Frühe Texte aus dem Nachlass eines Genies

Seine Fan-Gemeinde entzückte Kurt Vonnegut mit brillanten Ideen und Formulierungen. Auch in 14 bisher unbekannten Kurzgeschichten aus den 50er-Jahren blitzen Humor und Humanismus auf.
Als Kurt Vonnegut jr. 2007 im gesegneten Alter von 84 Jahren die Augen für immer schloss, war sein Rang unter den bedeutenden amerikanischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts längst gesichert. Zwar hat er es nicht zum Ikonenstatus eines Hemingway gebracht, das akademische Interesse hält sich in Grenzen, ein Nobelpreis ist ihm auch nicht vergönnt gewesen - aber es gelang Vonnegut, sich (und seiner vielköpfigen Familie) den Lebensunterhalt (und ein paar Extras) zu erschreiben. Dazu die Verehrung, ja, die Liebe einer Leserschaft, die man, ohne sie zu beleidigen, als "Fangemeinde" bezeichnen kann.

Nach bescheidenen Anfängen als Verfasser von Kurzgeschichten beförderten Romane wie "Die Sirenen des Titan" Vonnegut schon zum Kult-Autor der beginnenden Jugend-Rebellion, bevor ihm mit dem schrägen Anti-Kriegs-Buch "Schlachthof 5" der Durchbruch in den Mainstream gelang. Danach landeten seine Bücher praktisch automatisch auf den Bestsellerlisten. Seine oft formulierte Schreibmüdigkeit hinderte ihn nicht daran, den Leser auch in seinen Spätwerken mit brillanten Ideen und Formulierungen zu entzücken.

Wenn posthum nun unveröffentlichte Texte aus Vonneguts Schreibmaschine erscheinen, sieht der Fan das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits ist es immer eine gute Nachricht, dass es Neues von Vonnegut zu lesen gibt. Andererseits sind diese Texte aus dem Nachlass nicht wirklich neu. Im Gegenteil. Die vierzehn Kurzgeschichten, die jetzt unter dem Titel " Ein dreifach Hoch auf die Milchstraße" erscheinen, entstanden alle in den Tiefen der 1950er-Jahre, zu Beginn seiner Karriere. Vonnegut war gerade dabei, von seinem Brotberuf (er verdiente seine Dollars als PR-Mann für eine Elektro-Firma) umzusatteln auf Profi-Schriftsteller. Sowohl er selbst als auch die Zeitschriften, denen er die Geschichten damals anbot, sprachen ihnen keine Qualität zu, die eine Veröffentlichung dringend geboten hätte.

In der Tat hat der Autor eine Publikation dieser Texte zu Lebzeiten wohl ausdrücklich untersagt. Jetzt aber ist er ja tot. Und braucht sich auch keineswegs vor Scham im Grabe umzudrehen. Die "Vierzehn unveröffentlichten Geschichten" weisen zwar weder die sprachliche Originalität noch die dramaturgischen Kniffe späterer Texte auf, in Ansätzen blitzt das erzählerische Genie Vonneguts jedoch schon auf. Die Mischung von Hoch- und Popkultur, eine Disziplin, in der er es - zum Beispiel durch Einsatz von Science-Fiction-Elementen - zur Meisterschaft gebracht hat, findet rudimentär Anwendung. Und auch Humor und Humanismus, die philosophischen Eckpfeiler seines Schaffens, recken zaghaft die hehren Häupter. Alles ein bisschen wie Aufnahmen seiner geliebten Beatles im "Star-Club" - die ja auch erst "posthum" veröffentlicht wurden.

Um erste Bekanntschaft mit Kurt Vonnegut zu schließen, sind seine Hauptwerke sicher besser geeignet als dieses liebevoll gemachte, von Harry Rowohlt wie stets einfühlsam übersetze Büchlein. Stammlesern bietet sich hier jedoch die Gelegenheit, mit dem Autor wieder einmal sein altbekanntes Schmunzeln zu teilen. Nett, dass er vorbei geguckt hat.

Von Helmut Heimann

Kurt Vonnegut: "Ein dreifach Hoch auf die Milchstraße"
Vierzehn unveröffentlichte Geschichten und ein Brief
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Harry Rowohlt
Kein & Aber Verlag, Zürich 2010
290 Seiten, 18,90 Euro
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