verbände als „politisch neutral“. Zumal der Autor nicht ganz ergebnisoffen an die Arbeit gegangen war.
Zuvor hatte Scherer das 1999 erschienene Buch „Stürmer für Hitler“ als schlimm und unausgegoren in einer Rezension bezeichnet – und gehofft, es möge nicht an einem Mann wie dem ehemaligen DFB-Kapitän Fritz Walter hängen bleiben.
Einen Effekt aber hatte die Veröffentlichung, die im Rückblick wie die Erledigung einer lästigen Pflichtaufgabe erschien: Sie setzte eine Diskussion in Gang, in der sich auch der damalige Kanzler Gerhard Schröder und der Bundespräsident Johannes Rau zu Wort meldeten.

Der DFB beauftragte den Historiker Havemann

Der DFB beauftragte daraufhin den Historiker Nils Havemann damit, eine Studie anzufertigen. Havemann fand ideale Bedingungen für seine Arbeit vor. Er wurde nicht nur mit Forschungsmitteln gut ausgestattet. Er handelte vor allem unabhängig vom Verband.

2006, im Jahr der Fußball-WM, erschien die Studie unter dem Titel „Fussball unterm Hakenkreuz“. Die Rezeption war seinerzeit fast durchweg positiv, und auch heute beeindruckt die Dichte der Studie ebenso wie die Nüchternheit des Urteils.

Große Begeisterung für Hitler

Der Fußball war, so stellte Havemann in einem zusammenfassenden Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung fest, demnach keineswegs anders als große Teile der Gesellschaft:

„Aus dem Gefühl, dass es nach den Jahren ständiger Krisen und Angst nicht nur im Fußball, sondern auch im ganzen Land rasant 'aufwärts' zu gehen schien, erwuchs bei nahezu allen Fußballspielern und Funktionären eine große Begeisterung für Adolf Hitler und das nationalsozialistische Regime.“

Der DFB handelte opportunistisch

Auch wenn die eliminatorische Ideologie der Nationalsozialisten von vielen Funktionären nicht geteilt wurde, so handelte man im DFB opportunistisch, denn es bot sich nun die Gelegenheit, jüdische Vereinsvorsitzende und Sponsoren aus dem Fußball herauszudrängen und den Amateurgedanken zu stärken.
Die Geschichte von Kurt Landauer, dem jüdischen Präsidenten des FC Bayern München, ist der wohl prominenteste Fall.

Havemann urteilt: „Das grausam-gedankenlose Kalkül in der Haltung gegenüber dem Schicksal der Juden in Entwicklungen in Deutschland.“

Differenziertes Urteil über die DFB-Funktionäre

Havemanns Urteil über die Funktionäre des DFB ist differenziert: Es habe überzeugte Nazis gegeben, die bis zum Ende dem Regime die Treue hielten und direkt oder indirekt am Mord beteiligt waren, wogegen andere den Weg in die innere Immigration wählten.
Der Historiker schreibt:

Oft lagen Begünstigung und Behinderung von Verbrechen, Billigung und Ablehnung von Gewalt, Beteiligtsein an und Betroffensein von kriminellen Machenschaften eng nebeneinander. Auch in dieser Hinsicht spiegelte der deutsche Fußball die gesamte Gesellschaft im Dritten Reich wider.

Historiker Nils Havemann

Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily war bei der Vorstellung des Buches zugegen. Schily war sich damals sicher, dass die Veröffentlichung nicht den Abschluss, sondern, ganz im Gegenteil, den Ausgangspunkt dafür darstelle, um sich noch intensiver mit der Geschichte des Fußballs während der NS-Zeit auseinanderzusetzen.

Und genau so ist es gekommen, wie die Studie des Berliner Fußball-Verbandes zeigt.

Präsident will Offenheit bei der Aufarbeitung

Bernd Schultz, der Präsident, ist froh, dass der erste Schritt zur Aufarbeitung getan ist:
"Ich erwarte, dass wir das, was wir herausfinden, auch offen darstellen, dass wir nicht irgendetwas weglassen aus Rücksichtnahme auf irgendjemand, sondern das, was ermittelt wird, soll veröffentlicht werden. Wir wollen uns zu den Dingen, die damals passiert sind, dann auch bekennen - und wollen auch sagen: Ja, das war ungerecht. Wenn wir so etwas feststellen wie den Ausschluss jüdischer Sportler, der zweifellos ein Unrecht war, dann muss man das auch so benennen. Das ist das, was ich als Erwartungshaltung letztendlich an diese Studie habe."

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