Erinnerungstag im deutschen Fußball

Gegen das Vergessen

06:26 Minuten
Fans des SC Freiburg beim Fußball-Bundesligaspiel gegen 1899 Hoffenheim mit dem Spruchband "Nie Wieder" anlässlich des Erinnerungstages im deutschen Fußball
Fans des SC Freiburg erinnern 2019 an die Opfer der NS-Zeit. © dpa / picture alliance / Hansjürgen Britsch
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Seit 2004 erinnert der deutsche Fußball um den Jahrestag der Befreiung von Auschwitz herum an die Opfer der NS-Zeit. In diesem Jahr gedenken Vereine, Verbände und auch Fangruppen besonders an die vom Nazi-Regime ermordeten Menschen mit Behinderung.
Unter dem Motto „Jeder Mensch zählt – egal auf welchem Platz“ erinnert der deutsche Fußball an den Spieltagen um den 27. Januar herum an Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung, die vom Nazi-Regime verfolgt und ermordet wurden. Im vergangenen Jahr wurde an Menschen gedacht, die während der Nazizeit aufgrund ihrer geschlechtlichen und sexuellen Identität verfolgt wurden.
Vor 18 Jahren gründete sich mit „!Nie wieder“ in der Evangelischen Versöhnungskirche der KZ-Gedenkstätte Dachau ein „Bündnis aus Einzelpersonen, Fangruppen und Fanprojekten, Vereinen, Verbänden und Institutionen aus dem Fußball“, wie sich die Initiative selbst beschreibt. Deutscher Fußball-Bund (DFB) und Deutsche Fußball-Liga (DFL) unterstützen das Projekt in jedem Jahr mit einem anderen Schwerpunkt.

Jüdischer Nationalspieler Hirsch als Symbolfigur

Doch nicht nur am Erinnerungstag beschäftigen sich immer mehr Fußballklubs mit der Nazizeit – und auch mit Spielern, Trainern und Funktionären, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Eine Symbolfigur ist der jüdische Nationalspieler Julius Hirsch.
Vier Jahrzehnte wusste die deutsche Öffentlichkeit kaum etwas über Julius Hirsch. Auch in dessen Familie sei lange nur „sehr dosiert“ über den Fußballer gesprochen worden, erklärt sein Enkel Andreas Hirsch im Deutschlandfunk: „Ich kann gut verstehen, dass Eltern ihren Kindern dieses Grauen wenig zumuten möchten.“
Bei einem Fußballspiel von Greuther Fürth haben Fans ein großes Transparent in Gedenken an den ehemaligen Spieler Julius Hirsch entrollt.
Fans der SpVgg Greuther Fürth gedenken mit einer Choreografie an den von den Nazis ermordeten jüdischen Fußballspieler Julius Hirsch, über den lange in der Öffentlichkeit kaum etwas bekannt war.© imago / Zink
Die Ausstrahlung der Fernsehserie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ entfachte 1979 in der Bundesrepublik eine intensive Debatte. „Danach konnte sich mein Vater mehr öffnen“, sagt Hirsch.
Fußball gab es in der NS-Zeit auch als Propaganda, meint Tomas Federovic, Historiker der Gedenkstätte Theresienstadt, im Deutschlandfunk Kultur. Im Konzentrationslager dort spielten Häftlinge sogar in einer Fußballliga. Nach Einschätzung von Federovic gab es Befürchtungen bei der SS, dass „die kräftigen Männer vielleicht an einer Revolte teilnehmen könnten“.

Neue Biografien von bekannten Fußballern

Inzwischen haben Forscher auch die Biografien von anderen bekannten Fußballern rekonstruiert, die von den Nazis verfolgt wurden. Auch Norbert Lopper erlebte antisemitische Anfeindungen – von Spielern, Fans und auch von Funktionären. Lopper galt als eines der großen Talente in den späten 1930er-Jahren. 1938 flüchtete er – mit gerade mal 18 Jahren – nach Belgien, wo er weiter Fußball spielen konnte und seine Frau kennenlernte.
„Das ist, glaube ich, ganz wichtig, die verfolgten Menschen nicht nur in der Situation der Verfolgung, also nicht nur als Opfer zu beschreiben, sondern sie im weiteren Kontext ihrer Biografie im größeren Rahmen zu sehen“, sagt Henning Borggräfe, Historiker und verantwortlich für Forschung und Bildung bei den Arolsen-Archiven, einem der größten Archive zu Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Mit dem Titel „Fußballer im Fokus“ ist die Bildungsbroschüre überschrieben, die der Historiker Andreas Kahrs vorgelegt hat – in Kooperation mit Borussia Dortmund.
Dortmunder Fußball-Legenden sind auf ein Haus am Borsigplatz gemalt.
Auch der Borsigplatz ist Teil der Führung über die NS-Zeit und den BVB.© Getty / Christoph Koepsel
In Dortmund gibt es auch ein touristisches Angebot, das sich mit der Rolle der Borussia in der NS-Zeit auseinandersetzt. „Widerstand und seine Folgen – die NS-Zeit, der BVB und der Borsigplatz“ heißt die Führung, die vor 15 Jahren von einem Fanprojekt angeregt wurde. Neben dem Borsigplatz spielten auch die Schlosserstraße und der Rombergpark in der Nazizeit eine große Rolle.
(mhn)
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